Leitsatz (amtlich)

Der Steuerpflichtige kann sich nicht unter Hinweis auf den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 GG darauf berufen, daß die -- zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtete -- Verwaltung eine gesetzliche Vorschrift (hier § 14 Abs. 3 StAnpG) in ständiger Übung nicht angewandt habe.

 

Normenkette

GG Art. 3; StAnpG § 14 Abs. 3; AO §§ 166, 167 Abs. 1 S. 1, §§ 168, 204

 

Tatbestand

Der seit 1953 in Kanada wohnhafte und dort 1958 verstorbene X. war in den Jahren 1953, 1954 und im Jahre 1955 bis zum 30. November 1955 Alleininhaber der Firma H. & Co. in A. Außerdem war er während der gleichen Zeit und darüber hinaus bis einschließlich 1956 Gesellschafter der Offenen Handelsgesellschaft B. Das Finanzamt erachtete seine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht im Sinn des § 1 EStG für die genannte Zeit als gegeben, weil es davon ausging, daß X. nach dem mit Wirkung vom 1. Januar 1957 aufgehobenen (vgl. Art. 13 des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 -- StÄndG 1957 --, BStBl 1957 I S. 352) Abs. 3 des § 14 StAnpG wie diejenigen Personen zu behandeln sei, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik haben. Nach dieser Bestimmung werden die Inhaber eines inländischen Unternehmens, auch wenn sie sich nicht im Inland aufhalten, im Sinne der Steuergesetze (mit Ausnahme des ErbStG und des Reichsfluchtsteuergesetzes) wie Personen behandelt, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort haben, an dem sich die Geschäftsleitung oder der Sitz des inländischen Unternehmens befindet.

Da von X. Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1953--1956 nicht zu erhalten waren, wandte sich das Finanzamt nach dessen Tode an den Bevollmächtigten seiner Erben, der ebenfalls die Einreichung der Steuererklärungen verweigerte.

Gemäß § 18 Buchst. a der Verordnung Nr. 175 über die Wiedererrichtung von Finanzgerichten (Steuer- und Zollblatt 1948 S. 291 ff.) legten die Erben und der Bevollmächtigte der Erben gegen die Anforderung der Steuererklärungen bei dem Finanzgericht Beschwerde ein. Die Befugnis hierzu ergab sich aus der Tatsache, daß die Aufforderung zur Erklärungsabgabe an den Bevollmächtigten (§§ 107, 108 AO) gerichtet war. Die Befugnis der Erben war gegeben, weil sie im Sinn des § 303 AO als "beeinträchtigt" anzusehen sind, wenn die Aufforderung zur Abgabe der Erklärungen ohne Rechtsgrundlage erging.

Das Finanzgericht wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Rb. kann keinen Erfolg haben.

Die Bf. machen im wesentlichen folgendes geltend. Die Vorschrift des § 14 Abs. 3 StAnpG sei mit dem Verfassungsgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar, da ihr totalitäres Staatsdenken zugrunde liege. Jedenfalls sei sie in ständiger Verwaltungsübung nicht angewendet worden, so daß ihre Anwendung im Einzelfall dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) widerspreche. Im übrigen seien auch die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift deshalb nicht gegeben, weil sich der Erblasser niemals als Unternehmer der bezeichneten Firmen betätigt, sondern die Führung des Einzelunternehmens Dritten überlassen und seine Stellung als Gesellschafter der OHG (Mitunternehmer) nicht wahrgenommen habe.

Diese Einwendungen der Bf. sind nicht begründet.

1. Das Finanzamt darf eine Steuererklärung nur anfordern, wenn die Möglichkeit der Steuerpflicht -- hier der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht -- gegeben ist (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs IV 216/51 S vom 10. Oktober 1951, BStBl 1951 III S. 209, Slg. Bd. 55 S. 513; II 56/57 U vom 11. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 339, Slg. Bd. 67 S. 178). Diese Möglichkeit wäre zu verneinen, wenn die vorkonstitutionelle Bestimmung des § 14 Abs. 3 StAnpG -- wie die Bf. vortragen -- verfassungswidrig wäre oder ihre Anwendung durch entgegenstehende Verwaltungsübung ausgeschlossen würde. Beide in diesem Verfahren zu entscheidenden Rechtsfragen sind zu verneinen.

