Leitsatz (amtlich)

Macht ein Unternehmen in einer Pensionsordnung die Entstehung von Rentenansprüchen seiner Betriebsangehörigen von der Aushändigung von Urkunden abhängig, gewährt es dann aber bei Eintritt von Pensionsfällen die Renten, obwohl Urkunden nicht ausgehändigt wurden, so liegt in diesem Verhalten eine stillschweigende Änderung der Pensionsordnung. Die so geänderte Pensionsordnung ist eine vertragliche Verpflichtung im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 BewG 1965.

 

Normenkette

BewG 1965 § 104 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine ausländische Firma mit Sitz in X. Sie hat in M. eine inländische Betriebstätte.

Zur Altersversorgung ihrer Belegschaft hat sie am 22. Dezember 1961 eine Pensionsordnung erlassen. Nach den Feststellungen des FG ist den Arbeitnehmern darin eine Invaliditäts-, Alters- und Witwenrente zugesagt. Ein Pensionsanspruch besteht aber u. a. nach Nr. 1 der Pensionsordnung nur dann, wenn die Arbeitnehmer im Besitz einer Versorgungsurkunde sind. Solche Urkunden sind zwar gedruckt, den Arbeitnehmern aber nicht ausgehändigt, sondern im Zimmer des Betriebsrats aufbewahrt worden.

Bei einer im Jahre 1970 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Betriebsprüfer die Auffassung, es bestehe keine rechtsverbindliche Pensionsanwartschaft, weil den Arbeitnehmern die Versorgungsurkunden nicht ausgehändigt worden seien. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) folgte dieser Auffassung und erließ am 14. Juni 1971 einen Einheitswertbescheid des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1969 und durch einen zusammengefaßten Bescheid vom 4. November 1971, der auf § 222 AO gestützt war, Einheitswertbescheide des Betriebsvermögens der Klägerin für die Stichtage vom 1. Januar 1965 bis einschließlich 1. Januar 1968. Dabei ließ es die Pensionsanwartschaften mit den vom Betriebsprüfer angegebenen Beträgen nicht mehr zum Abzug zu. Der Betriebsprüfer hatte auf die Stichtage 1. Januar 1965 bis 1. Januar 1967 diese Beträge, weil keine Berechnungen nach dem BewG vorlagen, nach den Sollrückstellungen der ertragsteuerlichen Berechnung ermittelt und, um die unterschiedliche Berechnungsweise nach dem BewG zu berücksichtigen, diesen Ansatz auf jeden Stichtag noch um einen pauschalen Abschlag von 70 000 DM vermindert. Die Einsprüche hatten insoweit Erfolg, als die nicht berücksichtigten Anwartschaften nunmehr mit den von der Firma inzwischen berechneten Werten nach dem BewG aus den Einheitswerten herausgenommen wurden. Die Klage wurde abgewiesen.

