Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Steuerpflichtigen, der die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 VStG erfüllt, ist der erhöhte Freibetrag des § 5 Abs. 3 VStG zu gewähren, wenn er neben Ansprüchen nach § 68 Ziff. 6 a BewG keine anderen unter § 68 Ziff. 1 bis 4 BewG fallenden Ansprüche hat.

BewG § 68 Ziff. 6a; VStG § 5 Abs. 3 Ziff. 3 in der Fassung des Art. 11 Nr. 4 Buchst. c des StändG

 

Normenkette

BewG § 68/6/a, § 111/9; VStG § 5 Abs. 3 Ziff. 3

 

Tatbestand

Die Bfin. gab in ihrer Vermögenserklärung auf den 1. Januar 1960 Rentenansprüche mit einem Jahreswert von zusammen 3.813,60 DM an. Das Finanzamt setzte diese Ansprüche bei der Vermögensteuerveranlagung 1960 mit einem Kapitalwert von 1.068 DM an. Den Kapitalwert berechnete das Finanzamt in der Weise, daß es vom Jahreswert, weil die Bfin. am Stichtag über 60 Jahre alt war, nach § 68 Ziff. 6 a BewG einen Freibetrag von 3.600 DM abzog und den restlichen Jahreswert von 213,60 DM mit fünf vervielfachte. Es ergab sich ein Gesamtvermögen von 44.000 DM und nach Abzug der Freibeträge nach § 5 Abs. 1 Ziff. 1 VStG in Höhe von 20.000 DM und nach § 5 Abs. 2 VStG in Höhe von 5.000 DM ein steuerpflichtiges Vermögen von 19.000 DM und eine Jahressteuerschuld von 182,50 DM.

Die Sprungberufung, mit der die Bfin. die Gewährung des erhöhten Freibetrags nach § 5 Abs. 3 VStG beantragte, blieb ohne Erfolg. Der erhöhte Freibetrag des § 5 Abs. 3 VStG kann nach Auffassung des Finanzgerichts nur dann gewährt werden, wenn bei Vorliegen der im § 5 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 VStG geforderten Voraussetzungen die in § 68 Ziff. 1 bis 4 und 6 a BewG ihrer Art nach einzeln aufgeführten Ansprüche zusammen einen Jahreswert von höchstens 3.600 DM hätten. Die Auffassung, dabei dürften die unter § 68 Ziff. 6 a BewG fallenden Ansprüche nur mit ihrem steuerfreien Jahreswert angesetzt werden, folge nicht zwingend aus dem Wortlaut des Gesetzes und gebe keinen vernünftigen Sinn. Auch die amtliche Begründung lasse keinen Schluß auf die Absicht des Gesetzgebers zu, lediglich denjenigen Vermögensteuerpflichtigen, die nur Renten nach § 68 Ziff. 6 a BewG bezögen, ohne Rücksicht auf die Höhe der Renten, den erhöhten Freibetrag zuzubilligen.

Mit der Rb. wiederholt und ergänzt die Bfin. ihr bisheriges Vorbringen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb., die das Finanzgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen hat, ist begründet.

I. - Streitig ist die Gewährung eines erhöhten Freibetrages von 25.000 DM nach § 5 Abs. 3 VStG in der Fassung des Art. 11 Nr. 4 Buchst. c des Steueränderungsgesetzes vom 13. Juli 1961 - StändG 1961 - (BGBl 1961 I S. 981), der nach Art. 12 dieses Gesetzes erstmals bei der Hauptveranlagung 1960 anzuwenden ist. Nach dieser Vorschrift erhöht sich der Freibetrag nach § 5 Abs. 2 VStG auf 25.000 DM, wenn

der Steuerpflichtige das 65. Lebensjahr vollendet hat oder voraussichtlich für mindestens drei Jahre erwerbsunfähig ist,

das Gesamtvermögen (ß 4 VStG) nicht mehr als 100.000 DM beträgt und

die Ansprüche des Steuerpflichtigen nach § 68 Ziff. 1 bis 4 und 6 a BewG insgesamt einen Jahreswert von 3.600 DM nicht übersteigen.

