Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein verwitweter Ehegatte kann für das Todesjahr seines verstorbenen Ehegatten die Anwendung des Splittingtarifs verlangen, auch wenn er nicht die Zusammenveranlagung mit dem verstorbenen Ehegatten wählt, obwohl er die Zusammenveranlagung wählen könnte.

Die entgegenstehende Vorschrift des § 63 a Ziff 1 EStDV ist mit dem § 32 a Abs. 3 EStG nicht vereinbar.

 

Normenkette

EStG § 32a/3; EStDV § 63a/1

 

Tatbestand

Der Ehemann der Bfin. ist am 19. Dezember 1962 gestorben und von ihr allein beerbt worden. Bei der Veranlagung für das Streitjahr 1962 beantragte die Bfin. gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG, sie getrennt zu veranlagen, ihre Einkommensteuer aber gemäß § 32 a Abs. 3 Ziff. 1 EStG nach dem Splittingtarif zu berechnen. Das Finanzamt veranlagte die Bfin. nicht getrennt und berechnete die Einkommensteuer, wie beantragt, nach dem Splittingtarif. Es stützte seine Entscheidung auf § 63 a Ziff. 1 EStDV, wonach verwitwete Personen die Anwendung des Splittingtarifs nicht verlangen können, wenn sie zwischen der getrennten Veranlagung und der Zusammenveranlagung wählen können, sich aber für getrennte Veranlagung entschieden haben.

Die Sprungberufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht führte aus, das in § 32 a Abs. 3 EStG gewährte Verwitwetenprivileg wolle den Nachteil ausgleichen, der bei dem Tod eines Ehegatten durch den Wegfall der Splittingvergünstigung entstehe. Die Bfin. könne nicht günstiger gestellt werden, als sie zur Zeit der Zusammenveranlagung mit ihrem verstorbenen Ehemann gestanden habe. Wenn sie das Verwitwetenprivileg bei getrennter Veranlagung verlange, obwohl eine Zusammenveranlagung gesetzlich möglich sei, so verlange sie mehr als in den Vorjahren, in denen sie stets mit ihrem verstorbenen Ehemann zusammen veranlagt worden sei.

Mit der Rb. rügt die Bfin. die Verletzung geltenden Rechts. Sie ist der Auffassung, daß § 63 a Ziff. 1 EStDV den § 32 a Abs. 3 Ziff. 1 EStG unzutreffend auslege und damit rechtsungültig sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Der Senat hat bereits im Urteil VI 175/63 U vom 15. Oktober 1964 (BStBl 1965 III S. 86, Slg. Bd. 81 S. 236) die Streitfrage berührt, sie aber nicht abschließend entschieden. Damals war der verstorbene Ehemann von seinem Sohn allein beerbt worden, der dann als Rechtsnachfolger seines Vaters die getrennte Veranlagung beantragte. Der Senat gewährte damals der Witwe die Splittingvergünstigung nach § 32 a Abs. 3 Ziff. 1 EStG, weil in übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 63 a Ziff 1 EStDV 1960 die Witwe angesichts des entgegenstehenden Antrags ihres Sohnes die Zusammenveranlagung mit ihrem verstorbenen Ehemann nicht habe wählen können. Da im Streitfall indessen die Bfin. die Alleinerbin ist, kann sie als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns ohne Zweifel auch die Zusammenveranlagung wählen und steht insofern anders als die Witwe im Urteil VI 175/63 U a. a. O. Der Senat muß deshalb nunmehr endgültig über die Streitfrage entscheiden, die im Urteil VI 175/63 U a. a. O. offengeblieben ist.

