Entscheidungsstichwort (Thema)

(Rückforderung von Ausfuhrerstattung: Kenntnis des Erfüllungsgehilfen - Vertrauensschutz bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes - Verschulden des Erfüllungsgehilfen im öffentlichen Recht)

 

Leitsatz (amtlich)

Der im Ausfuhrerstattungsverfahren Begünstigte muß sich im Rahmen von § 48 Abs.2 Satz 7 VwVfG die Kenntnis oder infolge grober Fahrlässigkeit fehlende Kenntnis eines Anderen zurechnen lassen, dessen er sich zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber dem die Ausfuhrerstattung gewährenden HZA bedient.

 

Orientierungssatz

1. Bei der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Begünstigte weiß oder wissen müßte, daß die erforderlichen Angaben unrichtig sind (vgl. Rechtsprechung des BVerwG).

2. Der Grundsatz des § 278 BGB, wonach der Schuldner für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten im gleichen Maße wie für eigenes Verschulden einstehen muß, gilt nicht nur bei der Erfüllung schuldrechtlicher Verbindlichkeiten, sondern ebenso im öffentlichen Recht, wenn sich der Begünstigte bei der Erfüllung seiner aufgrund von Rechtsvorschriften als Voraussetzung für die Gewährung einer Geldleistung bestehenden öffentlich-rechtlichen Pflichten eines anderen bedient.

 

Normenkette

EWGV 3665/87 Art. 22-23; BGB § 818 Abs. 3; FGO § 69 Abs. 2-3; MOG § 10 Abs. 1, 3; VwVfG § 48 Abs. 2 Sätze 1-2, 3 Nr. 2, Sätze 6-7

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 24.01.1994; Aktenzeichen IV 278/93 H)

 

Tatbestand

I. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) hatte der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) in 13 Erstattungsbescheiden --davon in sieben Fällen nach gemeinschaftsrechtlicher Vorschußregelung-- für den Export von Käse in das Land L Ausfuhrerstattung gewährt. Die Ausfuhrware hatte die Antragstellerin, die den Export nicht selbst durchführte, einer anderen Firma verkauft, und zwar zu einem Kaufpreis, der kalkulatorisch bereits um die zu erwartende Ausfuhrerstattung gemindert war.

Zum Nachweis der Einfuhr in L hatte die Antragstellerin Kopien der Zollpapiere und der Beförderungsnachweise mit den zugehörigen Kontrollexemplaren vorgelegt. Diesen Nachweisen zufolge ist die Exportware in genau bezeichneten Containern und Schiffen nach L verschifft worden. Den in Fotokopie vorgelegten Zollpapieren zufolge bestätigten die Zollbehörden dort, daß die Güter in der jeweiligen Zollerklärung als Konsumgüter gestellt worden waren. Nach den Ermittlungen der griechischen Zollbehörden und der deutschen Zollfahndung sind alle 13 Käsepartien in G als Gemeinschaftsware unter Vorlage gefälschter Formblätter T 2 L in den freien Verkehr der Gemeinschaft überführt worden. Den von der Zollfahndung erhobenen Papieren zufolge stimmen die Containernummern und Gewichtsangaben mit den von der Antragstellerin im Erstattungsverfahren gemachten Angaben überein.

Das HZA machte daraufhin in bezug auf alle 13 Erstattungsbescheide mit Rückforderungsbescheid ... bei der Antragstellerin einen Rückforderungsbetrag von ... geltend. Über den dagegen eingelegten Einspruch ist noch nicht entschieden worden.

Der beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag, die Vollziehung des Rückforderungsbescheides ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, hatte aus den in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 570 wiedergegebenen Gründen, auf die Bezug genommen wird, keinen Erfolg.

Mit ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, das FG weiche in seinem Beschluß von der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), vom Bundesgerichtshof (BGH) und von der Lehre zur Anwendung des § 818 Abs.3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Hinblick auf die Voraussetzungen, unter denen ein Wegfall der Bereicherung vorliege, vertretenen Rechtsansicht ab.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. ...

Im Ergebnis richtig hat das FG entschieden, daß eine Aussetzung der Vollziehung wegen ernsthafter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides (§ 69 Abs.3 i.V.m. § 69 Abs.2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht in Betracht kommt, weil die Voraussetzungen dafür im Streitfall nicht vorliegen. Bei summarischer Prüfung des angefochtenen Rückforderungsbescheides sind nämlich neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen keine gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe zutage getreten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken.

Die Rücknahme der Bescheide über die Ausfuhrerstattung und die Festsetzung des Rückforderungsbetrages ist zu Recht auf § 10 Abs.1, 3 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) i.V.m. § 48 Abs.2 bis 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) gestützt worden. Zu Recht hat das FG auch angenommen, daß in den sieben Fällen, in denen die Antragstellerin die Ausfuhrerstattung bevorschußt nach Art.22 der Verordnung (EWG) Nr.3665/87 --VO Nr.3665/87-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr.L 351/1 m.Ä.) erhalten hat, die Frage dahingestellt bleiben kann, ob sich die Rückforderung unmittelbar aus Art.23 VO Nr.3665/87 ergibt (vgl. dazu auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Mai 1993 VII R 44/92, BFHE 172, 190). Denn selbst nach den sonst im Ausfuhrerstattungsrecht geltenden nationalen Vorschriften über den Vertrauensschutz bei der Rückforderung von Ausfuhrerstattungsbeträgen (§ 48 Abs.2 VwVfG) käme ein Vertrauensschutz für die Antragstellerin in diesen Fällen nicht in Betracht.

