Entscheidungsstichwort (Thema)

Absehen von Zollnacherhebung

 

Leitsatz (NV)

Zu den Voraussetzungen für das Absehen von der Nacherhebung von Zoll: Nichterkennbarkeit des zollamtlichen Irrtums für den Beteiligten (Anschluß an Rechtsprechung des EuGH).

 

Normenkette

EWGV 1697/79 Art. 5 Abs. 2; EWGV 1573/80 Art. 4

 

Tatbestand

Gestritten wird über eine von dem beklagten und revisionsklagenden Hauptzollamt (HZA) gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte geltend gemachte Nachforderung von Zoll. Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den Vorlagebeschluß des Senats vom 24. Januar 1989 VII R 65/86 (BFHE 156, 294, BFH/NV 1989, 610, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 268 mit Anm.) hingewiesen. Die darauf ergangene Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) lautet wie folgt (Urteil vom 26. Juni 1990 Rs. C-64/89, noch nicht veröffentlicht):

,,1. Die nationalen Behörden müssen nach Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1573/80 der Kommission vom 20. Juni 1980 zur Durchführung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet, bei der Kommission keinen Antrag auf Entscheidung über ein Absehen von der Nacherhebung von Zöllen stellen, wenn sie das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 verneinen, selbst wenn der Betrag der nichterhobenen Abgaben sich auf 2000 ECU oder mehr beläuft.

2. Bei der Beurteilung, ob im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 ein ,,Irrtum" vorliegt, der ,,vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte", ist namentlich auf die Art des Irrtums, die Erfahrung des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers und die von ihm aufgewandte Sorgfalt abzustellen.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, unter Zugrundelegung dieser Auslegung zu beurteilen, ob der Abgabenschuldner den für die Nichterhebung der Zölle ursächlichen Irrtum erkennen konnte."

Von den Parteien weiterhin unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob der der ursprünglichen Festsetzung (Zollfreistellung) zugrundeliegende Irrtum der Zollstelle von der Klägerin als Abgabenschuldnerin erkannt werden konnte. Die Klägerin hält den Irrtum für nicht erkennbar, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Nacherhebung folglich für gegeben, während das HZA unter Hinweis auf das Ergebnis der Prüfung früherer passiver Veredelungen der Klägerin meint, diese hätte den Irrtum der Zollstelle erkennen können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der - nicht spruchreifen - Sache an das Finanzgericht - FG - (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung).

Die vom FG ausgesprochene Verpflichtung des HZA, zwecks Absehens von der Nacherhebung an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften heranzutreten, läßt sich schon nach der in diesem Verfahren eingeholten Vorabentscheidung nicht rechtfertigen (Nr. 1 des Tenors des EuGH-Urteils). Ob die Voraussetzungen für das Absehen von der Nacherhebung vorliegen - hier: Nichterkennbarkeit des Irrtums für die Klägerin -, kann der Senat mangels entsprechender Feststellungen nicht beurteilen. Die der Aufhebung der Änderungs- (Nacherhebungs-) Bescheide zugrundeliegende Erwägung des FG, von einem Importeur könnten keine weitergehenden Kenntnisse als von den Zollbeamten selbst erwartet werden, trifft nicht zu (Abs. 17 der Gründe des EuGH-Urteils). Darauf, daß die Zollstelle ihre unrichtige Auffassung der Klägerin gegenüber zweimal als richtig bestätigt hat, kann die Vorentscheidung mithin nicht gestützt werden. Sonstige Feststellungen, die eine Entscheidung über die Frage der Erkennbarkeit des Irrtums ermöglichen könnten, hat das FG, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht getroffen. Die Erkennbarkeit des Irrtums ist nach den vom EuGH (Nr. 2 des Urteilstenors, Abs. 19 bis 22 der Gründe) entwickelten Gesichtspunkten zu beurteilen, wobei es hier vor allem auf die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers ankommt. In diesem Zusammenhang wird auch das Vorbringen des HZA zu berücksichtigen sein. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die für die Beurteilung erforderlichen Feststellungen nachzuholen und auf ihrer Grundlage unter Beachtung der Vorabentscheidung erneut über die Rechtmäßigkeit der Nacherhebungen zu befinden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417431

BFH/NV 1991, 640

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