Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur "rückwirkenden" Anwendung des Gewinnzuschlags nach § 6 b Abs. 6 EStG

 

Leitsatz (NV)

§ 52 Abs. 6 Satz 3 EStG 1981 i. d. F. des 2. HStruktG bezieht sich nur auf das Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage aufzulösen ist; soweit auch vor Inkrafttreten des 2. HStruktG abgelaufene Wirtschaftsjahre für die Berechnung des Gewinnzuschlags nach § 6 b Abs. 6 EStG heranzuziehen sind, ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich (Anschluß an BFH-Urteil vom 2. September 1992 XI R 31/91, BFHE 169, 415, BStBl II 1993, 151).

 

Normenkette

EStG 1981 i.d.F. des 2. HStruktG § 6b Abs. 6; EStG 1981 i.d.F. des 2. HStruktG § 52 Abs. 6

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin eines Einzelunternehmens, das im Streitjahr 1985 aus einer KG hervorgegangen ist.

Die KG veräußerte 1978 Grundstücke zur Durchführung einer Innenstadtsanierung an die Stadt X und stellte die Veräußerungsgewinne von insgesamt 1 369 624 DM zum 31. Dezember 1978 in eine Rücklage nach § 6 b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein. Der Rechtsvorgänger der Klägerin löste den -- nach verschiedenen Reinvestitionen verbliebenen -- Restbetrag der Rücklage von 49 663 DM gemäß § 6 Abs. 3 Satz 5 EStG, § 82 Nr. 1 Satz 1 1. Halbsatz i. V. m. Satz 2 des Städtebauförderungsgesetzes -- StBauFG -- i. d. F. vom 18. August 1976 (BGBl I 1976, 2318) zum 31. Dezember 1985 gewinnerhöhend auf.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) erhöhte den Gewinn des Streitjahres zusätzlich um einen für sieben volle Wirtschaftsjahre berechneten Zuschlag gemäß § 6 b Abs. 6 EStG 1981 i. d. F. des 2. Haushaltsstrukturgesetzes (2. HStruktG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1981, 1523, BStBl I 1982, 235) in Höhe von (7×6 v. H. von 49 663 DM =) 20 858,46 DM.

Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin sich gegen den Ansatz des Zuschlags für die Wirtschaftsjahre 1979 bis 1981 wandte, blieben ohne Erfolg.

Mit der vom Finanzgericht (FG) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Klägerin, daß die Anwendung des § 6 b Abs. 6 EStG i. d. F. des 2. HStruktG für die Wirtschaftsjahre 1979 bis 1981 zu einer echten Rückwirkung führe, die verfassungsrechtlich unzulässig sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Das FA und das FG haben die Wirtschaftsjahre 1979 bis 1981 zu Recht für die Berechnung des Gewinnzuschlags herangezogen.

1. Gemäß § 6 b Abs. 6 EStG i. d. F. des 2. HStruktG ist der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufzulösen ist, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 v. H. des aufzulösenden Rücklagenbetrags zu erhöhen. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (BTDrucks 9/842, S. 66) besteht in den Fällen, in denen begünstigte Reinvestitionen nicht vorgenommen werden, aber durch die Bildung einer Rücklage eine Stundungswirkung erzielt worden ist, keine wirtschaftspolitische Notwendigkeit, dem Steuerpflichtigen den eingetretenen Zinsvorteil zu belassen. In diesen Fällen soll deshalb durch Erhöhung des Gewinns bei der Auflösung der Rücklage der gewährte Zinsvorteil wieder ausgeglichen werden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 15. März 1990 IV R 90/88, BFHE 160, 317, BStBl II 1990, 689 unter II.; vom 2. September 1992 XI R 31/91, BFHE 169, 415, BStBl II 1993, 151 unter 1., m. w. N.).

Gemäß § 52 Abs. 6 Satz 3 EStG i. d. F. des 2. HStruktG ist § 6 b Abs. 6 EStG erstmals für das Wirtschaftsjahr anzuwenden, das nach dem 31. Dezember 1981 endet. Diese Regelung bezieht sich nach ihrem Wortlaut ( ... für das Wirtschaftsjahr ... ) und ihrem Sinn und Zweck nur auf das Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage aufzulösen ist, nicht dagegen auf die (vollen) Wirtschaftsjahre, die für die Berechnung des Gewinnzuschlags heranzuziehen sind (BFH-Urteil in BFHE 169, 415, BStBl II 1993, 151 unter 1., m. w. N.).

