Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Arbeitslohn sind auch die Einnahmen aus einer Tätigkeit, die neben der Haupttätigkeit für den gleichen Arbeitgeber geleistet wird, wenn beide Tätigkeiten zusammenhängen.

Provisionen, die Angestellte im Innendienst einer Versicherungsgesellschaft für die Vermittlung von Versicherungsgeschäften von der Versicherungsgesellschaft erhalten, sind nicht ohne weiteres Arbeitslohn. Der entgegenstehenden Rechtsauffassung des Reichsfinanzhofs (Entscheidung IV A 44/36 vom 23. September 1937, RStBl 1937 S. 1186) und der Finanzverwaltung (Abschn. 8 Abs. 2 LStR 1952) tritt der Senat nicht bei.

 

Normenkette

EStG § 19; LStDV § 2; LStR Abschn. 8 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine Versicherungsgesellschaft, zahlte einem Angestellten für die Vermittlung eines Versicherungsabschlusses eine Provision von 52,37 DM. Der Angestellte war im Innendienst beschäftigt. Er war vertraglich nicht verpflichtet, Versicherungsverträge für die Bfin. abzuschließen, und vermittelte das streitige Geschäft außerhalb der Dienstzeit. Das Finanzamt betrachtete die Provision als Arbeitslohn und machte die Bfin. als Arbeitgeberin wegen Nichteinbehaltung der Lohnsteuer, des Notopfers Berlin und der Kirchenlohnsteuer haftbar. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung wie folgt: Die Lohnsteuerpflicht für den streitigen Betrag ergebe sich aus Abschn. 8 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1952. Diese Verwaltungsanweisung entspreche dem Gesetz. Wenn der Angestellte auch nicht verpflichtet gewesen sei, Versicherungsverträge zu vermitteln, so sei eine solche freiwillige Nebentätigkeit der Bfin. als Arbeitgeberin doch erwünscht gewesen. Die Nebentätigkeit habe im Rahmen der Gesamtstellung des Angestellten gelegen. Die Bfin. zahle auch dritten Personen, die nicht ihre Arbeitnehmer sind, Provisionen für gelegentliche Vermittlungen. Sie gewähre aber im Innendienst beschäftigten Angestellten die gleichen Provisionssätze wie Generalvertretern, während andere Personen geringere Sätze erhielten. Die Vermittlungstätigkeit der Angestellten gehöre deshalb zu ihren - wenn auch freiwilligen - Obliegenheiten als Arbeitnehmer. Es würde auch dem Zweck des Gesetzes widersprechen, Vermittlungsprovisionen als Einkünfte aus gelegentlicher Vermittlung (§ 22 Ziff. 3 Des Einkommensteuergesetzes - EStG -) anzusehen und bei Nichterreichen der Freigrenze von 300 DM im Kalenderjahr steuerfrei zu lassen.

Die Bfin. bestreitet weiterhin, daß die streitige Provision Arbeitslohn sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs hat Fälle der vorliegenden Art verschieden beurteilt. In der Entscheidung VI A 2017/30 vom 18. Dezember 1930 (Steuer und Wirtschaft - StuW - 1931 Nr. 158) wurde ausgeführt, bei Vermittlungstätigkeit außerhalb des Dienstvertrags liege es näher, statt Arbeitslohn selbständige Berufstätigkeit oder gelegentlichen Leistungsgewinn anzunehmen, wie auch der unselbständige Generalagent einer Versicherungsgesellschaft bei Versicherungsabschlüssen, die er nicht vertragsmäßig abschließen müsse, selbständig sein könne. Es bedürfe im Einzelfall eines näheren Eingehens auf die Verträge und die vertragliche Tätigkeit des Provisionsempfängers. Im Urteil IV A 44/36 vom 23. September 1937 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1937 S. 1186) wurde dagegen angenommen, daß Einnahmen, die ein Angestellter eines Versicherungsunternehmens neben den regelmäßigen Bezügen vom Arbeitgeber dafür erhalte, daß er ihm Versicherungsnehmer zuführe, regelmäßig Arbeitslohn seien. Die vom Unternehmen erwarteten, wenn auch freiwillig geleisteten Werbungen eines Angestellten, die sich zum Vorteil aller Beteiligten auswirkten, seien Ausfluß des Dienst- und Treueverhältnisses zwischen Unternehmer und Betriebsangehörigen. Sämtliche Zahlungen, die ein Arbeitnehmer neben dem eigentlichen Arbeitslohn vom Arbeitgeber für Dienste erhalte, die er zum Vorteil des Unternehmens leiste, seien Arbeitslohn. Das gelte sogar für ehemalige Angestellte (Ruhegehaltsempfänger).

