Entscheidungsstichwort (Thema)

KraftSt-Befreiung für das Halten von ,,Berlin-Anhängern"

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Verbleibensvoraussetzung der KraftSt-Befreiung für das Halten von ,,Berlin-Anhängern" nach Berliner Landesrecht.

2. Die Verbleibensvoraussetzung (1.) ist bei größerer zeitlicher Unterbrechung des Berlin-Verkehrs nicht erfüllt (Abwesenheitsdauer von mehr als 14 Tagen innerhalb des jeweiligen Entrichtungs-/Nachweiszeitraums).

3. Die erforderliche Konnexität der unselbständigen Anschlußrevision ist nicht gegeben, wenn die letztere einen anderen Steuerfall (Entrichtungs-/Nachweiszeitraum) betrifft als die Hauptrevision.

 

Normenkette

KraftStG 1979 § 11 Abs. 2 Nr. 2, § 6; DVO Bln 1978/KraftStÄndG Bln 1950 § 1 Abs. 1 Nr. 2 und S. 2; FGO § 124

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte, ein . . .unternehmen mit einer Niederlassung in Berlin (West), von der u. a. Baustellen in der DDR betreut werden, nimmt für das Halten eines für sie in Berlin zugelassenen Anhängers die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 der - Berliner - Verordnung vom 8. Februar 1978 zur Durchführung des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStG - vom 3. August 1950 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1978, 745, Steuer- und Zollblatt Berlin - StZBl.Bln - 1978, 637) - DVO - in Anspruch. Nach Feststellungen des beklagten und revisionsklagenden Finanzamtes - FA - war der Anhänger während verschiedener Entrichtungszeiträume länger als zwei Wochen von Berlin abwesend (Verwendung in der DDR für 21, 28 und 64 Tage). Im Hinblick hierauf setzte das FA für die betreffenden Entrichtungszeiträume durch zwei Steuerbescheide - ein Steuerbescheid für den Entrichtungszeitraum vom 1. Februar bis 30. April 1982, ein weiterer für die (beiden) Entrichtungszeiträume vom 1. August 1982 bis 31. Januar 1983 - Kraftfahrzeugsteuer fest. Der - verspätete - Einspruch der Klägerin wurde in der Einspruchsentscheidung verworfen.

Die Klage hatte teilweise Erfolg. Der Klägerin sei - so das FG - zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden. Die Verspätung beruhe darauf, daß eine Angestellte der Klägerin gegen die ausdrückliche Weisung verstoßen habe, Steuerbescheide vorzulegen; ein Organisationsmangel oder mangelnde Überwachung sei nicht gegeben. In der Sache sei die Steuer für zwei Entrichtungszeiträume - mit Abwesenheit von 21 bzw. 28 Tagen - zu Unrecht festgesetzt worden, weil die Verbleibensvoraussetzung der Steuerbefreiung insoweit erfüllt sei. Die erforderliche dauerhafte räumliche Beziehung zum Berliner Betrieb bleibe bei einem Kraftfahrzeug auch dann erhalten, wenn dieses das Land Berlin kurzfristig verlasse. Bei der Frage, ob die Verwendung außerhalb der Betriebsstätte kurzfristig sei, müsse auf Wesensart und Verwendungszweck des Wirtschaftsguts abgestellt werden. Dem werde die Verwaltung nicht hinreichend gerecht, soweit sie (nur) Abwesenheiten bis zu 14 Tagen berücksichtige (Verwaltungsanordnung des Senators für Finanzen zur DVO, StZBl.Bln. 1978, 638). Zwar könnten die (berlinförderungsrechtliche) Regelung hinsichtlich der Verbleibensvoraussetzungen bei Baugeräten - kurzfristiger Einsatz außerhalb Berlins bis zu fünf Monaten - und die (zulagerechtliche) Anerkennung einer Vermietung für längstens drei Monate auf den Streitfall nicht unmittelbar übertragen werden, doch stehe andererseits eine Abwesenheit von bis zu einem Monat einem ,,Verbleiben" des Anhängers in der Berliner Betriebsstätte nicht entgegen. Keine Rolle spiele es, daß es sich nicht um einen ,,Speditionsanhänger" handele. Rechtsfehlerfrei sei demgegenüber die Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung für den Entrichtungszeitraum, in dem der Anhänger 64 Tage ununterbrochen in der DDR verwendet worden sei.

