Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, in welchen Fällen Kneipp-Kurheime als Krankenanstalten im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG anzusehen sind.

 

Normenkette

UStG § 4 Ziff. 15; UStDB § 42; UStG § 4/16

 

Tatbestand

Die Bfin. betreibt unter der Bezeichnung "Stoffwechselkrankenhaus, Kneipp-Kurhaus X." eine Kuranstalt, die sich auch als "Hydrotherapeutisches Sanatorium" bezeichnet. Streitig ist, ob die Anstalt eine "Krankenanstalt" im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG ist und Umsatzsteuerfreiheit gemäß dieser Bestimmung in Anspruch nehmen kann. Das Finanzamt hat die Frage verneint. Das Finanzgericht hat nach Einholung einer Auskunft des Gesundheitsamtes des Landkreises Y. und nach Besichtigung des Streitobjektes die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Auch der Rechtsbeschwerde ist der Erfolg zu versagen.

Unter Krankenanstalten sind Anstalten zu verstehen, in denen durch ärztliche Hilfeleistung erstrebt wird, Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festzustellen, zu heilen oder zu lindern. Entscheidend ist der durch den Anstaltszweck bestimmte allgemeine Anstaltscharakter. Um als "Krankenanstalt" im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG angesehen zu werden, muß nach dem Urteil des Senats V 258/54 U vom 21. Dezember 1955 (BStBl 1956 III S. 56, Slg. Bd. 62 S. 152), der sich insoweit der für das Grundsteuerrecht ergangenen Rechtsprechung des III. Senats des Reichsfinanzhofs (Urteile III 267/39 vom 29. Februar 1940, RStBl 1940 S. 349, Slg. Bd. 48 S. 156, und III 167/42 vom 25. Februar 1943, RStBl 1943 S. 342, Slg. Bd. 53 S. 60) angeschlossen hat, eine Anstalt die folgenden drei Voraussetzungen erfüllen:

Es müssen Kranke in der Anstalt untergebracht sein;

die Anstaltsunterbringung muß notwendig oder wenigstens zweckmäßig oder üblich sein;

es muß ständig eine dem einzelnen Kranken individuell gewidmete ärztliche Tätigkeit stattfinden, die gegenüber vorhandenen natürlichen Heilfaktoren im Vordergrunde steht.

Fehlt es auch nur an einer dieser Voraussetzungen, so kann die betreffende Anstalt nicht mehr als Krankenanstalt im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG angesprochen werden.

Im Streitfalle kann unentschieden bleiben, ob alle Besucher des Kneipp-Kurhauses X. - wie die Bfin. behauptet - "Kranke" sind. Für § 4 Ziff. 15 UStG werden die Grenzen des Begriffs "Kranker" erst deutlich, wenn man ihn mit dem Wort "Anstalt" in Verbindung bringt. Der Kranke muß an einer Krankheit leiden, die seine Unterbringung in einer Anstalt notwendig oder wenigstens zweckmäßig oder üblich erscheinen läßt.

Der Senat sieht auf Grund der von der Bfin. vorgelegten überweisungsscheine der behandelnden ärzte als erwiesen an, daß diese Voraussetzung auf einen Teil der Gäste des Kneipp-Kurhauses zutrifft. Das Finanzgericht ist jedoch zu dem Ergebnis gelangt, daß zahlreiche andere Gäste bei ihrer körperlichen Verfassung ebensogut in einem privaten Kurheim oder einer Privatpension wohnen und die Kneipp'schen Anwendungen - soweit entsprechende Einrichtungen und geschultes Badepersonal vorhanden sind - dort, sonst im Kneipp-Kurhaus erhalten könnten; sie wohnen hauptsächlich aus Bequemlichkeit, nämlich weil Unterkunft und Verpflegung einerseits und wassertherapeutische Behandlung andererseits in einem Gebäude vereinigt sind, und wegen des größeren Komforts im Kneipp-Kurhaus, wo ihnen außer modernen Badeanlagen und sonstigen hydrotherapeutischen Einrichtungen ansprechende Aufenthaltsräume, ein konzessionierter Gaststättenbetrieb mit Ausschank alkoholischer Getränke sowie gelegentlich gesellschaftliche Veranstaltungen geboten werden. Das Kneipp-Kurhaus ist keine geschlossene Anstalt. Es fehlt jeglicher Anstaltszwang, ohne den echte Krankenhäuser nicht auskommen; die Hausgäste können Tag und Nacht das Haus frei verlassen. An diese tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist der Senat gebunden.