Der erhöhte Freibetrag kann also nur gewährt werden, wenn alle drei Voraussetzungen der Ziffern 1, 2 und 3 erfüllt sind. Unstreitig sind bei der Bfin. die Voraussetzungen der Ziffern 1 und 2 gegeben. Hinsichtlich der Ziff. 3 steht fest, daß die Bfin. nur unter § 68 Ziff. 6 a BewG fallende Rentenansprüche hat, deren Jahreswerte 3.813 DM betragen. Streitig ist, ob damit die Gewährung des erhöhten Freibetrags ausgeschlossen ist.

Die Vorinstanzen haben sich der Auffassung der Bewertungsreferenten der Länder (Der Betrieb - DB - 1961 S. 1536) angeschlossen, daß die Worte "Ansprüche des Steuerpflichtigen nach § 68 Ziff. 6 a BewG" nur als Charakterisierung der Art der begünstigten Ansprüche aufzufassen seien, weil § 68 Ziff. 6 a BewG sachlich nur den Freibetrag für die dort aufgeführten Ansprüche auf Renten und andere wiederkehrende Nutzungen im Sinne des § 67 Abs. 1 Ziff. 4 BewG regele und beinhalte. Sie folgern daraus, daß der erhöhte Freibetrag nicht gewährt werden kann, wenn die nach § 68 Ziff. 6 a BewG begünstigten Ansprüche einen Jahreswert von 3.600 DM übersteigen. Im Schrifttum wird aber auch eine andere Auslegung des Wortsinns des § 5 Abs. 3 Ziff. 3 VStG erwähnt (vgl. Rössler-Troll, vormals Krekeler, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., S. 1178; Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 1. bis 3. Aufl., Anm. 98 zu § 5 VStG; Rid, Steuerwarte 1962 S. 2). Danach sind unter "Ansprüchen nach § 68 Ziff. 6 a BewG" wörtlich nur Ansprüche auf den durch § 68 Ziff. 6 a BewG bis zu einem Jahreswert von 3.600 DM steuerfreien Teil der Ansprüche auf Renten zu verstehen. Daraus wird gefolgert, daß bei Ansprüchen auf Renten und andere wiederkehrende Nutzungen und Leistungen im Sinne von § 68 Ziff. 6 a BewG unabhängig von ihrer Höhe die in § 5 Abs. 3 Ziff. 3 VStG bestimmte Grenze von 3.600 DM nur dann überschritten wird, wenn noch andere steuerfreie Versorgungsbezüge nach § 68 Ziffern 1 bis 4 BewG hinzukommen. Denn eine nach § 68 Ziff. 6 a BewG begünstigte Rente könne niemals einen Jahreswert von 3.600 DM übersteigen. Soweit sie diesen Betrag übersteige, falle sie nicht nur unter § 68 Ziff. 6 a BewG, sondern unter § 67 Abs. 1 Ziff. 4 BewG.

Der Senat ist der Auffassung, daß der Wortsinn des § 5 Abs. 3 Ziff. 3 VStG nicht so eindeutig ist, daß eine der beiden dargelegten Auffassungen zwingend wäre. Im Gegenteil ist der Wortsinn für sich allein nicht verständlich und in sich widersprüchlich. Wie der Senat bereits in dem Urteil III 99/64 U vom 9. Oktober 1964 (BStBl 1964 III S. 640, Slg. Bd. 80 S. 458) ausgeführt hat, muß in den Fällen, in denen der Wortsinn einer Vorschrift nicht eindeutig ist, bei ihrer Auslegung auch ihre Systematik, ihr Zweck und ihre Entstehungsgeschichte herangezogen werden.

II. - Aus der Systematik des § 5 Abs. 3 VStG läßt sich für die Auslegung dieser Vorschrift allerdings nichts herleiten, wohl aber aus der systematischen Stellung des § 68 Ziff. 6 a BewG. Diese Vergünstigungsvorschrift ist als eine besondere Ziffer in § 68 BewG eingefügt worden. § 68 BewG zählt nach seiner überschrift und seinem Einleitungssatz "nicht zum sonstigen Vermögen gehörige Wirtschaftsgüter" auf. Daraus ist zu folgern, daß auch § 68 Ziff. 6 a BewG nur diejenigen Ansprüche betrifft, die nicht zum sonstigen Vermögen gehören. Das ist jedoch nur der durch die Gewährung des Freibetrags steuerbegünstigte Teil der Ansprüche auf Renten und wiederkehrende Nutzungen und Leistungen (bis zu einem Jahreswert von 3.600 DM), während der darüber hinausgehende Teil dieser Ansprüche nach § 67 Abs. 1 Ziff. 4 BewG zum sonstigen Vermögen gehört. Schon die systematische Stellung des § 68 Ziff. 6 a im BewG spricht demnach dafür, daß in § 5 Abs. 3 Ziff. 3 VStG unter "Ansprüchen nach § 68 Ziff. 6 a" auch nur der nach dieser Vorschrift steuerbegünstigte Teil gemeint ist.