Der erkennende Senat teilt auch die Auffassung der Vorinstanz, daß keine rechtlichen oder tatsächlichen Zweifel an dem fehlenden Nachweis der Voraussetzungen für die Zahlung der Ausfuhrerstattung bestehen; er bezieht sich insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses (Seiten 7 und 8).

Im Ergebnis richtig ist auch, daß sich die Antragstellerin gegenüber der Rückforderung nicht auf einen Vertrauensschutz nach § 48 Abs.2 VwVfG, insbesondere auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 48 Abs.2 Satz 6 VwVfG i.V.m. § 818 Abs.3 BGB berufen kann.

Nach § 48 Abs.2 Satz 3 Nr.2 VwVfG kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung u.a. unrichtig waren. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Begünstigte weiß oder wissen mußte, daß die erforderlichen Angaben unrichtig sind (vgl. BVerwG-Urteile vom 20. Oktober 1987 9 C 255.86, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, abgedruckt unter 412.3, § 18 Nr.11; vom 30. Mai 1988 BVerwG 3 B 11.88, Buchholz abgedruckt unter 427.3, § 335a Nr.84). Im vorliegenden Fall waren die für die Gewährung der Ausfuhrerstattung vorgelegten Nachweise über die Abfertigung der Waren in L zum freien Verkehr nach den bisherigen Feststellungen als widerlegt und damit als unrichtig im Sinne der Vorschrift anzusehen, so daß schon deshalb ein Vertrauensschutz für die Antragstellerin nach § 48 Abs.2 Satz 1 und 2 VwVfG nicht in Betracht kommt.

Die Antragstellerin kann sich aber auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung nach § 48 Abs.2 Satz 6 VwVfG i.V.m. § 818 Abs.3 BGB berufen. Ohne daß es insoweit auf die vom FG verneinte Frage, ob ein Wegfall der Bereicherung im Sinne dieser Vorschriften gegeben ist, ankommt, kann sich der Erstattungspflichtige bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs.2 Satz 3 Nr.2 VwVfG nämlich nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, soweit er die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes begründet haben (§ 48 Abs.2 Satz 7 VwVfG). Im Streitfall sind die Umstände entscheidend, aus denen sich die Unrichtigkeit der zur Gewährung der Ausfuhrerstattung vorgelegten Nachweise ergab. Es reicht insoweit aber nicht aus, daß sich die Antragstellerin auf die eigene Unkenntnis oder fehlende grobe Fahrlässigkeit in bezug auf die Unkenntnis der Unrichtigkeit der vorgelegten Nachweise berufen könnte. Denn sie muß sich auch die Kenntnis oder die infolge grober Fahrlässigkeit fehlende Kenntnis derjenigen Personen zurechnen lassen, derer sie sich bei Erfüllung ihrer gegenüber dem HZA im Zusammenhang mit der Gewährung der Ausfuhrerstattung obliegenden Verpflichtungen bedient hat. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen, u.a. in §§ 166 Abs.1, 278 BGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken. Sofern eine Person nicht selbst handelt, sondern jemand anders für sich handeln läßt, kommt es danach grundsätzlich auf die Kenntnis, das Kennenmüssen oder das Verschulden des tatsächlich Handelnden an, das der Person, die sich des Handelnden bedient, zugerechnet wird. So muß der Schuldner nach § 278 BGB für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten im gleichen Maße wie für eigenes Verschulden einstehen. Dieser Grundsatz gilt als allgemeiner Grundsatz nicht nur bei Erfüllung schuldrechtlicher Verbindlichkeiten, sondern muß ebenso auch im öffentlichen Recht gelten, wenn sich der Begünstigte bei der Erfüllung seiner aufgrund von Rechtsvorschriften als Voraussetzung für die Gewährung einer Geldleistung bestehenden öffentlich-rechtlichen Pflichten eines anderen bedient. Auch der durch die Gewährung einer Ausfuhrerstattung Begünstigte muß daher im Rahmen des § 48 Abs.2 Satz 7 VwVfG für das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen einstehen (vgl. BVerwG-Beschluß vom 21. Dezember 1990 BVerwG 3 B 47.89, Buchholz abgedruckt unter 316, § 48 Nr.64). Die Verantwortung des Empfängers einer Ausfuhrerstattung kann nicht dadurch entfallen, daß er einen anderen mit der Erfüllung der im Ausfuhrerstattungsrecht vorgeschriebenen Pflichten beauftragt, zu deren Erfüllung er als Voraussetzung für die Gewährung der Ausfuhrerstattung gegenüber dem HZA verpflichtet ist.

Nach den bisherigen Feststellungen ist davon auszugehen, daß der Käufer der Waren oder die von ihm beauftragten Personen, die die von der Antragstellerin übernommenen Ausfuhrverpflichtungen für sie zu erfüllen hatten, die Waren bewußt nicht nach L, sondern unrechtmäßig über G wieder in die Gemeinschaft eingeführt haben. Ihre Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die die Rechtswidrigkeit der Gewährung der Ausfuhrerstattung begründet haben, muß sich die Antragstellerin nach dem zuvor Ausgeführten mit der in § 48 Abs.2 Satz 7 VwVfG vorgeschriebenen Folge zurechnen lassen. Sie könnte sich schon deshalb nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen. Der Senat braucht sich somit nicht mit der vom FG und der Antragstellerin als entscheidend angesehenen Frage auseinanderzusetzen, ob die Antragstellerin, die die Ausfuhrvergünstigung in dem mit dem Käufer vereinbarten Preis an diesen weitergegeben hat, noch bereichert ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65238

BFH/NV 1995, 5

BFHE 175, 478

BFHE 1995, 478

BB 1994, 2411

BB 1994, 2411 (L)

DStR 1995, 215 (KT)

HFR 1995, 65-66 (LT)

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