Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Umstand, daß eine Gruppe von Gesellschaftern einer Personengesellschaft einen Mitgesellschafter an der Ausübung seiner Gesellschafterrechte verhindert, begründet kein wirtschaftliches Eigentum der Gesellschaftergruppe an dem Gesellschaftsanteil des Mitgesellschafters.

 

Normenkette

AO § 216 Abs. 1 Nr. 2; StAnpG § 11 Nr. 4

 

Tatbestand

Es ist mündliche Verhandlung beantragt. Dem Senat erschien es zweckmäßig, zunächst ohne mündliche Verhandlung durch Vorbescheid (ß 294 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -) zu erkennen. Streitig ist die dem Beschwerdeführer (Bf.) gegenüber vorgenommene Zurechnung eines Anteils am Einheitswert des Betriebsvermögens der Großkellerei J. F. KG für den 21. Juni 1948. Der Anteil des Bf. ist in dem Einheitswertbescheid vom 23. November 1953 auf 65.000 DM festgestellt worden. Der Bf. bestreitet jedoch, daß ihm überhaupt ein Anteil an diesem Betriebsvermögen zugerechnet werden dürfe. Folgender Sachverhalt liegt vor: Bis Anfang 1938 waren Gesellschafter der damals bestehenden OHG Großkellerei der inzwischen verstorbene J. B. F. und sein Bruder J. F. Gegen diese beiden und drei Angestellte der Firma wurde im Jahre 1937 ein Strafverfahren eröffnet, in dessen Verlauf die Brüder in Untersuchungshaft genommen wurden. Durch Urteil der Großen Strafkammer vom 26. Juli 1939 wurden die beiden Brüder wegen Betrugs und Vergehens gegen das Weingesetz zu Gefängnis und Geldstrafen verurteilt. Da die Brüder befürchteten, daß ihnen möglicherweise die Betriebsführereigenschaft abgesprochen und sie dadurch von tätiger Mitwirkung in ihrem Betrieb ausgeschlossen werden könnten, entschlossen sie sich, ihre damaligen Prokuristen, den Bf. und P. G., in die Firma aufzunehmen. Durch einen von dem Verteidiger der beiden Brüder entworfenen Gesellschaftsvertrag vom 8. Januar 1938 wurde die OHG in eine KG umgewandelt. Persönlich haftende Gesellschafter wurden J. F., der Bf. und G., während J. B. F. in die Stellung eines Kommanditisten zurücktrat. Das Anfangskapital der KG wurde laut Vertrag auf 480.000 RM festgesetzt. An ihm waren beteiligt die Gebrüder F. mit je 220.000 RM und der Gesellschafter G. sowie der Bf. mit einer Einlage von je 20.000 RM. Für die zuletzt Genannten war im Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit vorgesehen, eine fortschreitende Erhöhung ihrer Beteiligung bis zur Höchstgrenze von 80.000 RM vorzunehmen. Nach Kriegsende (1945) entstanden Streitigkeiten unter den Gesellschaftern. Die Gesellschafter J. F. sowie die Erben des verstorbenen Gesellschafters J. B. F. (Gruppe F) versuchten, den Bf. und den Mitgesellschafter G. aus der KG herauszudrängen. Dem Bf. und G. wurde der Zutritt zum Betrieb der Firma und die Einsichtnahme in die Geschäftsbücher verwehrt. Sie mußten deshalb den Erlaß einer einstweiligen Verfügung erwirken, in der dem J. F. aufgegeben wurde, dem Bf. und G. in der Zeit vom 12. bis 20. März 1946 in den Geschäftsräumen der Firma die Einsichtnahme in die Bücher der Firma und den Zutritt in die Geschäftsräume der Firma zu gestatten. Am 22. März 1946 schrieb die Gruppe F. an die Deutsche Bank, daß das bisherige Konto der KG aufzulösen und für die Zukunft ein Konto unter der Bezeichnung J. F. zu führen sei. Zeichnungsberechtigt seien zur Zeit allein J. F., seine Frau und seine Schwägerin H. F. Weiter kündigte die Gruppe F. am 30. Juli 1946 die KG. Am 31. Juli 1946 hingegen beschlossen der Bf. und G. die KG gemäß § 39 des Gesellschaftsvertrags unter sich fortzusetzen. Am 17. Oktober 1946 wurde in einer Gesellschafterversammlung der Ausschluß des Bf. und des G. gemäß § 40 des Gesellschaftsvertrags wegen schwerer Pflichtverletzung beschlossen. Im Herbst 1946 benachrichtigte die Gruppe F. den Bf. davon, daß sie seine Einlage bei der früheren KG auf ein Separatkonto bei der Städtischen Sparkasse eingezahlt habe, und daß ihm dieser Betrag dort zur Verfügung stände. Es kam zwischen dem Bf. und G. (Kläger) und J. F. und der Witwe des J. B. F. (Beklagten) zu einem Rechtsstreit wegen Feststellung des Bestehens des Gesellschaftsverhältnisses noch am 31. Dezember 1946. Die Beklagten (Gruppe F.) beantragten Abweisung der Klage und im Wege der Widerklage unter anderem die Auflösung der KG durch gerichtliche Entscheidung. Das Urteil des Landgerichts vom 28. September 1949 hat festgestellt, daß das zwischen den Parteien begründete Gesellschaftsverhältnis am 31. Dezember 1946 noch bestanden hat. Es hat jedoch die Gesellschaft auf die Widerklage hin aufgelöst, weil bei den tiefgreifenden Spannungen unter den Gesellschaftern keine befriedigende Zusammenarbeit für die Zukunft erwartet werden könne. Gegen dieses Urteil wurde von der Gruppe F. Berufung eingelegt. Am 3. Oktober 1949 haben die Beteiligten vor dem Oberlandesgericht, Zivilsenat, einen Vergleich abgeschlossen. In diesem Vergleich erklärten der Bf. und G., daß sie mit sofortiger Wirkung aus der KG ausscheiden und sämtliche bezüglich dieser Gesellschaft ihnen zustehenden Rechte der Gesellschaft übertragen. Die Gesellschaft dagegen verpflichtete sich, die ausscheidenden Gesellschafter von allen Gesellschaftsschulden freizustellen, jedoch nicht von etwa aus dem Lastenausgleich erwachsenden Verbindlichkeiten. Mit der Fortführung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter erklärten sich die ausscheidenden Gesellschafter einverstanden. Zum Zwecke der Abfindung verpflichtete sich die KG, an jeden der beiden ausscheidenden Gesellschafter einen Betrag von 80.000 DM zu zahlen, abzüglich gewisser den Genannten bereits zugeflossener Beträge. Der Betrag sollte in der Weise getilgt werden, daß die KG Weinlieferungen im Werte von 30.000 DM an jeden der beiden ausscheidenden Gesellschafter tätigte und den Restbetrag bis zum 10. Oktober 1949 und 1. April 1950 zinslos an die Berechtigten zahlte.