III. - Auch aus dem Zweck der Vorschrift und aus ihrer Entstehungsgeschichte lassen sich entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Anhaltspunkte für ihre Auslegung gewinnen. Nach der amtlichen Begründung zum Entwurf des StändG 1961 (Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache 2573 S. 30) stellt der zusätzliche Freibetrag nach § 5 Abs. 3 VStG "eine ausgleichende Vergünstigungsvorschrift für die Steuerbefreiung der Ansprüche aus der Sozialversicherung und der Ansprüche auf gesetzliche Versorgungsbezüge" dar. Bei der Besteuerung des Vermögens, das der Altersversorgung des Steuerpflichtigen dienen soll, bestehen nämlich Unterschiede. Es ist zwischen der sogenannten privaten Altersversorgung (Ansammlung eines Kapitals oder anderen Vermögens, dessen Stamm und Erträge zur Bestreitung der Bedürfnisse im Alter dienen sollen) und der sogenannten kollektiven Altersversorgung (Erwerb von Versorgungsansprüchen aus der Sozialversicherung, aus betrieblicher Altersversorgung, von gesetzlichen Versorgungsbezügen und sonstigen Renten und Ansprüchen auf wiederkehrende Nutzungen und Leistungen) zu unterscheiden. Von der kollektiven Altersversorgung waren schon immer steuerfrei die Ansprüche aus der Sozialversicherung, auf Renten aus betrieblicher Altersversorgung und auf gesetzliche Versorgungsbezüge (vgl. jetzt § 68 Ziffern 1, 2 und 4 BewG). Nach Einfügung des § 68 Ziff. 6 a BewG durch das StändG 1957 vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 848) sind seit dem 1. Januar 1957 auch andere Ansprüche auf Renten und andere wiederkehrende Nutzungen und Leistungen steuerfrei, soweit der Jahreswert der Nutzungen oder Leistungen insgesamt 3.600 DM nicht übersteigt, wenn der Berechtigte über 60 Jahre alt oder voraussichtlich für mindestens drei Jahre erwerbsunfähig ist. Von der privaten Altersversorgung waren nur noch nicht fällige Ansprüche aus Lebens- und Kapitalversicherungen oder Rentenversicherungen, aus denen der Berechtigte noch nicht in den Rentenbezug eingetreten ist, im Rahmen des § 67 Abs. 1 Ziff. 6 Satz 2 BewG steuerfrei. Diese unterschiedliche vermögensteuerliche Behandlung der beiden für die Altersversorgung bestimmten Vermögensgruppen hatte im gewissen Grad ihre Ursache in dem unterschiedlichen Charakter dieser beiden Vermögensgruppen. Während die Ansprüche aus der Sozialversicherung und auf gesetzliche Versorgungsbezüge unveräußerlich und unvererblich sind und nicht unbedingt den Berechtigten tatsächlich zugute kommen, kann bei privaten Versicherungs- und Versorgungsansprüchen durch entsprechende Vertragsgestaltung sichergestellt werden, daß der Berechtigte oder ersatzweise eine dritte Person bis zu einem gewissen Grad tatsächlich in den Genuß von Leistungen kommen. In der amtlichen Begründung zum Entwurf des StändG 1961 (a. a. O. S. 29) wird dazu weiter ausgeführt: "Unbeschadet dieser Unterschiede ist aber festzustellen, daß die Ansprüche aus der Sozialversicherung und auf gesetzliche Versorgungsbezüge inzwischen ein solches Gewicht erhalten haben, daß die Vergünstigungsvorschriften des § 67 Abs. 1 Ziff. 6 BewG und des § 68 Ziff. 6 a BewG nicht mehr als angemessenes äquivalent zur Steuerfreiheit der erstgenannten Ansprüche angesehen werden können. Hinzu kommt, daß sich heute die nicht unter die bisherigen Befreiungsvorschriften fallenden beruflichen Pflichtversicherungsverhältnisse kaum noch von denjenigen bei der Sozialversicherung und bei der Versorgung auf Grund gesetzlicher Versorgungsbezüge unterscheiden. Unter diesen Umständen scheint es geboten,

