Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Berechnung der als Voraussetzung für die Befreiung von der Steuerbevollmächtigtenprüfung verlangten fünfjährigen Tätigkeit als Sachbearbeiter auf dem Gebiet des Steuerwesens scheiden Zeiten aus, in denen der Bewerber nicht nur vorübergehend erkrankt, langfristig beurlaubt oder in sonstiger Weise verhindert war, die verlangte Tätigkeit tatsächlich auszuüben.

 

Normenkette

StBerG § 8 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Bf. die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Steuerbevollmächtigtenprüfung nach § 8 Abs. 2 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (Steuerberatungsgesetz) vom 16. August 1961 (BGBl I S. 1301) erfüllt.

Der 1913 geborene Bf. gehörte der Finanzverwaltung vom 1. Mai 1934 bis 31. August 1953 als Beamter an. Nach Ablegung der Steuerinspektorprüfung im März 1936 war er von Mai 1936 bis August 1939 als Sachbearbeiter im Veranlagungsdienst tätig. Er war vom 1. August 1939 an zum Kriegsdienst eingezogen und befand sich anschließend bis 11. März 1947 in Gefangenschaft. Vom 1. April 1947 bis 31. Dezember 1949 war er wiederum als Sachbearbeiter im Veranlagungsdienst tätig, vom 1. Januar 1950 bis 20. Juli 1951 war er vom Dienst beurlaubt, vom 21. Juli 1951 bis 2. November 1952 war er erneut Sachbearbeiter in der Bewertungsstelle, vom 3. November 1952 bis 31. August 1953 war er dienstunfähig krank. Zum 1. September 1953 wurde er in den Ruhestand versetzt.

Im Jahre 1953 wurde er von der schriftlichen Prüfung als Helfer in Steuersachen befreit, legte aber die mündliche Prüfung nicht ab.

Seinen im Jahre 1962 gestellten Antrag auf Befreiung von der Steuerbevollmächtigtenprüfung lehnte der Zulassungsausschuß bei der Oberfinanzdirektion ab. Er begründete das damit, daß der Bf. innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Ausscheiden aus der Finanzverwaltung als Sachbearbeiter auf dem Gebiet des Steuerwesens nur vom 1. April 1947 bis 31. Dezember 1949 und vom 21. Juli 1951 bis 2. November 1952, also im ganzen vier Jahre und 13 Tage tätig gewesen sei. Der Ausschuß hielt die Zeiten des Kriegsdienstes, der Gefangenschaft, der Beurlaubung und der Dienstunfähigkeit nicht für anrechnungsfähig.

Die Berufung des Bf. gegen diese Entscheidung wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Rb. macht der Bf. im wesentlichen folgendes geltend:

Wenn die Vorinstanz mit einer erweiternden Auslegung des § 8 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes die Grenzen der Rechtsprechung zu überschreiten fürchte, so wäre das richtig, falls der Gesetzgeber zur Anrechnung von Kriegsdienst und Gefangenschaft absichtlich geschwiegen hätte. Gesetzesmaterialien und Schrifttum sprächen aber für eine Gesetzeslücke, die der Richter in ergänzender Rechtsfindung schließen dürfe. Das werde zu seiner Pflicht, wenn ein Verfassungsgebot bestehe, das der Gesetzgeber nicht habe außer acht lassen dürfen. Die mangelnde Differenzierung in § 8 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes hinsichtlich der Kriegsteilnehmer stelle eine solche Verletzung des in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) niedergelegten Sozialstaatsprinzips dar. Die Sozialklausel gehöre zu den grundlegenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen. Selbst bei einer Abwägung des öffentlichen Interesses an gutem Nachwuchs für die steuerberatenden Berufe und der Postulate der Sozialstaatsklausel könne ein Zurücktreten der verfassungsrechtlichen Bedenken zumindest nicht bei solchen Kriegsteilnehmern anerkannt werden, die - wie der Bf. - nicht nur bei Zusammenrechnung der Nachkriegszeiten als Sachbearbeiter mit dem Wehrdienst und der Gefangenschaft, sondern auch bei Addieren der Vorkriegs- und Nachkriegsjahre die Voraussetzungen fünfjähriger qualifizierter Tätigkeit erfüllen.

Die Oberfinanzdirektion beruft sich demgegenüber auf die Ausführungen der Vorentscheidung und vertritt im übrigen die Auffassung, daß die in § 8 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes geforderte fünfjährige Tätigkeit als Sachbearbeiter innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Zulassungsverfahren ausgeübt worden sein und der Bewerber während dieser Zeit auch der Finanzverwaltung angehört haben müsse.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. hat keinen Erfolg.