Der Einspruch des Bf. gegen den Einheitswertbescheid über das Betriebsvermögen der Großkellerei J. F. KG wegen Zurechnung des Anteils an diesem Betriebsvermögen ist vom Steuerausschuß beim Finanzamt als unbegründet zurückgewiesen worden. In der Berufung hiergegen führte der Bf. aus, daß er durch das eigenmächtige Verhalten der Gruppe F. tatsächlich bereits seit 1945 kein Recht mehr am Betriebsvermögen der KG gehabt habe. Die Gruppe F. habe sich seines Anteils am Gesellschaftsvermögen bemächtigt und diesen in ihren Eigenbesitz genommen. Daher müsse ihr auch der unzutreffend ihm zugerechnete Betriebsvermögensanteil nach steuerlichen Grundsätzen über wirtschaftliches Eigentum zugerechnet werden. Zivilrechtlich allerdings sei er (der Bf.) erst am 3. Oktober 1949 aus der KG ausgeschieden und daher am Währungsstichtag noch Gesellschafter gewesen. Die zivilrechtliche Beurteilung sei indessen für das Steuerrecht nicht maßgebend. Auch die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das Finanzgericht hat das angefochtene Urteil im wesentlichen wie folgt begründet: Die Frage, ob ein Gesellschafter an einem bestimmten Zeitpunkt an der Gesellschaft beteiligt sei, könne nur nach zivilrechtlichen Vorschriften entschieden werden. Am Währungsstichtag sei der Bf. nach handelsrechtlichen Grundsätzen noch Gesellschafter der KG gewesen. Wirtschaftliches Eigentum der Gruppe F. an dem Geschäftsanteil des Bf. sei nicht anzuerkennen. Durch das eigenmächtige Handeln der Gruppe F. sei die Beteiligung des Bf. nicht beseitigt worden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Bf. Es werden Rechtsirrtümer, Verstöße gegen den klaren Inhalt der Akten und wesentliche Verfahrensmängel gerügt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt nicht zum Erfolg.