die Ansprüche aus Rentenversicherungen soweit wie möglich den Ansprüchen aus der Sozialversicherung gleichzustellen, d. h. in gleicher Weise zu begünstigen,

für alle Steuerpflichtigen, deren Altersversorgung nicht bereits dadurch ausreichend vermögensteuerlich begünstigt ist, daß sie in bestimmter Höhe steuerfreie Ansprüche aus der Sozialversicherung, auf Grund gesetzlicher Versorgungsbezüge, auf Grund eines früheren Arbeits- oder Dienstverhältnisses oder aus Rentenversicherungen haben, einen zusätzlichen ins Gewicht fallenden Freibetrag zu gewähren (siehe hierzu die Begründung zur Ergänzung des § 5 VStG unter Art. 9 Ziff. 2 Buchst. c)."

Eine möglichst weitgehende Gleichstellung der Ansprüche aus Rentenversicherungen mit den Ansprüchen aus der Sozialversicherung wurde durch Einfügung des § 68 Ziff. 3 BewG erreicht. Das in Ziff. 2 der amtlichen Begründung angegebene Ziel sollte durch Einfügung des § 5 Abs. 3 VStG erreicht werden. Auch in der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift (a. a. O. S. 30) ist zum Ausdruck gebracht, daß der erhöhte Freibetrag nur jenen Steuerpflichtigen gewährt werden soll, die "nicht bereits ausreichend durch die Steuerbefreiung ihrer Versorgungsansprüche begünstigt erscheinen". Es heißt dann weiter: "Die Grenze eines Jahreswerts von 3.600 DM für diese Art von Ansprüchen ist gewählt worden, damit auch jene Steuerpflichtigen in den Genuß des zusätzlichen Altersfreibetrags gelangen können, die nur verhältnismäßig geringe Versorgungsbezüge aus der Sozialversicherung usw. beziehen, so daß für sie u. U. sogar die ausschließliche Gewährung des gesetzlichen Altersfreibetrags günstiger wäre, als es für sie die gänzliche Steuerbefreiung ihrer Versorgungsbezüge ist."

Aus allen diesen Ausführungen in der amtlichen Begründung geht nach Auffassung des Senats eindeutig hervor, daß es der Wille des Gesetzgebers war, den erhöhten Altersfreibetrag als Ausgleich für die Steuerfreiheit der Ansprüche aus der Sozialversicherung usw. zu gewähren. Deshalb kann, wenn in § 5 Abs. 3 Ziff. 3 VStG von "Ansprüchen nach § 68 Ziff. 6 a BewG" die Rede ist, auch nur der steuerbefreite Teil dieser Ansprüche, d. h. der einem Jahreswert bis zu 3.600 DM entsprechende Kapitalwert, gemeint sein. Auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift und nach ihrer Entstehungsgeschichte kann also ebenso wie nach der systematischen Stellung des § 68 Ziff. 6 a im BewG (vgl. die Ausführungen oben zu II) der Wortsinn des § 5 Abs. 3 Ziff. 3 VStG nur in der Weise ausgelegt werden, daß unter den Worten "Ansprüche nach § 68 Ziff. 6 a BewG" nur der steuerbefreite Teil dieser Ansprüche zu verstehen ist.

Nach allem ist einem Steuerpflichtigen, der die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Ziffern 1 und 2 VStG erfüllt, der erhöhte Freibetrag des § 5 Abs. 3 VStG dann zu gewähren, wenn er neben Ansprüchen nach § 68 Ziff. 6 a BewG keine anderen unter § 68 Ziffern 1 bis 4 BewG fallende Ansprüche hat.

Da die Vorentscheidung dies verkannt hat, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Bfin. ist der erhöhte Freibetrag nach § 5 Abs. 3 VStG zu gewähren. Dadurch ergibt sich zum 1. Januar 1960 kein steuerpflichtiges Vermögen mehr. Der Vermögensteuerbescheid vom 4. Juli 1962 war deshalb ersatzlos aufzuheben.

 

Fundstellen

BStBl III 1965, 702

BFHE 1966, 560

BFHE 83, 560

StRK, BewG:68 R 4

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