Der Gesetzgeber bestimmt nach seinem Ermessen, welche Merkmale die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht begründen. Er hat sich dabei an das zu halten, was im Rahmen des Zweckmäßigen, Vernünftigen und Gerechten vertretbar ist. Unerheblich ist, ob nach Auffassung des Gerichts einer anderen gesetzlichen Regelung -- wie beispielsweise der nunmehr geltenden -- der Vorzug zu geben gewesen wäre (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 44/54 U vom 16. Dezember 1954, BStBl 1955 III S. 45, Slg. Bd. 60 S. 115). Es ist nichts dafür ersichtlich, daß die aufgezeigten Grenzen gesetzgeberischen Ermessens durch die über § 1 Abs. 1 EStG hinausgehende spätere Regelung in § 14 Abs. 3 StAnpG überschritten wurden. Es ist auch nicht zutreffend, daß diese Vorschrift Ausdruck totalitären Staatsdenkens ist. Die Bf. tragen selbst vor, daß -- soweit das Merkmal des "leitenden Angestellten" in Betracht kommt -- eine entsprechende Regelung bereits in der Notverordnung vom 8. Dezember 1931 enthalten war (vgl. RGBl 1931 I S. 736). Wenn der Gesetzgeber später diesem Merkmal das weitere Merkmal "Inhaber eines inländischen Unternehmens" hinzufügte, so kann darin eine folgerichtige und sachgerechte Weiterentwicklung des Gesetzes gesehen werden.

Die Bestimmung ist keine Ermessensvorschrift. Sie ist anzuwenden, wenn ihre Voraussetzungen gegeben sind. Die Verwaltung ist nicht berechtigt, eine verfassungsrechtlich wirksame, noch geltende Vorschrift durch eine entgegenstehende Verwaltungsübung außer Kraft zu setzen. Sie ist zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtet und darf nicht ihren eigenen Vorstellungen über das, was als rechtmäßig zu gelten hat, den Vorrang vor der Gesetzmäßigkeit einräumen. Ein solches Handeln wäre mit der Auflösung des Rechtsstaates gleichbedeutend. Sollte daher die von den Bf. behauptete allgemeine Verwaltungsübung bestanden haben, so könnten sie sich auch unter Hinweis auf Art. 3 GG darauf nicht berufen. Es kann nicht anerkannt werden, daß es ein Recht auf "Gleichheit im Unrecht" gibt. Im übrigen bestand, wie das Finanzamt glaubhaft vorträgt, jedenfalls für das Land ... keine solche Verwaltungsübung. In zwei Erlassen des Ministers der Finanzen vom ... war die Anwendung des § 14 Abs. 3 StAnpG ausdrücklich vorgesehen.

2. Als Mitunternehmer im Sinn des § 14 Abs. 3 StAnpG kann nur angesehen werden, wer auch betriebswirtschaftlich gesehen Betriebsinhaber ist (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 537/37 vom 13. Oktober 1937, RStBl 1937 S. 1158; VI 346/43 vom 1. Dezember 1943, RStBl 1944 S. 5). Danach ist Mitunternehmer nur, wer den Betrieb nicht nur finanziell beherrscht oder mitbeherrscht, sondern auch im wesentlichen selbst leitet oder mitleitet, seine Richtung bestimmt, bei allen wichtigen Entscheidungen mitwirkt und demnach nach außen tatsächlich wie ein Betriebsinhaber auftritt. Ob die gleichen Erfordernisse auch für den Alleininhaber eines inländischen Unternehmens notwendige Voraussetzung für die Anwendung des § 14 Abs. 3 StAnpG sind, kann zweifelhaft sein. Nach dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen S 1287 B -- 7 III R vom 6. Dezember 1934 ist der Alleininhaber eines inländischen Unternehmens in jedem Fall betriebswirtschaftlicher Inhaber im Sinn des § 14 Abs. 3 StAnpG (vgl. RStBl 1937 S. 1159).

Die Bf. sind nicht dieser Meinung. Nach ihrer Auffassung muß für den Alleininhaber das gelten, was für den Mitunternehmer zu gelten hat. Sie bestreiten, daß ihr Erblasser als Gesellschafter oder als Alleinunternehmer tatsächlich Betriebsinhaber gewesen sei. Das Finanzamt ist gegenteiliger Meinung. Beide Beteiligte haben insoweit ihren Standpunkt in tatsächlicher Hinsicht eingehend begründet. Diese tatsächlichen Verhältnisse können aber, soweit es rechtlich auf sie ankommen sollte, nur im Veranlagungsverfahren geprüft werden (§ 204 AO), dessen Grundlage nach dem Deklarationsprinzip der AO (§§ 166 ff. AO) die von den Bf. abzugebenden Steuererklärungen sind.

Das Finanzamt handelte demgemäß, wie auch der Begriff des Betriebsinhabers im Sinn des § 14 Abs. 3 StAnpG zu beurteilen sein mag, ermessensgerecht, wenn es auf der Abgabe der angeforderten Steuererklärungen besteht.

Gegen den gemäß § 320 Abs. 4 AO nach freiem Ermessen festgestellten Streitwert von 2000 DM bestehen keine Bedenken.

 

Fundstellen

BStBl III 1964, 146

BFHE 1964, 379

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