Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Steuerpflichtiger, der die von ihm gepachtete Apotheke erbt, kann die Abschreibung auf das infolge der Einführung der Niederlassungsfreiheit für Apotheker entwertete Apothekenbetriebsrecht, die dem Verpächter nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 3/60 S vom 9. Dezember 1960 (BStBl 1961 III S. 155) versagt war, auf Grund des Urteils des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr. S. 1/63 S vom 13. November 1963 (BStBl 1964 III S. 124) nachholen. Er muß die Abschreibung in der Regel in der Bilanz vornehmen, die im Zeitpunkt der Klarstellung der Rechtslage durch dieses Urteil der am weitesten zurückliegenden, noch nicht rechtskräftigen Veranlagung zugrunde liegt.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Ziff. 2; EStDV § 7 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Abschreibung auf ein Apothekenrealrecht bei der Einkommensteuer 1962. Der beschwerdeführende Ehemann (Bf.) hatte die Apotheke von seiner Mutter gepachtet. Als die Mutter im Jahre 1957 starb, wurde sie vom Bf. und seiner Schwester je zur Hälfte beerbt. Auf Grund des Erbauseinandersetzungsvertrags vom 4. April 1959 fand der Bf. seine Schwester mit einem Betrag von 95 000 DM ab. Der Abfindung lag eine Bewertung der im Nachlaß befindlichen Gegenstände, des sog. Realrechts mit 20 000 DM, der Geschäftseinrichtung mit 9 000 DM und des Grundstücks mit 177 000 DM zugrunde. Erstmals in der Schlußbilanz nach der Erbauseinandersetzung buchte der Bf. diese Beträge in seine Geschäftsbilanz ein. Im Streitjahr 1962 nahm er die Hälfte des auf den 1. Januar 1946 festgestellten Realrechtswerts von 87 900 RM = 43 950 DM erfolgsneutral in seine Bilanz auf und schrieb zum 31. Dezember 1962 zwei Drittel ab, um der Entwertung des Realrechts Rechnung zu tragen, die durch Einführung der Niederlassungsfreiheit für Apotheker eingetreten war.

Das Finanzamt versagte die Abschreibung, weil im Jahre 1962 das Apothekenrealrecht nichts mehr wert gewesen sei. Die Einlage hätte mit 0 DM erfolgen müssen. Es sei nicht möglich, ein wertloses Wirtschaftsgut nur deshalb mit seinem früheren Wert in die Bilanz aufzunehmen, um eine gewinnmindernde Abschreibung nachzuholen.

Die Sprungberufung des Bf. blieb erfolglos. Das Finanzgericht führte im wesentlichen folgendes aus. Das Realrecht der Apotheke sei schon zum 1. Januar 1950 auf 0 DM fortgeschrieben worden. Es sei nicht anzunehmen, daß der Bf. im Zeitpunkt des Todes seiner Mutter im Juni 1957 der Auffassung gewesen sei, das Apothekenrealrecht habe einen wirtschaftlichen Wert. Deshalb sei das Apothekenbetriebsrecht im Erbauseinandersetzungsvertrag vom 4. April 1959 nicht mehr berücksichtigt worden. Der Bf. räume selbst ein, daß der nach dem Vertrag auf das sog. Realrecht entfallende Betrag von 20 000 DM den Firmenwert betreffe. Von 1957 bis einschließlich 1961 habe er für das frühere Realrecht über den bilanzierten Firmenwert hinaus keinen Wert in der Bilanz angesetzt. Die Mutter hätte das Realrecht, wenn sie die Apotheke nach Beendigung des Pachtverhältnisses selbst übernommen hätte, nur mit einem die Entwertung berücksichtigenden Betrag in ihrer Eröffnungsbilanz ansetzen dürfen (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 505/53 U vom 9. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 18, Slg. Bd. 62 S. 46). Der Bf. hätte die Wirtschaftsgüter nicht mit höheren Werten von seiner Mutter übernehmen können, als diese nach Pachtbeendigung in einer Eröffnungsbilanz im Zeitpunkt ihres Todes hätte ansetzen dürfen. Der Bf. habe daher nur den sich aus der Erbauseinandersetzung ergebenden Restbetrag des Realrechts mit 20 000 DM in seine Bilanz aufnehmen können.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Bf. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Der Erbe des Verpächters einer Apotheke kann die dem Verpächter nach den Grundsätzen über den ruhenden Gewerbebetrieb versagten Abschreibungen auf das infolge Einführung der Niederlassungsfreiheit entwertete Betriebsrecht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 3/60 S vom 9. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 155, Slg. Bd. 72 S. 422) dergestalt nachholen, daß er in seine Anfangsbilanz auf den Tag des Erbfalls das Betriebsrecht mit dem Wert einsetzt, mit dem es beim Verpächter zu diesem Zeitpunkt ohne Berücksichtigung der eingetretenen Wertminderung zu Buche stehen würde. Diesen Wertansatz darf er dann nach den Grundsätzen des Urteils des erkennenden Senats IV 372/60 S vom 26. September 1963 (BStBl 1963 III S. 565, Slg. Bd. 77 S. 669) abschreiben (vgl. das Urteil des Senats IV 269/62 U vom 27. August 1964, BStBl 1964 III S. 614).