Bereits im Urteil VI 175/63 U hat der Senat Zweifel geäußert, ob die von der Bundesregierung in § 63 a Ziff. 1 EStDV in Auslegung des § 32 a Abs. 3 Ziff. 1 EStG getroffene Regelung mit dem Gesetz vereinbar sei. In dem Urteil VII 78/62 U vom 9. Juni 1965 (BStBl 1965 III S. 590) hat er ausgeführt, § 32 a Abs. 3 EStG 1958 sei eine Ausnahmevorschrift, wenn er verwitweten Personen gestatte, die Einkommensteuer nach dem Splittingtarif zu berechnen. Dem Wesen nach können nach dem Splitting nur zusammenlebende und mit ihren Einkünften zusammen veranlagte Ehegatten besteuert werden. Daß der Splittingtarif auch bei verwitweten Personen angewandt werden kann, ist eine Billigkeitsmaßnahme des Gesetzes, die für eine übergangszeit Härten ausgleichen soll, die sich aus dem Verlust der Splittingvergünstigung ergeben können. Der Abs. 3 des § 32 a EStG nimmt auf dessen Abs. 2 nur Bezug und begrenzt den Umfang der Vergünstigung durch den Hinweis auf den Splittingtarif. Ein weitergehender innerer Zusammenhang der beiden Absätze ist weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus dem Sinnzusammenhang zu entnehmen. Abs. 2 betrifft nur zusammen veranlagte Ehegatten und Abs. 3 nur verwitwete Personen.

In Ziff. 2 des § 32 a Abs. 3 EStG wird bei verwitweten Personen die Anwendung des Splittingtarifs so lange gestattet, als ihnen ein Kinderfreibetrag für Kinder aus der Ehe mit dem Verstorbenen zusteht. Die Vergünstigung kann also für viele Jahre in Betracht kommen. Im übrigen wird nur vorausgesetzt, daß der Ehegatte "verwitwet" ist und die Eheleute vor der Auflösung der Ehe nicht dauernd getrennt lebten. Für die in § 63 a Ziff 1 EStDV enthaltene weitere Voraussetzung, daß für das Todesjahr auch noch die Zusammenveranlagung nach §§ 26 Abs. 1, 26 b EStG mit den Einkünften des Verstorbenen gewählt wird, bietet das EStG keine Grundlage. Wenn Blümich-Falk (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., S. 1870) glauben, dies aus der Systematik des Gesetzes herleiten zu müssen, so folgt der Senat ihnen insoweit nicht.

Der überlebende Ehegatte kann nur in bestimmten Fällen die Zusammenveranlagung mit seinem verstorbenen Ehegatten für dessen Todesjahr wählen; denn die Zusammenveranlagung ist nach § 26 Abs. 1 EStG nicht möglich, wenn der Ehegatte innerhalb der ersten vier Monate des Kalenderjahres gestorben ist. Nach dem Urteil des Senats VI 175/63 U a. a. O. ist die Zusammenveranlagung ferner nicht möglich, wenn der überlebende Ehegatte nicht Erbe ist und der Erbe die Zusammenveranlagung nicht beantragt. Dasselbe gilt, wenn der überlebende Ehegatte nicht Alleinerbe ist und die Miterben nicht gemeinsam die Zusammenveranlagung beantragen; denn die Willensbildung aller Miterben muß einheitlich sein. § 63 a Ziff. 1 EStDV hat also nur für Fälle wie den Streitfall Bedeutung, in denen der überlebende Ehegatte Alleinerbe ist und er im Todesjahr mehr als vier Monate mit dem verstorbenen Ehemann zusammengelebt hat. Aber auch für diesen begrenzten Kreis von Fällen kann man aus der Systematik des EStG nicht folgern, daß der verwitwete Ehegatte für das Todesjahr die Splittingvergünstigung nicht beanspruchen kann. Dem Gesetzgeber kam es offensichtlich darauf an, aus Billigkeitsgründen dem überlebenden Ehegatten für zwei Jahre den Vorteil des Splittingtarifs zuzuwenden. Diese Erwägung steht nach der Auffassung des Senats so im Vordergrund, daß die von der Bundesregierung vorgenommene Einschränkung des § 63 a Ziff. 1 EStDV - nämlich, daß der überlebende Ehegatte, der die Zusammenveranlagung wählen kann, die Zusammenveranlagung auch tatsächlich wählt - im Gesetz keine Grundlage hat und darum als verschärfende Rechtsgestaltung von der Bundesregierung nicht ohne eine dem Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland entsprechende spezielle Ermächtigung hätte eingeführt werden können. Die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Ziff 1 EStG bildet eine solche Grundlage nicht.

Die Vorentscheidung, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war deshalb aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das die Einkommensteuer unter Anwendung des Splittingtarifs zu berechnen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411682

BStBl III 1965, 639

BFHE 1966, 387

BFHE 83, 387

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