Die Finanzverwaltung hat in übereinstimmung mit den Grundsätzen des letztgenannten Urteils in Abschn. 8 Abs. 2 LStR 1952 die Finanzämter angewiesen, Provisionen der in Frage stehenden Art auch dann als Arbeitslohn zu behandeln, wenn die gelegentliche Vermittlung nicht zu den engeren dienstlichen Aufgaben der im Innendienst beschäftigten Angestellten gehöre.

Arbeitslohn sind alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer "aus dem Dienstverhältnis" zufließen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 der Lohnsteuer- Durchführungsverordnung - LStDV -). Arbeitslohn sind nicht nur Einnahmen aus der Haupttätigkeit für den Arbeitgeber, sondern auch aus einer zusätzlich übernommenen Nebentätigkeit für den gleichen Arbeitgeber, sofern sie mit der Haupttätigkeit zusammenhängt. Diese Voraussetzung ist z. B. gegeben, wenn Nebentätigkeit und Haupttätigkeit im wesentlichen dem gleichen Arbeitsgebiet angehören, oder wenn die Erfahrungen und Kenntnisse aus der Haupttätigkeit bei der Nebentätigkeit verwertet werden, oder wenn dem Arbeitnehmer die Nebentätigkeit auf Grund seiner hauptberuflichen Vertrauensstellung übertragen wird. Ein Dienstverhältnis setzt aber begrifflich voraus, daß die Tätigkeit "unselbständig" ist. Das ist der Fall, wenn die tätige Person im Geschäft des Unternehmers (Arbeitgebers) dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 3 LStDV). Die Rechtsprechung zur Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer hat gerade für das Versicherungsgewerbe übereinstimmend angenommen, daß die gleiche Person (Generalagent) hinsichtlich ihrer Tätigkeit für dasselbe Unternehmen gleichzeitig selbständig und unselbständig sein könne (gemischte Tätigkeit). Eingliederung in den Betrieb des Unternehmens und damit Unselbständigkeit wird angenommen, soweit der Generalagent Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hat. Die Vermittlung von Versicherungsabschlüssen für das gleiche Unternehmen (Neugeschäft) wird aber als selbständige Tätigkeit angesehen, weil insoweit der Generalagent in der Betätigung seines geschäftlichen Willens frei ist und der Weisungsbefugnis des Versicherungsunternehmens nicht unterliegt (vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Versicherungsagenten"). Die Vermittlungstätigkeit des Angestellten gehörte im vorliegenden Fall nicht zu seinem vertraglichen Arbeitsbereich als Innenbeamter. Beide Tätigkeiten hatten ihrer Art nach keinen Zusammenhang und bedingten sich gegenseitig nicht. Der Angestellte brachte das Geschäft außerhalb der Dienstzeit zustande. Er war nicht vertraglich verpflichtet, für die Bfin. zu werben. Die Tatsache, daß er nur eine Neuversicherung vermittelte, beweist, daß er keine besonderen Anstrengungen in dieser Hinsicht machte, ohne daß er damit aber etwa gegen seine Vertragspflichten als Angestellter gegenüber der Bfin. verstieß. Das Finanzgericht hat nicht festgestellt, ob der Angestellte gelegentliche Abschlüsse nur für die Bfin. vermitteln durfte oder ob es ihm nicht freistand, solche Versicherungen auch bei Konkurrenzunternehmen unterzubringen. Die Bfin. zahlte jedenfalls jeder Person, auch wenn sie nicht ihre Arbeitnehmer waren, für die Neuzuführung eines Versicherungsnehmers eine Provision. Der Senat nimmt unter diesen Umständen an, daß die Vermittlung von Versicherungsabschlüssen nicht im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geschah und die Versicherungsprovision deshalb nicht "aus dem Dienstverhältnis" gezahlt wurde.