Die Revision des FA rügt, das FG vernachlässige das zeitliche Moment der Verbleibensvoraussetzung. Dieses erfordere bei Transportmitteln, die nicht in Berlin verblieben, daß regelmäßig, ohne größere zeitliche Unterbrechungen, Fahrten von und nach Berlin durchgeführt würden. Dem Förderungsgedanken der DVO - Ausgleich von Standortnachteilen der in Berlin (West) ansässigen Fuhrunternehmer - werde nicht entsprochen, wenn bei freizügigem Einsatz der Fahrzeuge ohne Rücksicht auf ihren Standort Berlin Standortnachteile tatsächlich nicht beständen. Dementsprechend unterbreche an sich jeder Einsatz außerhalb Berlins und außerhalb des Berlin-Verkehrs die zeitliche Bindung an die Berliner Betriebsstätte. Dies müsse unter Praktikabilitätserwägungen in gewissen Grenzen zwar hingenommen werden, erfordere aber entsprechend dem Förderungsgedanken eine zeitliche Grenze. Diese werde durch die ,,14-Tage-Regelung" angemessen definiert. Das FG habe seine Entscheidung - Unschädlichkeit einer Abwesenheit bis zu einem Monat - praktisch nicht begründet.

Die Klägerin hat nach Ablauf der Revisionsfrist, aber binnen eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung Anschlußrevision eingelegt, soweit die Klage abgewiesen worden ist (Bescheid betreffend die Entrichtungszeiträume vom 1. August 1982 bis 31. Januar 1983 hinsichtlich des Zeitraums ab 1. November 1982). Zur Begründung führt die Klägerin aus, der Verwaltungsanordnung könne nicht entnommen werden, daß bei größeren zeitlichen Abständen als 14 Tagen die Steuerfreiheit immer zu verneinen sei. Sei für die Investitionszulage die Verbleibensvoraussetzung erfüllt, wenn das Wirtschaftsgut für höchstens drei Monate vermietet werde, so müsse dies auch - erst recht - in kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Hinsicht gelten. Die Nutzung des Anhängers unterscheide sich von der Fahrzeugverwendung in einem Fuhrbetrieb. Es bestehe keine Möglichkeit, nach Entladung auf den DDR-Baustellen eine Rückfracht nach Berlin zu erhalten; der Anhänger müsse auf der Baustelle genutzt werden, bis sich eine Rückfracht aus dem eigenen Baustellenbetrieb ergebe. Erst eine Abwesenheit von sechs Monaten sei schädlich; das Abstellen auf nur einen Monat sei genauso willkürlich wie das auf 14 Tage.

 

Entscheidungsgründe

1. Das FA hat die Revision zurückgenommen; die Klägerin hat jedoch ihre Einwilligung versagt. Die Rücknahme der Revision ist somit nicht wirksam (§ 125 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; Verzicht auf mündliche Verhandlung); über das Rechtsmittel ist zu entscheiden.

2. Die Revision ist zulässig.

Sie konnte, wie hier geschehen, darauf gestützt werden, daß die Vorentscheidung auf der Verletzung von Landesrecht beruhe (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO; Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 27. Juni 1984 II R 12/80, BFHE 141, 556, 559, BStBl II 1984, 850).

3. Die Revision ist auch begründet.

a) Es kann dahinstehen, ob der Ansicht, daß das Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen hat, ob der angefochtene Bescheid bestandskräftig geworden ist (so Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 118 Anm. 35, auch zum Streitstand), in vollem Umfang zu folgen ist, hier im Hinblick darauf, ob Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Einspruchsfrist (§ 110 der Abgabenordnung) vorlagen. Entweder wäre die Entscheidung des FG hinsichtlich der Wiedereinsetzung von vornherein nicht zu überprüfen, da Revisionsrügen insoweit nicht erhoben worden sind (vgl. für den Fall der Rüge BFH, Urteil vom 10. September 1986 II R 175/84, BFHE 147, 303, BStBl II 1986, 908), oder es wären, aus den Erwägungen der Vorinstanz, Wiedereinsetzungsgründe anzuerkennen.

