Leitsatz (amtlich)

Zur Beweislast hinsichtlich der Beschaffenheit der ausgeführten Waren beim Widerruf der gewährten Ausfuhrerstattung durch die EVSt.

 

Normenkette

ErstVOGetrReis § 6 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3

 

Tatbestand

Der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) wurden von der Beklagten und Revisionsklägerin (Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (– EVSt-Getr –) für am 16. Juni 1966 nach Polen ausgeführte Getreidekörner, perlförmig geschliffen, von Gerste, die Ausfuhrerstattung in Form der Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr gewährt. Eine Marktordnungsprüfung bei der Firma B ergab, daß für eine Teilmenge von 172 000 kg aus Beständen der Firma B keine Warenproben entnommen worden waren. Darauf widerrief die EVSt-Getr die Erstattung für diese Teilmenge mit der Begründung, daß für diese der Nachweis über Art, Beschaffenheit und Zusammensetzung der ausgeführten Waren fehle, weil sich das vorgelegte Untersuchungsattest nicht darauf erstrecke.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt.

Das FG ist der Ansicht, grundsätzlich müsse die EVSt-Getr beweisen, daß die Voraussetzungen für den Erstattungswiderruf vorliegen, während nach § 6 der Erstattungsverordnung Getreide und Reis (ErstVOGetrReis) vom 24. November 1964 (Bundesgesetzblatt I 1964 S. 917 – BGBl I 1964, 917–) in der Fassung der Fünften Änderungsverordnung (5. ÄndVO) vom 3. Februar 1966 (Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 25 vom 5. Februar 1966, BZBl 1965, 2, 1966, 211) der Ausführer die Voraussetzungen für die Erstattungsgewährung nachzuweisen habe. Es gelte der Beweis des ersten Anscheins, wobei etwaige Zweifel zu Lasten der EVSt-Getr gingen. Die Klägerin habe gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 ErstVOGetrReis die Art und Beschaffenheit der gesamten ausgeführten Ware entsprechend den Richtlinien der EVSt-Getr nachgewiesen. Nach dem Ergebnis der später durchgeführten Marktordnungsprüfung stehe zwar lest, daß sich das den Erstattungsanträgen beigefügte Attest entgegen seinem Wortlaut nicht auf die im Widerrufsbescheid genannte Teilmenge erstrecke. Das bedeute jedoch nicht, daß die Klägerin etwa andere als perlförmig geschliffene Gerste ausgeführt oder daß sie die Erstattung zu Unrecht erhalten hätte. Der Nachweis nach § 6 ErstVOGetrReis sei nur bei der Beantragung einer Erstattung zu führen. Es sei nicht gesagt, in welcher Form die Beweise zu erbringen seien, wenn sich nach der Gewährung der Erstattung herausstelle, daß die dem Erstattungsantrag beigefügten Nachweise nicht ausreichten oder nicht ausgereicht hätten. Wenn aber insoweit keine Regeln für die Art der Beweisführung vorlägen, müsse der nachträgliche Nachwels in jeder Form geführt werden können. Bei Würdigung aller Umstände ergebe sich, daß es sich höchstwahrscheinlich auch bei den im Widerrufsbescheid der EVStGetr genannten Teilmengen um perlförmig geschliffene Gerstengraupen gehandelt habe. Soweit dennoch geringe Zweifel verbleiben sollten, berechtigten sie nicht zum Widerruf der Erstattung. Denn im Widerrufsfalle müßte nicht die Klägerin nachweisen, daß sie Perlgraupen ausgeführt habe, sondern die EVSt-Getr müßte nachweisen, daß die ausgeführte Ware etwas anderes als Perlgraupen gewesen sei. Dieser Nachweis sei aber nicht erbracht worden.