Der entgegenstehenden Auffassung des Reichsfinanzhofs in dem erwähnten Urteil vom 23. September 1937 und der Finanzverwaltung in Abschn. 8 Abs. 2 LStR tritt der Senat nicht bei. Es geht über das Gesetz hinaus, wenn alle Zahlungen, die ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für Dienstleistungen zum Vorteil des Unternehmens gewährt, als Arbeitslohn behandelt werden. Es kommt darauf an, ob sie "aus dem Dienstverhältnis" geleistet werden. Diese Voraussetzung ist im Einzelfall auf Grund des Arbeitsvertrags und der tatsächlichen Verhältnisse festzustellen. Die Auffassung, daß die Treueverpflichtung Geschäfte der vorliegenden Art zu einem Teil des Arbeitsverhältnisses mache, kann bei verständiger Interessenabwägung aus dem Wesen des Arbeitsverhältnisses nicht hergeleitet werden. Das Urteil setzt sich im übrigen auch in Widerspruch zu der sonstigen Rechtsprechung. Wenn, wie es annimmt, alle Zahlungen an Arbeitnehmer für Dienste zum Vorteil des Unternehmens Arbeitslohn wären, so könnte beim Generalagenten eine gemischte Tätigkeit nicht gegeben sein, soweit er für das gleiche Versicherungsunternehmen tätig ist. Im Gegensatz zu der erwähnten ständigen Rechtsprechung müßten dann auch die Provisionen für die Vermittlung von Neugeschäften Arbeitslohn sein. Das Urteil weist auch darauf hin, daß nach der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 898/31 vom 22. Oktober 1931 (RStBl 1931 S. 953) Vermittlungsprovisionen von Angestellten im Hypothekenbankgewerbe für den Pfandbriefverkauf Arbeitslohn seien (Abschn. 8 Abs. 1 LStR 1952). Der Senat nimmt zu dieser Frage nicht abschließend Stellung. Es bedürfte näherer Prüfung, ob die Verhältnisse im Bankgewerbe und im Versicherungsgewerbe gleich sind und ob nicht im Bankgewerbe der Zusammenhang zwischen Haupttätigkeit und Vermittlungsgeschäft besteht, der im vorliegenden Fall fehlt.

Das Finanzgericht begründet den Zusammenhang zwischen Haupt- und Nebentätigkeit auch damit, daß dem Angestellten die höheren Provisionssätze für Generalagenten vergütet worden seien; fremde Personen hätten geringere Sätze erhalten. Wenn auf die Höhe des Provisionssatzes für die Beurteilung der Art der Tätigkeit überhaupt Gewicht gelegt werden kann, so spricht das Gebot gleichmäßiger Behandlung wirtschaftlich gleichgelagerter Fälle dafür, die Provision für den Neuabschluß bei dem Angestellten ebenso als Einnahme aus selbständiger Tätigkeit zu behandeln wie beim Generalagenten. Auch bei diesem macht der höhere Satz die Provision nicht zu einer Einnahme aus nichtselbständiger Tätigkeit. Es braucht deshalb nicht geprüft zu werden, warum die Bfin. die Staffelung vornimmt.

Die Erwägung des Finanzgerichts, es würde dem Zweck des Gesetzes widersprechen, im Hinblick auf die Freigrenze des § 22 Ziff. 3 EStG Provisionen von Versicherungsangestellten als Einnahmen aus gelegentlichen Vermittlungen zu behandeln, ist rechtsirrig. Es entspricht keineswegs dem Gesetz, Einkünfte der vorliegenden Art auf jeden Fall steuerpflichtig zu machen. Das Gesetz will durch Freigrenzen, wie sie z. B. in § 22 Ziff. 3 und § 46 Abs. 1 Ziff. 2 EStG enthalten sind, in erster Linie durch die Ausschaltung von Bagatellsachen die Verwaltungsarbeit erleichtern. Es will aber auch geringfügige Nebeneinkünfte von der Besteuerung ausnehmen, da sie erfahrungsgemäß überwiegend sozial schwächeren Steuerpflichtigen zufließen. Das Finanzgericht übersieht aber auch, daß die Streitfrage in größerem Zusammenhang betrachtet werden muß. Wären die Vermittlungsgeschäfte der Innenbeamten stets Arbeitslohn, so könnten die Provisionen, auch wenn sie größeren Umfang hätten, nicht der Umsatzsteuer und Gewerbesteuer unterliegen. In diesem Fall führte die Auffassung des Finanzgerichts zu einer ungerechtfertigten steuerlichen Bevorzugung der Innenbeamten gegenüber den Generalagenten und Spezialagenten, deren Provisionen aus Versicherungsabschlüssen umsatz- und gewerbesteuerpflichtig sind. Dieses Ergebnis führte zu ungleichen Konkurrenzbedingungen für eine gleichartige Tätigkeit. Unter Berücksichtigung des Zwecks des Gesetzes und der wirtschaftlichen Verhältnisse kann deshalb die streitige Provision nicht als Arbeitslohn angesehen werden.