Der Verstoß gegen den Akteninhalt besteht nach den Ausführungen des Bf. darin, daß das Finanzgericht seine Angaben über das eigenmächtige Verhalten der Gruppe F. außer acht gelassen habe. Dieser Vorwurf greift nicht durch. Das Finanzgericht hat das Verhalten der Gruppe F. nicht unbeachtet gelassen, brauchte aber von seinem Rechtsstandpunkt aus, daß das eigenmächtige Handeln der Gruppe F. die gesellschaftsrechtliche Stellung des Bf. unerschüttert gelassen habe, hierauf nicht weiter einzugehen. Aus demselben Grund liegt auch kein wesentlicher Verfahrensmangel darin, daß das Finanzgericht über einzelne Angaben des Bf. hinsichtlich des Verhaltens der Gruppe F. keinen Beweis erhoben hat. Abwegig ist die Auffassung des Bf., daß das Finanzamt an den (berichtigten) Bescheid vom 30. Mai 1952 über die gesonderte Feststellung des Gesellschaftsvermögens gemäß § 51 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes (1. StDVO-SHG), in dem es eine Beteiligung des Bf. am Betriebsvermögen der KG nicht angenommen habe, bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der KG auf den Währungsstichtag gebunden sei. Den Ausführungen des Finanzgerichts hierzu tritt der Senat bei.

