Leitsatz (amtlich)

1. Der Senat hält an dem Urteil II 20/60 U vom 24. Juli 1963 (BStBl 1963 III S. 396, Slg. Bd. 77 S. 209) fest, wonach Finanzverwaltungsbehörden und Steuergerichte an Standortbestimmungen der zuständigen Verkehrsbehörden nach §§ 6 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 1, 51 Abs. 1 GüKG ohne Rücksicht darauf gebunden sind, ob im Einzelfall nach ihrer Überzeugung ein "Scheintatbestand" im Sinne von § 5 Abs. 1 GüKG gegeben ist.

2. Die gesetzliche Festlegung des Standorts nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GüKG gilt -- vorbehaltlich der Vorschriften des § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GüKG -- auch für den Fall, daß der im Kraftfahrzeugschein eingetragene Sitz (Wohnsitz) des Unternehmers nicht dessen wirklicher Sitz (Wohnsitz) ist.

3. Ein "Scheintatbestand" im Sinne des § 5 Abs. 1 GüKG bei Begründung einer geschäftlichen Niederlassung an einem bestimmten Ort liegt nur vor, wenn der Steuerpflichtige den äußeren Schein einer geschäftlichen Niederlassung hervorruft, die damit verbundenen (außersteuerrechtlichen) Rechtswirkungen aber nicht will.

 

Normenkette

BefStG 1955 § 1 Abs. 1 Nr. 1 letzter Satz; GüKG § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 2, § 51 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Beförderungsteuer des Bf. für 1960.

Der Bf. betreibt in A. Müllerei und Landhandel. Er hat mehrere Lastkraftwagen, mit denen er Güter für Zwecke des eigenen Unternehmens wie auch für Dritte befördert. Im Jahre 1960 war ein Fahrzeug für A. zugelassen; zwei seiner Fahrzeuge (mit je einem Anhänger) waren für B. zugelassen, wo der Bf. nach seiner Behauptung eine Niederlassung des gewerblichen Güternahverkehrs unterhält. Dem Bf. war auch die Erlaubnis für den Güternahverkehr durch die zuständige Verkehrsbehörde u. a. für B. erteilt worden. Im Oktober 1959 nahm die untere Verkehrsbehörde B. auf Weisung des zuständigen Ministers die Erlaubnis für den Güternahverkehr zurück; dagegen legte der Bf. Rechtsmittel ein; im September 1960 hob die untere Verkehrsbehörde B. den Rücknahmebescheid wieder auf. Das Finanzamt als Beförderungsteuerstelle der Oberfinanzdirektion -- Finanzamt -- nahm auf Grund einer Beförderungsteuerprüfung hinsichtlich der Errichtung der Niederlassung in B. einen "Scheintatbestand" im Sinne des § 5 des Güterkraftverkehrsgesetzes (GüKG) an; es setzte für die mit den in A. zugelassenen Fahrzeugen ausgeführten Beförderungen, die das Gebiet der Nahzone von A. aus überschritten hatten, eine erhebliche Beförderungsteuer für 1960 gegen den Bf. fest. Der Bf. legte dagegen Einspruch ein; gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung legte er Berufung ein.

Auch die Berufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht sah gleichfalls in der Errichtung der Niederlassung in B. durch den Bf. einen Scheinsachverhalt; ein solcher könne auch "durch ernstgemeinte Rechtsgeschäfte geschaffen werden". Das Finanzgericht vermißte in B. einen "weiteren Mittelpunkt" der Unternehmer-Tätigkeit des Bf. und einen erheblicheren Umfang dieser Tätigkeit. Deshalb seien auch Finanzbehörden und Steuergerichte an die von der zuständigen Verkehrsbehörde zusammen mit der Erteilung der Güternahverkehrserlaubnis gemäß § 6 Abs. 1 GüKG vorgenommene rechtsgestaltende Standortbestimmung für die Güternahverkehrsfahrzeuge des Bf. nicht gebunden, denn die Standortbestimmung der unteren Verkehrsbehörde sei "unwirksam" gewesen.

Der Bf. hat Rb. eingelegt. Er beanstandet, daß das Finanzgericht einen gewissen Mittelpunkt der Tätigkeit des Bf. -- statt dessen spreche das Finanzgericht "von weiterem Mittelpunkt" -- und einen erheblicheren Umfang dieser Tätigkeit verneint und einen "Scheintatbestand" im Sinne des § 5 GüKG als vorliegend angesehen habe. Insbesondere rügt er, daß das Finanzgericht den Angestellten ... des Bf. nicht selbst gehört, sondern sich wesentlich auf die Feststellungen der Prüfer der Finanzbehörde verlassen und die technischen Betriebsvorgänge nicht in dem erforderlichen Maße gewertet habe. Der Bf. hat Fotokopien von rückwirkenden Standortbescheinigungen der zuständigen Verkehrsbehörde auf B. für die beiden Fahrzeuge in B. u. a. auch für 1960 vorgelegt.

Nach Meinung des Finanzamts sind die rückwirkenden Standortbestimmungen gemäß § 288 AO nicht zu berücksichtigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht zur erneuten Entscheidung.