Mit der Revision macht die EVSt-Getr geltend, daß das Erstattungsverfahren von dem Beibringungsgrundsatz bestimmt sei. Danach habe derjenige, der von der zuständigen Behörde eine Leistung begehre, die Voraussetzungen seines Anspruchs zweifelsfrei darzutun. Da der Beschaffenheitsnachweis ein materielles Tatbestandsmerkmal der Erstattungsgewährung sei, habe die Klägerin diesen Nachweis beibringen und vorlegen müssen. Sie, die EVSt-Getr, habe bei der Gewährung der Erstattung nicht erkennen können, daß der Nachweis hinsichtlich der streitigen Teilmenge nicht erbracht worden sei. Nunmehr stehe objektiv fest, daß die Erstattung zu Unrecht gewährt worden sei, weil eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale für den Erstattungsanspruch nicht erfüllt gewesen sei. Der begünstigende Verwaltungsakt sei also rechtswidrig gewesen. Wenn das FG die nachträgliche Beibringung des Beschaffenheitsnachweises zulasse und dabei sogar auf die Forderung nach Einhaltung der Schriftform verzichte, so verstoße das gegen § 6 Abs. 3 ErstVOGetrReis, der zwingend vorschreibe, daß dem Erstattungsantrag mit den sonstigen Urkunden auch die gesamten Nachweise nach Abs. 1 Nr. 3 beizufügen seien. Das schließe die nachträgliche Beweisführung durch Hilfstatsachen anderer Art seitens der Antragsteller aus. Auch wenn aber die nachträgliche Beibringung des Beschaffenheitsnachweises rechtlich zulässig wäre, wäre es dennoch immer Sache des Antragstellers, einen vollgültigen, überzeugenden Nachweis als Tatbestandsmerkmal für den Erstattungsanspruch zu liefern. Die Beweislast kehre sich entgegen der Ansicht des FG nicht um. Eine solche Umkehrung könne allenfalls bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Gewährung der Erstattung eine Rolle spielen, wenn allein darauf abgestellt werde, ob die Klägerin seinerzeit – ungeachtet des Verfahrenserfordernisses der Führung des Beschaffenheitsnachweises – tatsächlich perlförmig geschliffene Gerste ausgeführt habe oder nicht. In diesem Falle wäre der Beschaffenheitsnachweis kein materielles Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs, sondern ein unabdingbares Verfahrenserfordernis zur Feststellung der materiellen Tatbestandsmerkmale des geltend gemachten Erstattungsanspruchs. In dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 23. April WO II C 142.67 (Die öffentliche Verwaltung 1970 S. 783 – DÖV 1970, 783 –) heiße es ausdrücklich, daß die grundsätzlich der Behörde obliegende Beweislast in allen Fällen, also auch ohne „unlauteres” Verhalten des Begünstigten, dort ende, wo es um die Richtigkeit eines von dem Begünstigten nachträglich behaupteten abweichenden Sachverhalts gehe, der geeignet wäre, den begünstigenden Verwaltungsakt im Ergebnis zu rechtfertigen. Die Klägerin habe zusammen mit den übrigen Urkunden ein Attest über die Beschaffenheit der Ausfuhrware vorgelegt, das angeblich die gesamte Ausfuhrmenge betroffen habe, ebenso eine Ausfuhrbescheinigung, die den Anschein erweckt habe, als seien aus der gesamten Partie Proben gezogen worden. Diese urkundlichen Angaben der Klägerin seien falsch gewesen, so daß diese den begünstigenden Verwaltungsakt durch unrichtige Angaben erwirkt habe. Das stehe heute objektiv fest. Die Klägerin habe daraufhin einen Hilfssachverhalt in das Verfahren eingeführt, um die Erstattungsgewährung dennoch zu rechtfertigen. Ob dieser richtig und vor allem ausreichend sei, um die Voraussetzungen für den begünstigenden Verwaltungsakt zu belegen, müsse sie dartun. Zweifel gingen zu ihren Lasten, unabhängig davon, ob sie bei Vorlage ihrer Urkunden im Erstattungsverfahren schuldhaft gehandelt habe oder nicht. Den ihr obliegenden Beweis habe die Klägerin nicht geführt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.

Für die Ausfuhr von Getreideerzeugnissen konnte die Ausfuhrerstattung nach § 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 ErstVOGetrReis nur gewährt werden, wenn der Erstattungsberechtigte die Ausfuhr der in § 1 genannten Erzeugnisse und deren Herkunft, Art, Beschaffenheit und Zusammensetzung nachwies (Beschaffenheitsnachweis). Der Nachweis war dem Erstattungsantrag beizufügen.

1. Im vorliegenden Falle hat die Klägerin bei der Antragstellung diesem Erfordernis insofern genügt, als sie eine Ausfuhrbescheinigung nebst Untersuchungsattesten vorlegte, die von der Zollverwaltung ausgestellt waren und in denen bestätigt wurde, daß die gesamte angegebene Menge eines erstattungsfähigen Erzeugnisses (einschließlich der hier streitigen Teilmenge) untersucht, für richtig befunden und ausgeführt wurde. Auf Grund dieser Unterlagen wurde ihr die beantragte Erstattung gewährt.

Es ist unstreitig, daß in Wirklichkeit ein Teil der Ware nicht untersucht worden ist, die Ausfuhrbescheinigung also objektiv falsch war. Diese Feststellung wurde allerdings erst im Erstattungswiderrufsverfahren getroffen.

2. Wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes entschieden hat, kann eine zu Unrecht gewährte Ausfuhrerstattung grundsätzlich widerrufen werden, weil dadurch in erster Linie ein ungerechtfertigter Wettbewerbs- oder Marktvorteil des einzelnen gegenüber den übrigen Marktteilnehmern beseitigt wird und das öffentliche Interesse daran, daß dies geschieht und somit Erstattungen auch wirklich nur in den dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden, in der Regel das schutzwürdige Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung der zugesagten Erstattung überwiegt. Insbesondere steht dem Widerruf das zu schützende Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsaktes dann nicht entgegen, wenn der Erstattungsempfänger unrichtige oder unvollständige Angaben für die Gewährung der Erstattung gemacht hat. Das gilt auch dann, wenn diese Angaben zunächst richtig waren und sich erst später ihre Unrichtigkeit herausstellte. In diesem Fall kommt es darauf an, in welchen Verantwortungsbereich die unrichtigen Angaben fallen (s. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 9. Mai 1972 VII R 22/69, BFHE 106, 150). Abweichend von der Regel, daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Vergünstigung der zu Begünstigende nachzuweisen hat, muß jedoch grundsätzlich die Behörde die Voraussetzungen für den Widerruf beweisen. Die mangelnde Beweisbarkeit der Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes geht ausnahmsweise dann nicht zu Lasten der Behörde, wenn der Begünstigte den Verwaltungsakt durch unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hat und nicht geklärt werden kann, ob andere von ihm nachträglich behauptete Tatsachen vorliegen, die den begünstigenden Verwaltungsakt im Ergebnis rechtfertigen (BFH-Urteil vom 8. November 1972 VII R 98/68, BFHE 107, 482).

Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob es sich, wie das FG angenommen hat, bei der Beibringung des Beschaffenheitsnachweises um eine materielle oder aber um eine nur formelle Voraussetzung der Erstattung gehandelt hat. Hat der Erstattungsempfänger eine Ausfuhrbescheinigung eingereicht, die sich erst nachträglich als falsch oder unvollständig erweist, was die Einfuhr- und Vorratsstelle gegebenenfalls nachzuweisen hätte, hier aber unstreitig ist, so steht damit fest, daß die Erstattung nicht hätte gewährt werden dürfen, es sei denn, der Nachweis würde jetzt noch geführt. Da aber die Einreichung der Unterlagen hierfür im Verantwortungsbereich des Antragstellers lag, muß er diesen Beweis führen.

Daß der Erstattungsempfänger für die Voraussetzungen der Erstattung beweispflichtig bleibt, ergibt sich auch aus folgenden Erwägungen:

Das Rücknahmeverfahren wird in besonderem Maße von den Grundsätzen von Treu und Glauben beherrscht. Das bedeutet, daß sich kein Beteiligter auf eine prozessuale Situation berufen kann, die er selbst durch ein Verhalten verursacht hat, daß die Berufung auf eine solche Situation zum Nachteil der anderen Partei in den Augen aller gerecht und billig Denkenden als den Anschauungen des redlichen Verkehrs widersprechend erscheinen lassen würde (vgl. § 242 BGB). Das zeigt sich eindrucksvoll in einem Fall, in dem der Erstattungsempfänger sich die Ausfuhrbescheinigung durch unlautere Machenschaften verschafft hat, die Behörde aber nicht in der Lage ist, nachzuweisen, daß die ausgeführten Waren anderer Art als angegeben waren. Hier wäre es unerträglich, wenn die Nichterweislichkeit nicht zur Rückzahlung der Erstattung führen könnte, es sei denn, daß der Erstattungsempfänger nun seinerseits nachwiese, daß er der Zusage entsprechende Waren ausgeführt habe, ein Beweis, der ihm ohnehin leichter fallen muß als der EVSt-Getr der Negativbeweis. Aber auch in anderen Fällen, in denen die Ursachen für die Falschbeurkundung in der Sphäre des Erstattungsempfängers liegen, ohne daß ihn ein wertender Vorwurf trifft, ist dieser Rückübergang der Beweislast gerechtfertigt.

Allerdings kann er diesen Beweis nunmehr auch durch andere Mittel als die in § 6 Abs. 3 ErstVOGetrReis genannten Unterlagen führen. Kann schon die EVSt-Getr im Rücknahmeverfahren den (negativen) Beweis, daß die ihr vorgelegten Unterlagen unrichtig sind, mit allen Beweismitteln führen, so muß es dem Erstattungsempfänger gestattet sein, diesen Beweis durch Gegenbeweis jeder Art zu erschüttern oder aber, soweit die Beweislast – wie hier – auf ihn zurückgefallen ist, das Vorliegen der Erstattungsvoraussetzungen mit allen möglichen Beweismitteln zu führen.

Im Streitfall ist das FG lediglich zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich bei der streitigen Teilmenge „höchstwahrscheinlich” bzw. „mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad” um Perlgraupen gehandelt habe. Das allein genügt nicht für eine nach freier, aus dem Gesamtbild des Verfahrens gewonnener Überzeugung zu treffende Entscheidung im Sinne des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO. Es muß ein jeden vernünftigen Zweifel ausschließender Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen.

Offensichtlich hat das FG den Beschaffenheitsnachweis nicht als erbracht angesehen, daraus aber keine Folgerungen gezogen, weil es unzutreffenderweise die EVSt-Getr im Widerrufsfall für beweispflichtig hielt und dieser den nicht erbrachten Nachweis zur Last legte. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die nicht spruchreife Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

BFHE 1976, 115

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