b) Begründet ist die Revision, weil die in der Sache selbst getroffene Entscheidung des FG - Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 DVO für die Entrichtungszeiträume vom 1. Februar bis 30. April und 1. August bis 31. Oktobe 1982 - nicht frei von Rechtsfehlern ist. Die Vorentscheidung ist somit aufzuheben, die Klage, da die Sache spruchreif ist, auch insoweit abzuweisen, als ihr das FG stattgegeben hat (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Wie der Senat entschieden hat (Urteil vom 14. Januar 1986 VII R 184/82, BFHE 146, 275, 277 f., BStBl II 1986, 494; vgl. auch Beschluß vom 1. September 1987 VII B 86/87, BFH/NV 1987, 813, 815), ist die Verbleibensvoraussetzung der Steuerbefreiung - § 1 Abs. 1 Nr. 2 DVO - erfüllt, wenn eine dauerhafte zeitliche und räumliche Bindung an einen Berliner Betrieb (Betriebsstätte) besteht; dies erfordert bei Transportmitteln, die nicht innerhalb Berlins verbleiben oder eingesetzt werden, daß überwiegend und regelmäßig - ohne größere zeitliche Unterbrechungen - Fahrten von und nach Berlin durchgeführt werden. In seinem Beschluß vom 30. Januar 1990 VII B 149/89 (n. v.) hat der Senat bereits Zweifel geäußert, ob der Auffassung der Verwaltung, bei einer mehr als 14-tägigen Abwesenheit von Kraftfahrzeuganhängern sei eine (steuerschädliche) größere zeitliche Unterbrechung gegeben, gewichtige Gründe entgegengesetzt werden können. Die erneute Prüfung der Frage ergibt, daß bei Abwesenheitszeiten von mehr als 14-tägiger Dauer die Verbleibensvoraussetzung nicht mehr gegeben ist. Daß die Verwaltung nicht lediglich, wie die Klägerin meint, von einer ,,Nichtaufgriffsgrenze", sondern von einer äußersten Toleranz (14 Tage) ausgeht, die nur bei nachgewiesenem Einsatz im Berlin-Verkehr überschritten werden darf, wird aus der vorbezeichneten Verwaltungsanordnung (Tz. 15, 9) deutlich.

Das FG hat seine Ansicht, unter Berücksichtigung von Wesensart und Verwendungszweck des Wirtschaftsguts - Kraftfahrzeuganhänger - stehe eine ununterbrochene Abwesenheit von nicht mehr als einem Monat einem ,,Verbleiben" in der Berliner Betriebsstätte nicht entgegen, nicht begründet. Es hat lediglich darauf hingewiesen, längerfristige Verbleibensregelungen auf anderen Rechtsgebieten könnten nicht unmittelbar herangezogen werden. Diese Erwägung gibt für die Anerkennung einer kraftfahrzeugsteuerrechtlich unschädlichen Abwesenheitsdauer von bis zu einem Monat nichts her. Richtig ist indessen, daß Verbleibensregelungen der vom FG angesprochenen Art für die Entscheidung, inwieweit die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Verbleibensvoraussetzung vorliegt (ohne größere zeitliche Unterbrechung), nicht herangezogen werden können. Kraftfahrzeugsteuerbefreiungen sind aus sich selbst heraus auszulegen und anzuwenden (Senat, Urteile vom 7. November 1989 VII R 115/87, BFHE 159, 238, BStBl II 1990, 251, und vom 14. November 1989 VII R 111/86, n. v.); dabei sind Regelungen für andere Rechtsgebiete im Hinblick auf ihren spezifischen, nicht kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Zweck jedenfalls grundsätzlich ohne Bedeutung. Daran ändert nichts, daß für die Auslegung von § 1 Abs. 1 Nr. 2 DVO auf die berlinförderungsrechtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden soll (Drucks. 7/1149 des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 17. Februar 1978, Abschn. A b Nr. 2 der Begründung; Verwaltungsanordnung Tz. 9; BFHE 146, 275, 277). Dieser Rückgriff betrifft allein die grundsätzlichen Erfordernisse des ,,Verbleibens" (u. a. regelmäßiger Berlin-Verkehr ohne größere zeitliche Unterbrechungen); förderungs- oder zulagerechtliche Regelungen über Einzelheiten einer noch anzuerkennenden Abwesenheit bzw. Vermietung werden damit nicht verbindlich.

