Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf nicht grunderwerbsteuerbar

 

Leitsatz (NV)

1. Anders als die Begründung eines neuen, die Übertragung und die Verlängerung eines bestehenden Erbbaurechts unterliegt das Erlöschen des Erbbaurechts infolge Zeitablaufs nicht der Grunderwerbsteuer. Daran ändert nichts, wenn der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für das Bauwerk leistet oder wenn das Bauwerk entschädigungslos auf den Eigentümer übergeht.

2. Auch der Übergang des vom Erbbauberechtigten in Ausübung seines Rechts errichteten Gebäudes als solches in das Eigentum des Grundstückseigentümers unterliegt nicht der Grunderwerbsteuer.

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 1, Abs. 2, § 2 Abs. 2 Nrn. 1-2; ErbbauVO § 1 Abs. 1, §§ 11-12, 14, 26-27; BGB § 94

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom März 1962 hatte die N Grundstücksgesellschaft mbH (GmbH) zugunsten des Herrn M an einem unbebauten Grundstück ein Erbbaurecht bestellt. Der Erbbauberechtigte war berechtigt und verpflichtet, auf dem Erbbaugrundstück ein Büro- und Lagergebäude nach den von der GmbH gebilligten Bauplänen zu errichten und instand zu halten. Ein Erbbauzins sollte nicht erhoben werden. Das Erbbaurecht begann mit der Eintragung in das Grundbuch und sollte am 30. September 1983 erlöschen. Beim Erlöschen des Erbbaurechts sollte der Erbbauberechtigte keinerlei Anspruch auf Entschädigung bzw. Vergütung erhalten.

Mit dem Erlöschen des Erbbaurechts ging das Gebäude entschädigungslos auf die GmbH über. Das damals zuständige Finanzamt beurteilte das Erlöschen des Erb baurechts durch Zeitablauf als Erwerbs vorgang i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983. Es berief sich dabei auf Tz. 1. 3. 3. i. V. m. Tz. 5. 2. 2. des koordinierten Länder erlasses des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 9. Juli 1985. Der Bemessung der Grunderwerbsteuer legte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) den anteiligen Einheitswert des Gebäudes zugrunde und setzte Grunderwerbsteuer fest; der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA von einer niedrigeren Bemessungsgrundlage ausging und die Grunderwerbsteuer herabsetzte.

Auf die von der GmbH erhobenen und von deren Rechtsnachfolgerin, der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), weitergeführten Klage hob das Finanzgericht (FG) den Grunderwerbsteuerbescheid sowie die Einspruchsentscheidung auf. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1992, 760 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG 1983 und beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat -- im Ergebnis -- zu Recht die Festsetzung der Grunderwerbsteuer durch das FA aufgehoben. Weder das Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf noch der damit verbundene Übergang des Eigentums an dem in Ausübung des Erbbaurechts von dem Erbbauberechtigten errichteten Bauwerk auf den Grundstückseigentümer (§ 12 Abs. 3 der Verordnung über das Erbbaurecht -- ErbbauV --) unterliegen der Grunderwerbsteuer.

1. Das Erbbaurecht ist das -- regelmäßig zeitlich befristete (vgl. § 27 ErbbauV) -- veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben (§ 1 Abs. 1 ErbbauV). Mit der Belastung des Grundstücks durch die Einräumung des dinglichen Gebrauchs- und Nutzungsrechts (§ 1 Abs. 1 ErbbauV) durch die eigentümerähnliche Erbbauberechtigung (§§ 11, 14 ErbbauV) wird für deren Dauer die Vollherrschaft an der Grundstücksfläche in Eigentum und Erbbauberechtigung gespalten. Dem Erbbauberechtigten steht für die Dauer seines Rechts eine eigentümerähnliche Form der Herrschaft an der Grundstücksfläche zu (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 28. November 1967 II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223; vgl. auch BFH-Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 122/76, BFHE 129, 223, BStBl II 1980, 136).

2. Grunderwerbsteuerrechtlich wird das Erbbaurecht durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 einem Grundstück gleichgestellt. Demzufolge unterliegen die Begründung eines neuen und die Übertragung eines bestehenden Erbbaurechts ebenso der Grunderwerbsteuer (BFH-Urteil in BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223) wie die diesen beiden Gestaltungen vergleichbare Verlängerung (§ 27 Abs. 3 ErbbauV) eines bestehenden Erbbaurechts (Senatsurteil vom 18. August 1993 II R 10/90, BFHE 172, 122, BStBl II 1993, 766).