2. Gegen diese Regelung bestehen, wie das FG zu Recht angenommen hat, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes -- GG --) abgeleitete Rückwirkungsverbot ist insoweit, als bei der Berechnung des Gewinnzuschlags auf vor Inkrafttreten des Gesetzes (1. Januar 1982) liegende Wirtschaftsjahre zurückgegriffen wird, nicht verletzt.

a) Gesetzliche Regelungen können die Vergangenheit in unterschiedlicher Weise einbeziehen. Sie können sich Geltung auch für die Zeit vor ihrem Inkrafttreten beilegen oder aber sich mit der Geltung für die Zeit nach ihrem Inkrafttreten begnügen, ihre Rechtsfolgen aber von Vorgängen abhängig machen, die sich vor ihrem Inkrafttreten zugetragen haben. Diese unterschiedlichen Formen der Rückbeziehung werden vom 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als echte bzw. unechte Rückwirkung (Beschlüsse vom 5. Mai 1987 1 BvR 724/81 u. a., BVerfGE 75, 246, 279 f., m. w. N., und vom 11. Oktober 1988 1 BvR 743/86, 1 BvL 80/86, BVerfGE 79, 29, 45 f.) und vom 2. Senat des BVerfG als Rückbeziehung von Rechtsfolgen bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung bezeichnet (Beschlüsse vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241 f., und vom 13. November 1990 2 BvF 3/88, BVerfGE 83, 89, 110).

b) Soweit die Rechtsfolge des § 6 b Abs. 6 EStG erst bei Auflösung der Rücklage -- nach Inkrafttreten des Gesetzes -- eintritt, für die Berechnung des Gewinnzuschlags aber auch an in der Vergangenheit liegende Wirtschaftsjahre angeknüpft wird, handelt es sich um einen Fall der unechten Rückwirkung bzw. der tatbestandlichen Rückanknüpfung.

Der XI. Senat des BFH ist in seinem Urteil in BFHE 169, 415, BStBl II 1993, 151, auf das der erkennende Senat Bezug nimmt, der Definition des 2. Senats des BVerfG folgend von einer tatbestandlichen Rückanknüpfung ausgegangen. Nach der herkömmlichen Unterscheidung des 1. Senats des BVerfG liegt eine unechte Rückwirkung vor. Die Gewinnerhöhung knüpft an die Auflösung der Rücklage an und wirkt damit auf den in der Vergangenheit durch Bildung der Rücklage begründeten Sachverhalt, der auf (eine befristete) Dauer angelegt und noch nicht (durch vollständige Übertragung der Rücklage auf ein Ersatzwirtschaftsgut) abgeschlossen ist, für die Zukunft ein; für die Annahme einer echten Rückwirkung ist dagegen nicht ausreichend, daß einzelne Wirtschaftsjahre, in denen die Rücklage bestanden hat, vor Inkrafttreten des Gesetzes bereits abgelaufen sind.

c) Die Regelung überschreitet auch nicht die verfassungsrechtlichen Grenzen, die das BVerfG für die unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung entwickelt hat. Eine solche Rückbeziehung ist grundsätzlich zulässig, soweit nicht die Grundsätze des Vertrauensschutzes dem Gesetzgeber Schranken setzen; letzteres ist nur der Fall, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte und sein Vertrauen schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 13. März 1979 2 BvR 72/76, BVerfGE 50, 386, 395, und in BVerfGE 79, 29, 46, jeweils m. w. N.).

Bei der danach erforderlichen Abwägung hat im Streitfall das auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage gerichtete Vertrauen des Steuerpflichtigen zurückzutreten. Wird die Rücklage nicht auf ein Ersatzwirtschaftsgut übertragen, besteht kein sachlicher Grund, der den durch die Steuerstundung erzielten Vorteil der Unverzinslichkeit rechtfertigen könnte (BFH-Urteil in BFHE 169, 415, BStBl II 1993, 151 unter 3.).

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 97

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