Nach § 8 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes sind von der Steuerbevollmächtigtenprüfung zu befreien Beamte und Angestellte der Finanzverwaltung, die während der letzten zehn Jahre vor dem Ausscheiden aus dem Dienst mindestens fünf Jahre lang auf dem Gebiet des Steuerwesens als Sachbearbeiter oder mindestens in gleichwertiger Stellung tätig gewesen sind.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Bf. nicht. Wie der Senat in seinem Urteil VII 109/62 vom 29. Oktober 1962 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 356 Nr. 337) für das vor dem Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes geltende Recht entschieden hat, erbrachte die Ablegung der Steuerinspektorprüfung den damals nach § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 107 a der Reichsabgabenordnung vom 11. Januar 1936 (RGBl 1936 I S. 11) erforderlichen Nachweis der genügenden Sachkunde und persönlichen Eignung für den Beruf eines Helfers in Steuersachen noch nicht, da die Tätigkeit eines Steuerinspektors und eines Helfers in Steuersachen verschiedener Art und die Prüfungen für beide Berufe auch nicht gleich waren. Der Senat sah es daher auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG als nicht bedenklich an, wenn - nach der damaligen Verwaltungsübung - von einem Steuerinspektor, der Helfer in Steuersachen werden wollte, auch noch eine praktische Bewährung von gewisser Dauer verlangt wurde.

Wenn das Steuerberatungsgesetz ähnlich wie die von der Rechtsprechung anerkannte frühere Verwaltungsübung für die Befreiung von Angehörigen der Finanzverwaltung von der Steuerbevollmächtigtenprüfung verlangt, daß sie innerhalb der letzten zehn Jahre vor ihrem Ausscheiden aus dem Dienst mindestens fünf Jahre als Sachbearbeiter auf dem Gebiet des Steuerwesens "tätig gewesen sind", spricht - wie die Vorinstanz zutreffend ausführt - schon der Wortlaut des Gesetzes dafür, daß sie die vorgeschriebene Zeit hindurch nicht nur die entsprechende Stellung innegehabt, sondern auch tatsächlich die damit verbundenen Aufgaben wahrgenommen haben müssen. Die Forderung einer solchen Frist praktischer Bewährung kann aber auch nur den Sinn haben, daß die Bewerber während des vorgeschriebenen Zeitraums sich gerade durch Ausübung der Tätigkeit als Sachbearbeiter ein bestimmtes Maß besonderer Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erwerben sollen, das ihre Fähigkeit zur Ausübung eines steuerberatenden Berufs gewährleistet. Dieses Ziel kann jedoch nicht erreicht werden, soweit sie vor Vollendung der für erforderlich erachteten fünf Jahre wegen nicht nur vorübergehender Erkrankung, langfristiger Beurlaubung oder - wie im Streitfall - wegen Einziehung zum Wehrdienst und anschließender Gefangenschaft keinen Dienst in der Finanzverwaltung geleistet haben. Solche Zeiten müssen daher für die Berechnung der verlangten fünfjährigen Tätigkeit als Sachbearbeiter auf dem Gebiet des Steuerwesens ausscheiden, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Unterbrechung der Tätigkeit von den Bewerbern zu vertreten ist oder nicht.

Wenn der Gesetzgeber in § 8 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes keine Ausnahmeregelung zugunsten derjenigen Angehörigen der Finanzverwaltung getroffen hat, deren Tätigkeit in bestimmter Stellung auf dem Gebiet des Steuerwesens durch Kriegsdienst und Gefangenschaft unterbrochen worden ist, vermag der Senat darin weder eine Gesetzeslücke noch einen Verstoß gegen den vom Bf. angeführten Art. 20 Abs. 1 GG zu sehen, aus dem die Forderung nach Ausgestaltung der Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Bundesstaat zu entnehmen ist. Das Steuerberatungsgesetz enthält in § 8 Abs. 2 eine die Angehörigen der Finanzverwaltung insofern begünstigende Vorschrift, als diese auf Grund einer Tätigkeit als Sachbearbeiter von bestimmter Dauer von der Steuerbevollmächtigtenprüfung befreit werden können; dabei kennt es innerhalb der dafür in Betracht kommenden Kategorien von Beamten und Angestellten keinerlei gruppenmäßige Unterschiede. Daß es also auch nicht eine Sonderregelung für Kriegsteilnehmer enthält, kann insofern nicht als Lücke im Gesetz angesehen werden, als das Gesetz im Jahre 1961, also zu einer Zeit erlassen ist, bis zu der diejenigen, deren Tätigkeit in der Finanzverwaltung durch Kriegsdienst und Gefangenschaft unterbrochen worden ist, im allgemeinen die ihnen an den erforderlichen fünf Jahren fehlende Zeit der Tätigkeit in der Finanzverwaltung - sofern sie nach dem Kriege in deren Dienst überhaupt zurückgekehrt sind - nachholen konnten. Aus diesem Grunde erscheint dem Senat das Fehlen einer Ausnahmeregelung für Kriegsteilnehmer auch nicht als unsozial.

Da der Bf. innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Ausscheiden aus der Finanzverwaltung am 1. September 1953, also in der Zeit vom 1. September 1943 bis 31. August 1953 nur rund vier Jahre wirklich als Sachbearbeiter auf dem Gebiet des Steuerwesens tätig gewesen ist, im übrigen aber infolge Kriegsdienst und Gefangenschaft, langfristigen Urlaubs oder langfristiger Erkrankung seinen Dienst in der Finanzverwaltung nicht versehen hat, erfüllt er die Voraussetzung einer fünfjährigen Tätigkeit in bestimmter Stellung während der letzten zehn Jahre vor seinem Ausscheiden nicht.

Die Vorinstanz hat daher zu Recht die ablehnende Entscheidung des Zulassungsausschusses gebilligt. Demgemäß war auch die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411241

BStBl III 1964, 393

BFHE 1964, 443

BFHE 79, 443

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