Die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Anstaltsunterbringung vom Kranken aus gesehen wird durch die Notwendigkeit einer ständigen individuellen ärztlichen Betreuung des einzelnen Kranken ergänzt. Es ist das augenfälligste Unterscheidungsmerkmal zwischen Krankenhaus und Kurheim (Sanatorium), daß bei ersterem ärztliche Hilfeleistungen, bei letzterem natürliche Heilfaktoren (wie Licht, Luft, Wasser, Höhenlage, Klima, Ernährung, Ruhe, Entspannung, Umgebung) im Vordergrunde des Heilgeschehns stehen. Beim Krankenhause bilden die natürlichen Heilfaktoren, beim ärztlich geleiteten oder überwachten Kurheim die ärztlichen Hilfeleistungen lediglich Unterstützungsmaßnahmen, die im Einzelfall allerdings von erheblicher Bedeutung sein können. Bei Kneippkuren spielen die natürlichen Hilfsmittel zur Förderung und Erhaltung der Gesundheit sowie zur Beseitigung kleinerer oder größerer gesundheitlicher Schäden (Ganz- und Teilbäder, Güsse, Packungen, Wickel, Voll- und Teilmassagen, Unterwassermassagen, Liegekuren, Trinkkuren, naturgemäße Ernährung und Lebensweise u. dgl.) die Hauptrolle. Die Aufgabe des Arztes besteht hierbei hauptsächlich in der Anordnung und überwachung dieser Hilfsmittel, wenn auch des öfteren zusätzlich eine medikamentöse Behandlung erforderlich sein mag. Vielfach beschränkt sich die ärztliche Tätigkeit auf eine Aufnahme-, Zwischen- und Schlußuntersuchung des Kurgastes. Solche Untersuchungen hat schon der Reichsfinanzhof für den Begriff der Krankenanstalt als nicht ausreichend erachtet (vgl. das obenangeführte Urteil vom 25. Februar 1943). Tägliche Visiten, wie sie in Krankenhäusern üblich sind, finden bei reinen Kneippkuren im allgemeinen nicht statt. Zwar hat der Senat im obenangeführten Urteil vom 21. Dezember 1955 eine in längeren (z. B. vierwöchigen) Zwischenräumen ausgeübte beaufsichtigende Tätigkeit des Arztes für den Begriff "Krankenanstalt" als ausreichend erachtet. Es handelte sich dort aber um Kranke (Idioten), bei denen eine tägliche ärztliche Beobachtung und Behandlung zwecklos ist, weil auf eine Besserung ihres Zustandes nach dem Stande der Wissenschaft nicht gerechnet werden kann (sogenannte Endzustände). Wird dagegen bei einer Person, die an Herzbeschwerden oder Kreislauf-, Stoffwechsel- oder Nervenstörungen leidet, eine Anstaltsunterbringung notwendig oder auch nur zweckmäßig, so dürfte eine ständige kurzfristige überwachung und Behandlung unumgänglich sein. Soweit eine solche nicht stattfindet, geht die ärztliche und krankenpflegerische Betreuung nicht über das Maß hinaus, das andere Kurgäste des Badeortes bei frei praktizierenden ärzten genießen.

In der Anstalt der Bfin. erstreckt sich die ärztliche Tätigkeit bei einem Teil der Insassen auf Maßnahmen, wie sie in einem Krankenhaus üblich sind, bei einem anderen Teil dagegen nur auf Aufnahme-, Zwischen- und Schlußuntersuchungen und die Anordnung der je nach dem Einzelfall erforderlichen Kneipp'schen Anwendungen (Ausstellung des Kurbuches mit Angaben über die Anwendungen, über die einzuhaltende Diät usw.). Für eine ständige (tägliche) ärztliche Beobachtung und Behandlung aller Anstaltsinsassen, für die die Hausärztin zuständig ist (das sind nach den Angaben der Bfin. etwa 90 v. H. aller Insassen), würde bei einer Bettenzahl von 80 eine einzige ärztliche Kraft, die daneben eine private Praxis unterhält, kaum ausreichen. Noch weniger würde für 80 pflegebedürftige Kranke eine einzige voll ausgebildete und in der Krankenpflege staatlich geprüfte Krankenschwestern genügen. Auch aus dem Umstand, daß in dem Kneipp-Kurhaus auf Grund einer Schank-Vollkonzession alkoholische Getränke (Bier, Wein, Spirituosen) ausgeschenkt werden, ist ersichtlich, daß ein erheblicher Teil der Gäste nicht in dem Sinne krank sein kann, daß eine Krankenhausunterbringung notwendig oder zweckmäßig wäre. Auch dürfte einem Krankenhaus eine Schank-Vollkonzession kaum erteilt werden. Die moderne und vielseitige Einrichtung der Anstalt, die sich auch auf Grenzgebiete des Wasserheilverfahrens und sogar darüber hinaus erstreckt (Darmduschen, Inhalatorium, Kohlensäuretrockengasbäder, Höhensonnen, Tiefenheilstrahler), macht, wenn die oben aufgeführten Voraussetzungen nicht vollständig vorliegen, das Kneipp-Kurhaus nicht zum Krankenhause; sie beweist nur, daß es sich um ein in jeder Hinsicht vorbildlich eingerichtetes Sanatorium handelt, in dem das Wasserheilverfahren in jeder Form und Kombination angewendet werden kann.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung des Kneipp-Kurhauses der Bfin. als Krankenanstalt nur hinsichtlich eines Teiles der Besucher gegeben sind, hinsichtlich eines nicht unerheblichen anderen Teiles dagegen fehlen. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Krankenanstalt müssen aber bei allen Anstaltsinsassen vorliegen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 383/42 vom 27. Januar 1943, RStBl 1943 S. 252). Soweit das nicht der Fall ist, tritt die Anstalt mit den nichtbegünstigten privaten Kurheimen in Wettbewerb. Da bei einer räumlich einheitlichen Anstalt eine Trennung von Krankenhaus- und Kurbetrieb, die sich gegenseitig ergänzen und fördern, nicht möglich ist, kann dem Kneipp-Kurhaus insgesamt für die Jahre 1951 und 1952 die Eigenschaft einer "Krankenanstalt" im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG nicht zugesprochen werden.

Der Senat betont ausdrücklich, daß auch Wasserheilanstalten und Kneipp-Kurheime Krankenhauscharakter haben können. Sie müssen dann aber die oben dargestellten Voraussetzungen in vollem Umfange erfüllen.

 

Fundstellen

BStBl III 1959, 457

BFHE 1960, 530

BFHE 69, 530

StRK, UStG:4/15 R 5

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