Im Streitfall liegt keine Gestaltung vor, die den den genannten Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten entsprechen würde. Im Falle des Erlöschens des Erbbaurechts infolge Zeitablaufs räumt der Erbbauberechtigte dem Grundstückseigentümer insbesondere keine ihm (noch) zustehende Berechtigung an dem Erbbaurecht ein. Es erlischt vielmehr mit dem Eintritt des Endtermins (§ 27 f. ErbbauV), weil es dem Erbbauberechtigten von vornherein nur mit diesem Inhalt eingeräumt worden war (Hofmann, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 5. Aufl., § 2 Rdnr. 23; vgl. auch Fischer in Boruttau/Egly/Sigloch, Grund erwerbsteuergesetz, Kommentar, 13. Aufl., § 2 Rz. 137). Das Erbbaurecht ist mit dem zu seinem Inhalt gehörenden Zeitablauf beendet; es ist damit "verbraucht". Ein Übergang einer Erbbauberechtigung i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 auf den Grundstückseigentümer findet nicht statt.

Hierin liegt auch der rechtlich erhebliche Unterschied zur rechtsgeschäftlichen Aufhebung des Erbbaurechts (§ 26 ErbbauV; BFH-Urteil vom 31. März 1976 II R 93/75, BFHE 118, 480, BStBl II 1976, 470), denn nach der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Gestaltung des Sachverhalts war das Erbbaurecht noch nicht beendet; der Erbbauberechtigte verzichtete aber auf seine noch bestehende Berechtigung an dem Grundstück i. S. des § 1 Abs. 1 ErbbauV zugunsten des Grundstückseigentümers, der seinerseits das Vollrecht über sein Grundstück (erst) aufgrund des Verzichts des Erbbauberechtigten erlangte.

Dem Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf kommt nicht deshalb die Bedeutung eines der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgangs zu, weil der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für das Bauwerk zu leisten hat (§ 27 Abs. 1 Satz 1 ErbbauV) oder weil, wie im Streitfall zulässigerweise (§ 27 Abs. 1 Satz 2 ErbbauV) vereinbart, das Bauwerk entschädigungslos auf den Eigentümer übergeht, ihm also dessen Wert zufließt. Das FA verkennt bei seiner hierauf gestützten Argumentation, daß sich die Frage, ob ein der Grunderwerbsteuer unterliegender Rechtsvorgang gegeben ist, anhand der -- im Streitfall nicht erfüllten -- Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 GrEStG 1983 entscheidet und nicht danach, ob an einen Vorgang ein Wertzufluß geknüpft ist, der ggf. zu entschädigen ist.

3. Auch hinsichtlich des Bauwerks selbst ergibt sich kein Vorgang, der gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 (vgl. insoweit BFH- Urteil vom 27. März 1985 II R 37/83, BFHE 143, 379, BStBl II 1985, 526) der Grunderwerbsteuer unterliegt. Das von dem Erbbauberechtigten in Ausübung seines Rechts (§ 1 Abs. 1 ErbbauV) errichtete Bauwerk ist kein Gebäude auf fremdem Boden (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983; BFH- Urteil in BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223). Der Erbbauberechtigte errichtet das Bauwerk im Verhältnis zum Grundstücks eigentümer nicht auf fremdem, sondern auf "eigenem" Boden, nämlich "auf dem Erbbaurecht"; das aufgrund des Erbbaurechts errichtete Bauwerk wird wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts (§ 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ErbbauV, § 94 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --). Als solcher geht das Bauwerk beim Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf nicht aufgrund einer Verwertungsbefugnis des Erbbauberechtigten i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 auf den Grundstückseigentümer über. Vielmehr tritt eine -- der Vorschrift des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 entzogene -- andere Zuordnung des Bauwerks zum Grundstück ein. Das Bauwerk als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts wird unmittelbar kraft Gesetzes mit dem Erlöschen des Erbbaurechts wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 12 Abs. 3 ErbbauV, § 94 BGB) und damit (rechtliches) Eigentum des Grundstückseigentümers (§§ 903, 94, 93 BGB; vgl. hierzu auch BFH-Urteil in BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420562

BFH/NV 1995, 728

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