Es bleibt nur noch zu prüfen, ob das angefochtene Urteil den Begriff des wirtschaftlichen Eigentums rechtsirrig ausgelegt hat. Dies ist zu verneinen. Gemäß § 11 Ziff. 4 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) werden Wirtschaftsgüter, die jemand im Eigenbesitz hat, dem Eigenbesitzer zugerechnet. Eigenbesitzer ist, wer ein Wirtschaftsgut als ihm gehörig besitzt. Es kommt also darauf an, ob die Gruppe F. am Stichtag Eigenbesitzer des Gesellschaftsanteils des Bf. war. Die Gesellschafter einer Personengesellschaft sind an dem Gesellschaftsvermögen, einem Inbegriff von Sachen und Rechten, gemeinschaftlich berechtigt. Es besteht eine Gesamthandgemeinschaft. Kein Gesellschafter hat ein selbständiges Teilrecht an dem Gesellschaftsvermögen. Erst recht hat kein Gesellschafter ein selbständiges Recht an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen. Der einzelne Gesellschafter kann daher auch nicht über seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen oder einen Anteil an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen verfügen (Palandt, BGB, 15. Aufl. § 719 Anm. 1). Ebensowenig kann ein Gesellschafter Besitz oder Eigenbesitz an dem Gesellschaftsanteil eines anderen Gesellschafters erwerben. Damit entfällt bereits die Anwendung des § 11 Ziff. 4 StAnpG. Auf Grund dieser Rechtslage hat das Finanzgericht die Möglichkeit der Entstehung wirtschaftlichen Eigentums an der Gesamthandbeteiligung des Bf. abgelehnt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Frage nach dem wirtschaftlichen Eigentum an einem Gesamthandanteil, wie das Finanzgericht ausgesprochen hat, nur nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist. Das Urteil des Bundesfinanzhofs III 9/52 U vom 20. Februar 1953 (Slg. Bd. 57 S. 184, Bundessteuerblatt 1953 III S. 74), wonach wirtschaftliches Eigentum an ideellen Anteilen der Miteigentümer eines Grundstücks bestehen kann, stände jedenfalls der Ablehnung wirtschaftlichen Eigentums an einer Gesamthandbeteiligung nicht entgegen. Entscheidend ist jedoch im Streitfall, daß unter den hier vorliegenden besonderen Verhältnissen, auch abgesehen von zivilrechtlichen Grundsätzen, von einem wirtschaftlichen Eigentum der Gruppe F. an dem Gesellschaftsanteil des Bf. nicht gesprochen werden kann. Die Streitigkeiten unter den Gesellschaftern sind bald nach Kriegsende ausgebrochen. Die Gruppe F. verfolgte hartnäckig das Ziel, den Bf. und den Gesellschafter G. aus der Gesellschaft herauszudrängen. Der Bf. und G. verteidigten ebenso zäh ihre gesellschaftsrechtliche Stellung. Es kam zur Klageerhebung beim Landgericht bereits am 20. März 1946. Auf Gesellschafterversammlungen hatten die Gesellschafter mit Ausschluß, Kündigung und Fortsetzung der Gesellschaft unter bestimmten Gesellschaftern gegeneinander operiert. Wenn die Auffassungen der Beteiligten so auseinandergehen und in einem Rechtsstreit um die Herbeiführung der Klärung in dieser Form gerungen wird, kann im allgemeinen während des Schwebens dieses Rechtsstreits keine der beiden Parteien als wirtschaftlicher Eigentümer des im Streit befangenen Gegenstands angesehen werden. Denn jede der beiden Parteien nimmt den Gegenstand nur in Kenntnis des entgegengesetzten Anspruchs des Prozeßgegners und unter Einbeziehung des Prozeßrisikos für sich in Anspruch. Im Streitfall ist es grundsätzlich zutreffend, von dem für den Stichtag nicht mehr strittigen zivilrechtlichen Eigentum auszugehen. In der Regel gehen zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum zusammen. Letzteres ist häufig der Vorläufer des juristischen Eigentums. Die Fälle des Auseinandergehens von zivilrechtlichen und steuerrechtlichem Eigentum sind Ausnahmefälle. Die Situation ist im Streitfall anders als beim unentdeckt gebliebenen Dieb, der die gestohlene Sache unangefochten in seiner tatsächlichen Gewalt hat und sie auch für sich behalten will. Er ist allerdings Eigenbesitzer und damit wirtschaftlicher Eigentümer der gestohlenen Sache, während der Bestohlene nur das zivilrechtliche Eigentum an der Sache behalten hat. Gegen den Eigenbesitzwillen der Gruppe F. spricht übrigens auch noch der Umstand, daß sie das Guthaben des Bf. und des Mitgesellschafters G. auf Sonderkonto überwiesen hat. Daraus ergibt sich, daß die Gruppe F. sich jedenfalls nicht als wirtschaftlicher Eigentümer des dem Bf. zustehenden Vermögenswerts gefühlt hat. Schließlich hat die Auffassung von der rechtlichen und tatsächlichen Fortdauer der gesellschaftsrechtlichen Stellung des Bf. auch durch das Urteil des Landgerichts und durch den Inhalt des Vergleichs eine Bestätigung gefunden. Dem Umstand, daß die Gruppe F. den Bf. von der Betätigung in der Gesellschaft zeitweise abgedrängt hat, kommt hiernach nicht die Bedeutung der Anerkennung wirtschaftlichen Eigentums der Gruppe F. an dem Gesellschaftsanteil des Bf. zu. Dem angefochtenen Urteil war hiernach beizutreten.

 

Fundstellen

BStBl III 1957, 126

BFHE 1957, 331

BFHE 64, 331

StRK, AO:216 R 5

NJW 1957, 1296

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