Leitsatz (amtlich)

1. § 106 GKG a. F. (Fälligkeit der Gebühren) gehört zu den Vorschriften des GKG, die gemäß § 140 Abs. 1 FGO a. F. auf die Gerichtskosten sinngemäß Anwendung finden.

2. Gerichtskosten können gemäß § 147 FGO a. F. auch dann angesetzt werden, wenn gegen die in die Kosten verurteilende Entscheidung des FG Revision eingelegt worden ist.

 

Normenkette

GKG § 106; FGO §§ 140, 147 a.F.

 

Tatbestand

Das Finanzgericht Berlin (FG) wies mit Beschluß vom 28. November 1974 IV 153/74 (EFG 1975, 377) die von der Kostenschuldnerin und Beschwerdeführerin (Kostenschuldnerin) in einem Rechtsstreit wegen Investitionszulage erhobene Klage ab und legte die Kosten des Verfahrens der Kostenschuldnerin auf. Mit Verfügung vom 1. Oktober 1974 setzte der Kostenbeamte des FG die gerichtlichen Gebühren fest. Mit ihrer dagegen eingelegten Erinnerung beantragte die Kostenschuldnerin, die Kostenfestsetzung aufzuheben, da gegen das Urteil Revision eingelegt und im Urteil keine vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten ausgesprochen worden sei.

Das FG wies die Erinnerung zurück und ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Beschwerde zu. Zur Begründung führte es aus, daß die vom Kostenbeamten angesetzten Gebühren (Prozeßgebühr und Urteilsgebühr) bereits vor Erlaß der Kostenfestsetzungsverfügung auflösend bedingt entstanden und gemäß § 140 Abs. 1 FGO i. V. m. § 106 des Gerichtskostengesetzes (GKG) gleichzeitig auch fällig geworden seien.

Das Urteil des BFH vom 23. Februar 1956 II 128/55 S (BStBl III 1956, 117) stehe, so meinte das FG, seiner Auffassung nicht entgegen. Da die Schuldnerschaft der Kostenschuldnerin nach den §§ 95, 99 Nr. 1 GKG weder eine rechtskräftige noch eine vorläufig vollstreckbare Entscheidung voraussetze, hätten die Gebühren trotz des fehlenden Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils angesetzt werden dürfen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kostenschuldnerin. Sie macht geltend, daß die Kostenfestsetzung nicht gerechtfertigt sei, wenn gegen die abweisende Entscheidung des FG Revision eingelegt und die Kostenentscheidung nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt worden sei. § 106 GKG sei im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar. Die Kostenpflicht des Unterliegenden entstehe nach § 135 Abs. 1 FGO erst bei der endgültigen (rechtskräftigen) Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Da die dem vorliegenden Kostenstreit zugrunde liegende Rechtsstreitigkeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, ... und anderer Vorschriften vom 20. August 1975 (BGBl I 1975, 2189) anhängig geworden ist und die Beschwerde ebenfalls vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingelegt worden ist, werden die Gebühren nach bisherigem Recht erhoben (vgl. Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 des genannten Gesetzes). Die in Betracht kommenden Paragraphen FGO und des Gerichtskostengesetzes werden im folgenden in der alten Fassung zitiert. Der von der Kostenschuldnerin als rechtswidrig angegriffene Kostenansatz beruht auf dem klagabweisenden Urteil des FG, in dem ihr die Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind. Die Kostenschuldnerin hat keinen Rechtsanspruch darauf, daß die gemäß § 140 Abs. 1 FGO i. V. m. § 25 Abs. 1 Nr. 1 und 3 GKG entstandenen Gebühren im Hinblick auf die von ihr gegen das Urteil des FG eingelegte Revision erst nach Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung angesetzt werden. Wie das FG zutreffend entschieden hat, sind die gemäß § 147 FGO angesetzten Gebühren gleichzeitig mit ihrer Entstehung auch fällig geworden. Das ergibt sich aus § 140 Abs. 1 FGO. Danach findet auf die Gerichtskosten das Gerichtskostengesetz sinngemäß Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. Unter die nach dieser Vorschrift anwendbaren Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes fällt auch § 106 (so auch: Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluß vom 17. Februar 1970 III 117/69, EFG 1970, 317; Lauterbach/Hartmann, Kostengesetze, 17. Aufl., § 106 GKG Anm. 1; Maeder/Mittelsteiner, Finanzgerichtsordnung, § 140 Anm. I 5; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 140 FGO a. F. Anm. 14 und 23, § 147 FGO a. F. Anm. 2; im Ergebnis ebenso, aber ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 106 GKG: Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 140 Rdnr. 21; anderer Ansicht: FG Düsseldorf, Beschluß vom 5. Mai 1966 V 19/66 EK, EFG 1966, 378; Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 135 FGO Anm. 1 Abs. 5, § 147 FGO Anm. 4). In sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmung wird die Prozeßgebühr mit der Stellung des Antrags fällig, durch den das Verfahren bedingt ist. Unter Antrag in diesem Sinne ist das in der Klage geltend gemachte Begehren zu verstehen, ein bestimmtes Verfahren durchzuführen (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 140 FGO Anm. 23). Die Fälligkeit der Urteilsgebühr gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 3 GKG ergibt sich aus dem zweiten Halbsatz des § 106 GKG.