Die Klägerin beantragt mit der Revision, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und die berichtigten Feststellungsbescheide vom 14. Juni 1971 und 4. November 1971 aufzuheben. Es wird Verletzung des § 104 BewG 1965 gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Die Auffassung des FG, daß sich die Pensionsverpflichtungen der Klägerin aus betrieblicher Übung ergebe, sei falsch. Für die betriebliche Übung sei das rein tatsächliche wiederholte Verhalten des Arbeitgebers entscheidend. Eines Rückgriffs auf das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung bedürfe es nur in den Fällen, in denen der Arbeitgeber keine generelle Erklärung abgegeben habe. So habe das BAG in der Entscheidung vom 5. Februar 1971 3 AZR 28/70 (DB 1971, 1117) ausgeführt, kennzeichnend für das Vorliegen einer betrieblichen Übung sei die Beschränkung auf den Einzelfall ohne Abgabe einer generellen Erklärung. Die Pensionsverpflichtungen der Klägerin ergäben sich aber aus der generellen Erklärung in der Pensionsordnung vom 22. Dezember 1961. Sie enthalte ein ausdrückliches Angebot des Arbeitgebers an die jeweiligen Arbeitnehmer zum Abschluß eines Pensionsvertrages. Einer ausdrücklichen Annahme dieses Vertragsangebotes bedürfe es nicht. Nach § 151 BGB reiche dazu schlüssiges Verhalten aus. Wenn das FG seine Auffassung entscheidend darauf stütze, daß nach dem Wortlaut der Pensionsordnung nur diejenigen Betriebsangehörigen in das Versorgungswerk aufgenommen würden, die im Besitz einer Versorgungsurkunde seien, so klammere es sich an den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks. Der Sinn dieser Bestimmung in der Pensionsordnung müsse darin gesehen werden, daß Klarheit darüber geschaffen werden sollte, wer versorgungsberechtigt sein sollte. Die Klägerin habe selbst diese Bestimmung nicht im strengen Wortsinn verstanden wissen wollen. Das ergebe sich daraus, daß sie in der Folgezeit an ihre Arbeitnehmer vorbehaltlos Pensionszahlungen erbracht habe. Durch die Übergabe der Urkunden an den Betriebsrat seien sie in die Arbeitnehmersphäre gelangt. Die Klägerin habe zudem, wie auch in der Einspruchsentscheidung bestätigt werde, den Betriebsrat angewiesen, die Urkunden dem jeweiligen Versorgungsempfänger auszuhändigen. Das übersehe das FG bei seiner Feststellung. Es sei auch nicht entscheidend, ob zwischen der Klägerin und dem Betriebsrat ein Verwahrungsvertrag zustande gekommen sei. Die Klägerin habe dadurch, daß sie den Betriebsrat angewiesen habe, die Urkunden an die Versorgungsempfänger auszuhändigen, auf ein etwaiges Rückforderungsrecht aus einem solchen Vertrag verzichtet. Es sei bereits in erster Instanz vorgetragen worden, daß auf die Pensionszahlungen im Rahmen von Betriebsversammlungen hingewiesen und in Stellenanzeigen der Klägerin in der örtlichen Tagespresse aufmerksam gemacht worden sei. Dabei sei auf die Versorgungsurkunde nicht hingewiesen worden. Deshalb habe auch der Betriebsratvorsitzende bei seiner Aussage vor dem Arbeitsgericht erklärt, die Arbeitnehmer wüßten nichts vom Vorhandensein der Versorgungsurkunden. Hieraus werde deutlich, daß den meisten Arbeitnehmern die Pensionsordnung nur in dieser eingeschränkten Form bekanntgeworden sei. Das in der Pensionsordnung liegende Angebot zum Abschluß eines Pensionsvertrages sei deshalb den Arbeitnehmern auch nur in dieser eingeschränkten Form zugegangen und könne von ihnen auch nur in dieser eingeschränkten Form angenommen worden sein. Durch die vorbehaltlosen Zahlungen von Pensionsleistungen durch die Klägerin ohne die Aushändigung einer Pensionsurkunde sei die Pensionsordnung durch schlüssiges Verhalten abgeändert worden. Die Pensionszahlungen beruhten weiterhin auf der Pensionsordnung und nicht auf betrieblicher Übung.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Pensionsanwartschaften, d. h. Pensionsverpflichtungen gegenüber Personen, bei denen der Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, können bei der Ermittlung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs nach § 104 Abs. 1 Satz 1 BewG 1965 (= § 62a Abs. 1 Satz 1 BewG i. d. F. vor BewG 1965) abgezogen werden, wenn sie auf vertraglichen Pensionsverpflichtungen beruhen oder sich aus einer Betriebsvereinbarung, einem Tarifvertrag oder einer Besoldungsordnung ergeben. Eine auf betriebliche Übung oder dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhende Pensionsverpflichtung gilt nach § 104 Abs. 1 Satz 2 BewG 1965 nicht als vertragliche Verpflichtung im Sinne des Satzes 1. Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, daß es sich im Streitfall um Pensionsanwartschaften handelt, die auf betrieblicher Übung oder auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhen und deshalb nach § 104 Abs. 1 Satz 2 BewG 1965 nicht abgezogen werden können.

a) Der Abzug der Pensionsanwartschaften bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens ist nach § 104 Abs. 1 BewG 1965 an die gleichen Voraussetzungen geknüpft wie nach § 6a des EStG die Bildung von Rückstellungen für solche Pensionsanwartschaften in der Steuerbilanz. Die VStR weisen deshalb in Abschn. 36a wegen der Beurteilung der Frage, ob eine rechtsverbindliche Pensionsverpflichtung vorliegt, auf die für § 6a EStG geltenden Anweisungen in Abschn. 41 Abs. 1-4 EStR. Nach diesen Anweisungen bedürfen die vertraglichen Pensionsverpflichtungen keiner bestimmten Form. Wenn sie durch eine allgemeine Pensionsordnung begründet werden, genügt es, daß der Arbeitnehmer dieser Pensionsordnung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. Im Zweifel soll das Vorliegen einer rechtsverbindlichen Pensionsverpflichtung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen beurteilt werden.

b) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin eine Pensionsordnung erlassen, in der den Arbeitnehmern eine betriebliche Altersversorgung zugesagt ist. Eine Pensionsordnung ist eine Gesamtzusage, d. h. eine Willenserklärung des Arbeitgebers, durch die er sich verpflichtet, seinen Arbeitnehmern nach Maßgabe der aufgestellten Ordnung die vorgeschriebenen Leistungen zu gewähren (vgl. Urteil des BAG vom 12. März 1963 3 AZR 266/ 62, AP Nr. 90 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Nach den Feststellungen des FG besteht nach Nr. 1 dieser Pensionsordnung ein Versorgungsanspruch nur, wenn die Arbeitnehmer im Besitz einer Versorgungsurkunde sind. An dieser einschränkenden Voraussetzung für das Bestehen eines Versorgungsanspruchs hat aber die Klägerin, wie sich aus den weiteren Feststellungen des FG, insbesondere aus der vom FG verwerteten Aussage des Betriebsratvorsitzenden der Klägerin vor dem Arbeitsgericht, ergibt, selbst nicht mehr festgehalten. Sie hat zwar zunächst Versorgungsurkunden drucken lassen und diese dem damaligen Betriebsratvorsitzenden übergeben. Sie hat diesem Betriebsratvorsitzenden eine Sekretärin zugeteilt, die in einen Teil dieser Urkunden die Namen der Arbeitnehmer eingesetzt hat. Es ist jedoch keine dieser Urkunden an einen Arbeitnehmer ausgehändigt worden. Auch die in dieser Urkunde vorgesehene schriftliche Bestätigung des Arbeitnehmers, daß er mit dem Inhalt der Versorgungsrichtlinien nach der Pensionsordnung einverstanden sei, wurde in keinem Fall abgegeben. Trotzdem hat die Klägerin in allen Fällen, in denen der Versorgungsfall eingetreten ist, die zugesagten Leistungen erfüllt. Aus diesem Verhalten kann nach Auffassung des Senats nur der Schluß gezogen werden, daß die Klägerin an der Einschränkung der Nr. 1 der Pensionsordnung nicht mehr festhalten wollte. Sie hat durch dieses Verhalten in schlüssiger Form die schriftliche Pensionsordnung abgeändert. Aus der Aussage des Betriebsratvorsitzenden ergibt sich weiter, daß den Arbeitnehmern diese Einschränkung der Pensionsordnung niemals bekanntgegeben worden ist. Die Arbeitnehmer konnten daher auch nur ausdrücklich oder stillschweigend der Pensionsordnung ohne diese Einschränkung zustimmen. Damit ist die Pensionsordnung auch nur in dieser Form Rechtsgrundlage für die Pensionsverpflichtungen der Klägerin geworden.

c) Entgegen der Auffassung des FG steht damit nicht in Widerspruch, daß das Arbeitsgericht M. die Rechtsgrundlage der Pensionsverpflichtungen der Klägerin nur in einer betrieblichen Übung gesehen hat. Das Arbeitsgericht hat am Anfang seiner Entscheidungsgründe ausgeführt, daß dem Arbeitnehmer gegen die Klägerin ein Anspruch auf Zahlung eines Versorgungsbetrages "aufgrund der Versorgungszusage nach Maßgabe der Pensionsordnung" zusteht. Das Arbeitsgericht sieht also die betriebliche Übung nicht als Rechtsgrundlage dafür an, daß überhaupt ein Versorgungsanspruch entstanden ist, sondern nur dafür, daß dieser Versorgungsanspruch auch ohne die Aushändigung einer Versorgungsurkunde entstanden ist. Es hat ausdrücklich offengelassen, "ob man ... in dem Verhalten der Beklagten ein schlüssig erklärtes Vertragsangebot erblickt, das gemäß § 151 Satz 1 BGB keiner Annahmeerklärung bedarf, ob man annimmt, die Beklagte habe durch ihr Verhalten ihre Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger konkretisiert oder ob man schließlich den durch dieses Verhalten erzeugten Vertrauenstatbestand der Beklagten als Haftungsgrund zurechnet". Das Arbeitsgericht konnte diese Fragen offenlassen, weil sich nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen auch aus der betrieblichen Übung allein eine uneingeschränkte Verpflichtung der Klägerin ergab. Da die betriebliche Übung nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 104 Abs. 1 Satz 2 BewG 1965 als Verpflichtungsgrund ausscheidet, hätte das FG prüfen müssen, ob sich aus anderen arbeitsrechtlichen Grundsätzen eine Rechtsverpflichtung der Klägerin ergibt. Das ist nach Auffassung des Senats schon aus den oben a) und b) dargelegten Gründen der Fall. Da das FG dies verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung sind die angefochtenen Einheitswertbescheide zu ändern. Es sind auch die bisher vom FA nicht zum Abzug zugelassenen Pensionsverpflichtungen an den einzelnen Stichtagen abzuziehen.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 333

BFHE 1974, 540

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