Ob Provisionen der vorliegenden Art sonstige Leistungsgewinne im Sinn des § 22 Ziff. 3 EStG oder gewerbliche Einkünfte im Sinn des § 15 EStG sind, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden. Hier handelt es sich um eine gelegentliche Einnahme im Sinn des § 22 Ziff. 3 EStG, da der Angestellte sich offenbar nicht nachhaltig in dieser Form am Wirtschaftsleben beteiligen wollte.

Die Vorentscheidung ist demnach wegen rechtsirriger Anwendung des § 19 in Verbindung mit § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG (§ 46 LStDV) aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da die Provision nicht Arbeitslohn ist, mußte der Haftungsbescheid ersatzlos aufgehoben werden.

Wegen des Sachverhalts wird auf den Vorbescheid vom 8. Juli 1954 hingewiesen.

In der von ihm beantragen mündlichen Verhandlung wies der Vorsteher des Finanzamts darauf hin, daß die Beschwerdeführerin (Bfin.) die Angestellten im Innendienst durch das vorgelegte Rundschreiben zu verstärkter Werbetätigkeit angeregt habe und daß ihr also eine solche Werbetätigkeit erwünscht gewesen sein müsse. Früher sei im Tarifvertrag bestimmt gewesen, daß die Angestellten Versicherungen nicht bei Konkurrenzunternehmen unterbringen durften (Konkurrenzklausel). Im derzeitigen Tarifvertrag fehle eine solche Bestimmung; sie gelte aber selbstverständlich fort. Die im Vorbescheid vertretene Rechtsauffassung sei in der Praxis schwer durchführbar und ermögliche den Steuerpfichtigen, durch vertragliche Aufspaltung wirtschaftlich einheitlicher Arbeitsbezüge ungerechtfertigte steuerliche Vorteile zu erlangen.

Der Vertreter der Bfin. legte dar, daß es den Angestellten im Innendienst an sich unbenommen sei, Neugeschäfte auch bei Konkurrenzunternehmen unterzubringen. Es werde aber erwartet, daß sie die Bfin. davon unterrichten.

Die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung geben dem Senat keine Veranlassung, von der im Vorbescheid begründeten Rechtsauffassung abzugehen.

Es liegt auf der Hand, daß der Bfin. aus geschäftlichen Gründen die Werbetätigkeit der Angestellten im Innendienst ebenso erwünscht ist wie eine rege Werbetätigkeit der Agenten im Außendienst. Aus der äußerung eines solchen Wunsches ergibt sich kein Anhalt für die Frage, ob die Werbetätigkeit selbständig oder unselbständig ausgeübt wird. Es kann dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfange zur Zeit eine Konkurrenzklausel gilt und ob der Wegfall der Konkurrenzklausel im derzeitigen Tarifvertrag, wie die Bfin. behauptet, auf einer Neuwertung des Arbeitsverhältnisses beruht. Denn der Senat hat im Vorbescheid die Frage der Konkurrenzklausel offengelassen. Die Entscheidung beruht als nicht darauf. Die Rechtsauffassung des Senats kann auch nicht, wie der Vorsteher des Finanzamts annimmt, dazu führen, ein einheitliches Arbeitsverhältnis beliebig in eine Haupttätigkeit und eine Nebentätigkeit aufzuspalten und steuerlich getrennt zu behandeln. Denn im Vorbescheid ist ausdrücklich dargelegt, daß eine Nebentätigkeit für den gleichen Arbeitgeber, die mit die Haupttätigkeit zusammenhängt, zum Arbeitsverhältnis gehört. Ein solcher Zusammenhang zwischen Haupttätigkeit und Nebentätigkeit ist in der Regel gegeben. Die im Vorbescheid dargelegten besonderen Umstände im vorliegenden Fall führen aber zur Verneinung eines solchen Zusammenhangs.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408040

BStBl III 1955, 17

BFHE 1955, 49

BFHE 60, 45

StRK, EStG:19/1/1 R 28

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