Leitsatz (amtlich)

1. Der erkennende Senat schließt sich der im Urteil des II. Senats II 125/61 U vom 24. Juni 1964 (BFH 79, 579) vertretenen Auffassung an, daß unter Geschäften im Sinne von § 106 Abs. 1 und 2 FlurbG nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch tatsächliche Handlungen zu verstehen sind, die in unmittelbarer Erfüllung eines Rechtsgeschäfts vorgenommen werden.

2. Die Befreiung von Abgaben und Kosten in § 108 Abs. 1 FlurbG erstreckt sich auch auf Eingangsabgaben.

3. Die Vergünstigung setzt voraus, daß das Geschäft in unmittelbarem Zusammenhang mit der Flurbereinigung steht.

 

Normenkette

FlurbG vom 14. Juli 1953 (BGBl I, 591) § 108

 

Tatbestand

Die Klägerin ließ einen Harvestore-Futtermittelbehälter und eine dazu gehörende Entladefräse zum freien Verkehr abfertigen. Die Eingangsabgaben wurden auf … DM Zoll und … DM Ausgleichsteuer festgesetzt. Den Antrag der Klägerin vom 24. Mai 1963, die Waren zollfrei zu belassen, weil sie für einen im Zusammenhang mit der Flurbereinigung errichteten Neubauhof eingeführt worden seien, lehnte das ZA ab. Die Zollfreiheit könne nicht auf § 108 des Flurbereinigungsgesetzes (FlurbG) vom 14. Juli 1953 – BGBl I, 591 ff. – gestützt werden, weil diese Vorschrift keine eigenständige Zollvergünstigung begründe. Solche seien nur in den §§ 24, 25 des Zollgesetzes (ZG), dem Deutschen Zolltarif (DZT) und der Allgemeinen Zollordnung (AZO), nicht aber in anderen Gesetzen enthalten. Auch handle es sich bei der Einfuhr der beiden Geräte nicht um ein „Geschäft”, das der Flurbereinigung diene, sondern um einen tatsächlichen Vorgang, der nicht unter § 108 FlurbG falle und daher nicht begünstigt sei.

Der als Einspruch behandelte Antrag vom 24. Mai 1963 und die Berufung hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1965 S. 363 (EFG 1965, 363) abgedruckten Entscheidung ausgeführt, es sei zwar nicht richtig, daß Zollbefreiungen nur in den ZG und im DZT enthalten seien. Vielmehr ergebe sich eine Rechtsgrundlage auch aus § 108 FlurbG. Diese Vorschrift erfasse mit dem Begriff „Geschäfte” nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch tatsächliche Vorgänge. Jedoch seien nur solche Lieferungen, Leistungen und sonstige Handlungen von Steuer und Abgaben befreit, die unmittelbar der Flurbereinigung dienten. Das sei hier nicht der Fall, da Silo und Fräse nicht zur Durchführung der Flurbereinigung benötigt worden seien, sondern dazu, den Aussiedlungshof nach dem derzeitigen Stand der Technik auszustatten.

In der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Zufolge einer von dem zuständigen Amt für Flurbereinigung und Siedlung ausgestellten Bescheinigung diene die Errichtung des Aussiedlungsgehöfts der Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens und seien alle Lieferungen und Leistungen frei von Gebühren, Steuern, Kosten und Abgaben. An diese Bescheinigung sei die Zollverwaltung gebunden. Die Bescheinigung sei auch sachlich zu Recht erteilt worden, weil zur Errichtung eines fortschrittlich eingerichteten Gehöfts die Installation eines Futtermittelsilos gehöre. Dieser diene somit unmittelbar der Flurbereinigung; in diese seien alle Maßnahmen einzubeziehen, durch welche die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe verbessert und die Bewirtschaftung erleichtert würden.

Die Klägerin beantragt: den Zollbescheid vom 9. Mai 1963 ersatzlos aufzuheben.

Der Beklagte hält an seinem Standpunkt lest und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BdF) vertritt die Auffassung, der Übergang der eingeführten Ware in die inländische Wirtschaft werde durch die zollamtliche Freigabe vollzogen, die als Hoheitsakt weder ein Rechtsgeschäft noch eine tatsächliche Handlung und somit jedenfalls kein „Geschäft” i. S. des § 108 FlurbG sei. Die Vorschrift sei daher nicht anwendbar. Auch eine Befreiung von der Ausgleichsteuer komme nicht in Betracht, da bei der Ausgleichsteuer die Rechtslage insoweit die gleiche sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Zutreffend ist die Vorinstanz davon ausgegangen, daß der in § 108 FlurbG verwendete Begriff „Geschäfte” nicht i. S. von Rechtsgeschäften auszulegen ist. Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des II. Senats in dessen Urteil II 125/61 U vom 24. Juni 1964 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 79 S. 579 – BFH 79, 579 –, BStBl III 1964, 446 ff.) an, daß unter Geschäften nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch tatsächliche Handlungen zu verstehen sind, die in unmittelbarer Erfüllung eines Rechtsgeschäfts vorgenommen werden. Diese Auslegung wird dem Sinne der Abgabenbefreiung – mit der die Flurbereinigung gefördert werden soll – gerecht, wie auch dem Umstand, daß das Gesetz diesen umfassenden Begriff verwendet und auf eine juristische Präzisierung – etwa im Sinne von „Rechtsgeschäft” – verzichtet. Die Einfuhr von Waren und ihre Abfertigung zum freien Verkehr ist ein Vorgang sowohl tatsächlicher wie rechtlicher Art und fällt somit unter § 108 FlurbG. Es kommt – insoweit vermag der Senat den Ausführungen des BdF nicht zu folgen – nicht darauf an, wie die Phasen des Abfertigungsverfahrens zollrechtlich im einzelnen zu qualifizieren sind. Auch ist nicht von Bedeutung, ob sich der Gesetzgeber über das Ausmaß der Abgaben- und Kostenbefreiung im vollen Umfang im klaren war. Da § 108 Abs. 1 FlurbG keine Einschränkung hinsichtlich der Eingangsabgaben enthält, erstreckt sich die Abgabenbefreiung auch auf diese und somit auch auf die Ausgleichsteuer.