Bei den im Güternahverkehr verwendeten Kraftfahrzeugen gilt nach § 6 Abs. 2 Sätzen 1 und 2 GüKG der im Kraftfahrzeugschein eingetragene Sitz (Wohnsitz) des Unternehmers als Standort, es sei denn, daß der Unternehmer an seinem im Kraftfahrzeugschein eingetragenen Wohnsitz weder den Sitz seines Unternehmens noch eine geschäftliche Niederlassung hat. Im Streitfall kann davon ausgegangen werden, daß in den Kraftfahrzeugscheinen für die in Betracht kommenden Fahrzeuge des Bf. als Sitz (Wohnsitz) des Bf. B. eingetragen war. Die gesetzliche Festlegung des Standorts im Wege der Fiktion nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GüKG galt dann -- vorbehaltlich der Vorschrift des § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GüKG -- auch für den Fall, daß B. nicht der Sitz (Wohnsitz) des Bf. gewesen sein sollte. Der erkennende Senat hält die früher von ihm in den nicht amtlich veröffentlichten Urteilen II 184/56 vom 16. Dezember 1959 und II 65/61 vom 6. Dezember 1961 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Beförderungsteuergesetz § 1 Rechtssprüche 14 und 22) vertretene gegenteilige Ansicht nicht mehr aufrecht, und zwar sowohl im Hinblick auf den Wortlaut des § 6 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GüKG wie auf deren Sinn und Zweck. B. galt aber nach § 6 Abs. 2 Satz 2 GüKG nicht als Standort, wenn der Bf. in B. nichtdie Voraussetzungen einer -- nicht nur vorübergehenden -- geschäftlichen Niederlassung erfüllte. Das Finanzgericht hat in der Vorentscheidung in der Errichtung der "Niederlassung" des Bf. in B. einen "Scheintatbestand" im Sinne des § 5 GüKG erblickt. Dem kann der Senat nicht beitreten. Wie er in neuerer Rechtsprechung (vgl. insbesondere das Urteil II 64/63 vom 29. Juli 1964, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964 Nr. 407 S. 449 Ziff. 1) ausgesprochen hat, liegt in den einschlägigen Fällen ein Scheinsachverhalt im Sinne des § 5 GüKG nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige den äußeren Schein einer geschäftlichen Niederlassung hervorruft, die damit verbundenen (außersteuerrechtlichen) Rechtswirkungen aber nicht will. Damit steht nicht im Einklang, daß das Finanzgericht selbst ausgeführt hat, der Bf. habe in B. ernsthafte Maßnahmen getroffen, trotzdem sei ein "Scheintatbestand" gegeben. Zuzugeben ist dem Finanzgericht jedoch, daß die Fassung des § 5 Abs. 1 GüKG: "Durch Schaffung von Scheintatbeständen dürfen die Vorschriften dieses Gesetzes nicht umgegangen werden" mißglückt ist, schon deshalb, weil die "Schein tatbestände" (richtig: Scheinsachverhalte), auf die § 5 Abs. 1 GüKG abstellt, im Gegensatz stehen zur Umgehung der Vorschriften des GüKG, die gerade ernsthaft gewollte, vom Gesetz aber mißbilligte Maßnamen voraussetzt. Eine andere Frage ist die, ob der eine Niederlassung begründende Unternehmer die Voraussetzungen für eine Niederlassung an einem bestimmten Ort erfüllt hat oder ob ihm dies mißglückt ist. Wegen des Rechtsirrtums über diese Fragen kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache geht an das Finanzgericht zurück, das noch zu beachten haben wird:

Der erkennende Senat hat in dem zeitlich nach der Vorentscheidung ergangenen Urteil II 20/60 U vom 24. Juli 1963 (BStBl 1963 III S. 396, Slg. Bd. 77 S. 209) ausgesprochen, daß Finanzbehörden und Steuergerichte an "Standortbestimmungen" der zuständigen Verkehrsbehörde nach § 6 Abs. 2 Satz 3 mit Abs. 1 GüKG gebunden sind. Entsprechendes gilt für die Standortbestimmungen nach § 51 GüKG. Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die zuständige Verkehrsbehörde nur die Standortbegründung durch den Bf. in B. nach § 6 Abs. 1 GüKG anerkannt hatte oder ob sie eine ausdrückliche "Standortbestimmung" nach § 6 Abs. 2 Satz 3 mit Abs. 1, § 51 GüKG vorgenommen und dem Bf. eine Bescheinigung darüber erteilt hatte. Jedenfalls werden die vom Bf. im Rechtsbeschwerdeverfahren beigebrachten rückwirkenden Standortbestimmungen zu berücksichtigen sein. § 288 AO steht nach Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht nicht entgegen, desgleichen nicht das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 413/60 S vom 18. März 1964 (BStBl 1964 III S. 413, Slg. Bd. 79 S. 497). Denn in dem Fall, den der IV. Senat in dem bezeichneten Urteil entschieden hat, waren, wie Begründung und Rechtssatz dieses Urteils ergeben, die von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen derart, daß sie eine abschließende Entscheidung durch den Bundesfinanzhof ermöglichten; im Streitfall ist das nicht gegeben.

 

Fundstellen

BStBl III 1965, 218

BFHE 1965, 604

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