Hiernach würde dem Bf. die begehrte Abschreibung für das Todesjahr seiner Mutter (1957) zustehen. Zweifel können bestehen, ob der Bf. die Abschreibung noch im Jahre 1962 nachholen kann. Wie sich aus der Bewertung des Realrechts bei der Erbauseinandersetzung im April 1959 ergibt, war sich der Bf. zu diesem Zeitpunkt darüber im klaren, daß das Realrecht keinen wesentlichen Wert mehr hatte. Da er inzwischen Eigentümer der Apotheke geworden war und sie selbst betrieb, hätte er nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung die Abschreibung spätestens zum 31. Dezember 1959 vornehmen müssen (vgl. insbesondere Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 500/32 vom 19. Mai 1932, RStBl 1932 S. 728; VI A 1459/32 vom 2. März 1933, RStBl 1933 S. 585; I 72/39 vom 14. März 1939, RStBl 1939 S. 746). Diese Urteile betreffen zwar im wesentlichen Beteiligungen oder Genossenschaftsanteile. Die in ihnen zur Frage des Abschreibungszeitpunkts bei nicht der Abnutzung unterliegenden Anlagewirtschaftsgütern entwickelten Grundsätze gelten aber auch für die Abschreibung von Apothekenrealrechten. Hiernach besteht ein Zwang zur Abschreibung jedenfalls für den Zeitpunkt, zu dem eine endgültige und dauerhafte Entwertung der Wirtschaftsgüter eingetreten ist und vom Steuerpflichtigen auch erkannt wird. Das war spätestens bei Aufstellung der Bilanz zum 31. Dezember 1959 der Fall.

Trotzdem können diese allgemeinen Grundsätze hier nicht dazu führen, dem Bf. die Abschreibung im Streitjahr, dem am weitesten zurückliegenden, noch nicht rechtskräftig veranlagten Zeitraum, zu versagen. Denn die Frage, wie der die Apotheke wieder übernehmende Verpächter und damit auch der an seine Stelle tretende Erbe das Apothekenbetriebsrecht in die Anfangsbilanz einzusetzen hatten, war für die Steuerpflichtigen zunächst ungünstig entschieden worden, vgl. das vom Finanzgericht zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs IV 505/53 U. Hiernach hätte der Bf. keine Abschreibungsmöglichkeit gehabt. Denn er hätte als Erbe seiner Mutter ebenso wie diese, wenn sie die Apotheke wieder in Selbstbewirtschaftung übernommen hätte, den geminderten Wert des Realrechts in seine Anfangsbilanz einstellen müssen. Für die in der ehemals amerikanisch besetzten Zone belegenen Realrechte war im Zeitpunkt des Todes der Mutter die Entwertung schon eingetreten. Den Weg für eine dem Steuerpflichtigen günstigere Rechtsauffassung hat erst das Urteil des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr. S. 1/63 S vom 13. November 1963 (BStBl 1964 III S. 124, Slg. Bd. 78 S. 315) eröffnet. Hiernach kann der Verpächter oder sein Rechtsnachfolger (§ 7 Abs. 1 EStDV die Abschreibung am Apothekenrealrecht jedenfalls in den Fällen vornehmen, in denen im Zeitpunkt der Verpachtung eine Erklärung, den Betrieb aufzugeben, nicht abgegeben wurde. Wegen der Unsicherheit der Rechtslage, die durch die sich widersprechenden Urteile VI 3/60 S und Gr. S. 1/63 S geschaffen worden war, muß er die bisher unterlassene Abschreibung noch in einer Bilanz nachholen dürfen, die der am weitesten zurückliegenden, noch nicht rechtskräftigen Veranlagung zugrunde liegt. Das ist für den Bf. offenbar die Bilanz vom 31. Dezember 1962. Der bilanzmäßige Weg für diese Abschreibung führt über die erfolgsneutrale Einbuchung des Apothekenrealrechts mit dem Betrag, mit dem es in einer DM- Eröffnungsbilanz hätte eingesetzt werden können.

Der Ansatz des Apothekenrealrechts in der Bilanz des Bf. setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Der eine besteht in der Hälfte des Werts des Realrechts, das der Bf. als Miterbe geerbt hat. Der andere besteht in der Abfindung an seine Schwester. Dieser Betrag ist mit 10 000 DM anzusetzen und zunächst nicht abschreibbar, da er nicht das Realrecht, sondern den Geschäftswert der Apotheke darstellt. Der vom Bf. geerbte Teil ist mit 43 950 DM einzusetzen und kann von ihm nach den Grundsätzen des Urteils IV 372/60 S angemessen abgeschrieben werden. Da die Vorentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sie aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das die begehrte Abschreibung anerkennen und danach die Steuer berechnen wird. Der in der Bilanz unter der Bezeichnung "Realrecht erworben" mit 20 000 DM angesetzte Betrag ist erfolgsneutral auf 10 000 DM herabzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411358

BStBl III 1964, 628

BFHE 80, 429

BB 1964, 1329

DB 1964, 1723

DStR 1964, 691

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