2. Die Abgabenbefreiung kann jedoch im Streitfalle nicht Platz greifen, weil hier kein Geschäft vorliegt, das „der Durchführung der Flurbereinigung dient”.

Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, fallen nur solche Vorgänge unter die Steuerbefreiung, bei denen ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Flurbereinigung gegeben ist. Dieser Auffassung, die der II. Senat in seinem Urteil II 125/61 U (a. a. O. S. 583 bzw. S. 447 rechte Spalte) – entgegen der Ansicht der Klägerin nicht nur am Rande – vertreten hat, schließt sich der erkennende Senat auch für das Gebiet der Eingangsabgaben an. Ihr liegt die Erwägung zugrunde, daß es zu Ungleichmäßigkeiten in der Besteuerung kommen muß, wenn sämtliche mit der Flurbereinigung in irgendeiner Weise zusammenhängenden Vorfälle in die Befreiung einbezogen werden. Dabei kann es auf sich beruhen, wie weit der Kreis des unmittelbaren Zusammenhangs im einzelnen zu ziehen ist. Denn keinesfalls können in ihn solche „Geschäfte” einbezogen werden, die erst der Beschaffung von Gegenständen, die vom Erwerber für Zwecke des Flurbereinigungsverfahrens geliefert werden sollen, dienen.

Um ein derartiges Geschäft handelt es sich im Streitfalle.

Die Klägerin hat die beiden Geräte im eigenen Namen zollamtlich abfertigen lassen. Sie hat in der Berufung ausgeführt, es habe sich um ein Einfuhrgeschäft zwischen dem ausländischen Hersteller und ihr, als dem im Inland autorisierten Händler, bei dem sie „wie ein Einkaufskommissionär der Aussiedler” tätig geworden sei, gehandelt. Auch wenn die Klägerin für fremde Rechnung – die der Aussiedler – tätig geworden sein sollte, so hat sie die Geräte in Übereinstimmung mit den Angaben in der Zollanmeldung im eigenen Namen erworben. Der Kauf und die zollamtliche Abfertigung zum freien Verkehr dienten in jedem Fall dem Erwerb der Geräte durch die Klägerin, nicht aber der Durchführung der Flurbereinigung. Auch bei Annahme eines Kommissionsgeschäfts sind der Erwerb der Geräte durch die Klägerin und die Weitergabe durch sie zwei voneinander getrennte, rechtlich und wirtschaftlich selbständige Geschäftsvorgänge; daß sich die Klägerin gegenüber ihren Abnehmern dazu verpflichtet hat, diesen die Eingangsabgaben im Falle der Erstattung auf den Kaufpreis gutzuschreiben, ändert hieran nichts.

3. Dem FG ist auch darin beizutreten, daß die von der Flurbereinigungsbehörde gem. § 108 Abs. 2 FlurbG ausgestellte Bescheinigung der Erhebung der Eingangsabgaben im Streitfalle nicht entgegensteht. Diese Behörde hat versichert, daß die Errichtung des Aussiedlergehöfts D. der Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens dient und alle Lieferungen und Leistungen frei sind von Gebühren, Steuern, Kosten und Abgaben. Nach ihrem Wortlaut, der keine bestimmten Geschäfte anführt, kann diese Versicherung nur Lieferungen und Leistungen an dieses Aussiedlergehöft erfassen, nicht jedoch Geschäfte, durch die derjenige, der eine solche Lieferung oder Leistung erbringen soll, sich erst selbst die zu liefernde Ware beschafft. Soweit sich aber die Versicherung der Flurbereinigungsbehörde ihrem Inhalt nach auf ein bestimmtes Geschäft gar nicht erstreckt, besteht für die Finanzbehörde auch nicht die in § 108 Abs. 2 FlurbG vorgesehene Bindung an die Versicherung der Flurbereinigungsbehörde.

Nach alledem kommt der Senat daher zu dem Ergebnis, daß der hier vorliegende Sachverhalt nicht unter § 108 FlurbG fällt und – nachdem auch die Tarifierung der Geräte in Ordnung ist (vgl. die insoweit ergangene Entscheidung des Bundesfinanzhofs VII 26/62 vom 11. Januar 1967) – die Eingangsabgaben zu Recht erhoben worden sind. Daher war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BFHE 1969, 38

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