In seiner Auffassung, daß Gerichtskosten schon vor dem Eintritt der Rechtskraft angesetzt werden können, sieht sich der erkennende Senat durch den Beschluß des Großen Senats vom 18. Juli 1967 GrS 8/66 (BFHE 90, 156, BStBl II 1968, 59) bestätigt. Der Große Senat hat dort zu § 139 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 FGO ausgeführt, daß ein Kostenerstattungsanspruch mit dem Erlaß der gerichtlichen Kostenentscheidung nach §§ 143, 144 FGO entsteht und daß die Kostenentscheidung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses und nicht erst mit dem Eintritt der Rechtskraft wirksam wird. Er hat sich der herrschenden Meinung im Zivilprozeß angeschlossen, die ebenfalls davon ausgeht, daß der Kostenerstattungsanspruch mit dem Erlaß der in die Kosten verurteilenden Sachentscheidung des Gerichts erwachse, auflösend bedingt durch den Eintritt der Rechtskraft. Diese für die Entstehung des Kostenerstattungsanspruchs geltenden Überlegungen müssen auch für die Entstehung der ebenfalls in § 139 Abs. 1 FGO erwähnten Gerichtsgebühren Geltung beanspruchen. Entgegen der Auffassung der Kostenschuldnerin ist daher die zu ihren Ungunsten ergangene Kostenentscheidung des FG bereits mit ihrem Erlaß wirksam geworden mit der Folge, daß die zu den Kosten des Verfahrens gehörenden Gebühren und Auslagen des FG (§ 139 Abs. 1 FGO) nicht erst mit Eintritt der Rechtskraft, sondern (auflösend bedingt) schon vorher angesetzt werden können. Insoweit unterscheidet sich die aus § 140 FGO i. V. m. §§ 25, 106 GKG ergebende Rechtslage von der Rechtslage, wie sie dem vom FG zitierten BFH-Urteil II 128/55 S zugrunde lag. In jenem Urteil hat der BFH zum inzwischen aufgehobenen § 307 AO entschieden, daß der Kostenanspruch des Steuerfiskus frei von Bedingungen, von Vorläufigkeiten usw. erst entsteht, wenn der Steuerpflichtige im endgültigen Ergebnis unterliegt. Das ergebe sich erst nach der rechtskräftigen Erledigung des Rechtsmittelverfahrens und nicht schon mit der Bekanntgabe der ersten Rechtsmittelentscheidung. Dieser Entscheidung ist aber durch die gemäß § 140 Abs. 1 FGO sinngemäß heranzuziehenden §§ 25 und 106 GKG die Grundlage entzogen.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, steht auch § 140 Abs. 2 FGO der sinngemäßen Anwendung des § 106 GKG und damit dem Ansatz der Gerichtskosten gemäß § 147 FGO vor rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens nicht entgegen. Wenn eine gerichtliche Verfügung nicht von der Zahlung der erforderten Prozeßgebühr abhängig gemacht werden darf, dann ist damit nichts darüber gesagt, wann die Prozeßgebühr bzw. die Urteilsgebühr gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 1 und 3 GKG entsteht und wann sie fällig wird. Die Bedeutung dieser Bestimmung liegt, wie das FG festgestellt hat, darin, daß sie die Anwendung des § 111 GKG ausschließt.

Das FG hat auch zutreffend die Auffassung der Kostenschuldnerin zurückgewiesen, daß der Kostenansatz nicht gerechtfertigt sei, weil die Kostenentscheidung nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt worden sei. Urteile, mit denen die Klage zurückgewiesen wird und aus denen zugunsten des Bundes oder des Landes nur wegen der dem Kläger auferlegten Kosten vollstreckt werden kann, bedürfen keiner Vollstreckbarkeitserklärung (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 150 FGO Anm. 2). Insoweit unterscheidet sich § 150 FGO von § 151 FGO.

 

Fundstellen

BStBl II 1976, 462

BFHE 1976, 428

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