Der Zweck der DVO - Ausgleich von Standortnachteilen für Berliner Unternehmen (Drucks. 7/1149, Abschn. A, a der Begründung; Verwaltungsanordnung Tz. 1) - läßt eine Ausdehnung der Steuerbefreiung auf Fälle größerer zeitlicher Unterbrechung des Berlin-Verkehrs nicht zu. Es gibt keinen Rechtsgrund, die von der Verwaltung insoweit anerkannte Toleranz zu erweitern. Außerkraftfahrzeugsteuerrechtliche Regelungen müssen, wie ausgeführt, außer Betracht bleiben. Kraftfahrzeugsteuerrechtlich ist Berlin-Verkehr die Hinfahrt von Berlin aus und die unverzügliche Rückfahrt, mit oder ohne Ladung. In Hinblick auf die Entfernung zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland bedarf es im allgemeinen keiner längeren Frist zwischen Aus- und Wiedereinfahrt, jedenfalls keiner solchen über 14 Tage; dasselbe gilt für Fahrten in die DDR. Besondere Umstände - längere Auslandsfahrten; Reparaturen -, die mit der Fahrt selbst zusammenhängen, können im Einzelfall berücksichtigt werden. Liegen solche Umstände nicht vor, so ist der Berlin-Verkehr als mit Abschluß der Hinfahrt beendigt anzusehen, sofern die Rückfahrt nicht unverzüglich, binnen kurzer Frist (,,ohne größere zeitliche Unterbrechung") erfolgt. In den beiden hier in Betracht kommenden Entrichtungszeiträumen ist die Rückfahrt nicht unverzüglich angetreten worden. Die wirtschaftlichen Gründe, die die späteren Rückfahrten veranlaßt hatten, mögen verständlich sein; mit der Fahrt selbst zusammenhängende besondere Umstände waren damit jedoch nicht gegeben. Eine Steuerbefreiung für die Entrichtungszeiträume vom 1. Februar bis 30. April und 1. August bis 31. Oktober 1982 scheidet hiernach mit Rücksicht auf die auf sie entfallenden Abwesenheitszeiträume von 21 bzw. 28 Tagen aus.

4. Die - unselbständige - Anschlußrevision ist unzulässig, denn sie betrifft nicht, wie für ihre Zulässigkeit erforderlich, den Gegenstand der Hauptrevision (Konnexität). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die unselbständige Anschlußrevision bei Zusammenfassung mehrerer Veranlagungszeiträume in einem Steuerbescheid wegen eines Steuerfalls erhoben wird, dessen Beurteilung mit der Hauptrevision nicht angegriffen ist (vgl. Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9939/5 und 7; siehe auch BFH, Urteil vom 17. Oktober 1984 I R 22/79, BFHE 142, 276, 282, BStBl II 1985, 69). Die Hauptrevision richtet sich hier gegen die Vorentscheidung, soweit durch diese der Bescheid betreffend den vierteljährlichen Entrichtungszeitraum (§ 11 Abs. 2 Nr. 2, § 6 KraftStG 1979; § 1 Abs. 2 Satz 2 DVO) vom 1. Februar bis 30. April 1982 vollständig und der Bescheid betreffend die beiden Entrichtungszeiträume vom 1. August 1982 bis 31. Januar 1983 teilweise, nämlich hinsichtlich des Entrichtungszeitraums vom 1. August bis 31. Oktober 1982, aufgehoben worden ist. Die Anschlußrevision greift die Vorentscheidung an, soweit die Klage abgewiesen worden ist, also (entgegen dem Wortlaut des Anschlußrevisionsantrags) hinsichtlich der teilweisen Bestätigung des einen Bescheides (Entrichtungszeitraum vom 1. November 1982 bis 31. Januar 1983). Konnexität ist insoweit nicht gegeben, denn es handelt sich um einen anderen Entrichtungszeitraum, damit um einen anderen Steuerfall.

Im übrigen wäre die Anschlußrevision auch unbegründet. Dies ergibt sich aus den Ausführungen zu Nr. 3 b. Bei einer Abwesenheitsdauer von 64 Tagen liegt kein Berlin-Verkehr vor.

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 194

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