Entscheidungsstichwort (Thema)

Anordnungsanspruch für einstweilige Anordnung

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Anordnungsanspruch aus § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 erfordert zur Glaubhaftmachung den Nachweis der Zahlungen durch Belege.

2. Einwendungen gegen die der Vollstreckung zugrunde liegenden Forderungen können wegen § 256 AO 1977 keinen Anordnungsanspruch begründen.

3. Bloße Erwartungen reichen nicht aus, um einen Anordnungsanspruch schlüssig dazulegen.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 3; AO 1977 §§ 256, 257 Abs. 1 Nr. 3, §§ 258, 322 Abs. 4

 

Tatbestand

Das FA betreibt die Vollstreckung gegen den Antragsteller wegen Steuerschulden. Eine Betriebsprüfung führte zu unanfechtbar festgesetzten Mehrsteuern in Höhe von . . . DM. Das FA beantragte wegen der Steuerschulden drei Zwangsversteigerungsverfahren.

Der Antragsteller beantragte beim FG durch einstweilige Anordnung die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerungsverfahren.

Das FG wies den Antrag mit der Begründung zurück, es sei weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch i. S. des § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) glaubhaft gemacht worden. Die Vollstreckung in die Grundstücke sei nicht unbillig, weil dem FA erhebliche Steueransprüche zustünden. Auch lägen keine Nachteile vor, die über den allgemeinen Nachteil der Steuerzahlung und Vollstreckung hinausgingen. Es sei nicht glaubhaft gemacht worden, daß die Zwangsversteigerung der Grundstücke zu wesentlichen und nicht reparablen Schäden führen werde. Schließlich könne der Antragsteller wegen § 256 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht mit dem Argument gehört werden, daß die Steuerschulden zu hoch festgesetzt seien.

Mit der Beschwerde trägt der Antragsteller vor, daß das FA die Zwangsversteigerung auch wegen Steuerrückständen seiner Ehefrau und der X-GmbH betreibe. Auch habe er auf seine Steuerschulden mindestens . . . DM durch Versteigerung von Grundbesitz gezahlt. Schließlich seien die vom FA geltend gemachten Lohnsteuerbeträge zweifelhaft, da er, der Antragsteller, dafür keine Haftungsbescheide in seinen Unterlagen vorgefunden habe. Soweit die Lohnsteuerschulden für seine Lohnbezüge bzw. die Lohnbezüge seiner Ehefrau angefallen seien, würden sie aber schon mit der Einkommensteuerschuld geltend gemacht. Auch wolle er seinen Grundbesitz selbst freihändig verwerten, weil er dadurch höhere Erlöse als im Zwangsversteigerungsverfahren erwarte.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß ein Anordnungsanspruch i. S. des § 114 FGO nicht glaubhaft gemacht worden ist. Den Ausführungen des Antragstellers muß entnommen werden, daß er eine Einstellung der Zwangsvollstreckung und damit die Beendigung des Zwangsversteigerungsverfahrens deshalb anstrebt, weil er die Frage, ob und inwieweit die Verwirklichung von Ansprüchen des FA gegen ihn gerechtfertigt ist, nicht für geklärt hält. Nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 besteht ein Anspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung, wenn der Anspruch des FA auf die Leistung erloschen ist. Danach könnte der Antragsteller aber nur dann die Einstellung der Zwangsvollstreckung verlangen, wenn das FA gegen ihn keine Ansprüche mehr hätte. Da das FA wegen Steuerschulden in Höhe von . . . DM die Zwangsvollstreckung betreibt, hat die erzwungene Zahlung durch Erlöse aus der Zwangsversteigerung in Höhe von . . . DM nicht zur vollen Tilgung der Steuerschulden geführt. Wie der Senat bereits im Beschluß vom 28. Januar 1986 VII B 86/85 (BFH/NV 1986, 552, 553) ausgeführt hat, reicht die Behauptung, es seien Zahlungen erbracht worden, allein nicht zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs aus, wenn dies nicht durch entsprechende Belege nachgewiesen wird.

Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, die der Vollstreckung zugrunde liegenden Forderungen beruhten auf einer unzulässigen Haftung für fremde Steuerverbindlichkeiten, kommt ein Anordnungsanspruch schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Einwendungen gegen die Festsetzung der Forderungen im Vollstreckungsverfahren nicht berücksichtigt werden können (§ 256 AO 1977).

Auch das neue Begehren des Antragstellers, ihm den freihändigen Verkauf zu ermöglichen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar beschränkt sich die Aufgabe des Bundesfinanzhofs (BFH) im Beschwerdeverfahren nicht darauf, die Entscheidung der Vorinstanz auf ihre Richtigkeit zu kontrollieren. Vielmehr hat der Senat das Begehren des Antragstellers - im Rahmen des Beschwerdeantrages - erneut in jeder Hinsicht zu prüfen und dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen (vgl. Senatsbeschluß vom 12. Februar 1969 VII B 60/66, BFHE 95, 84, BStBl II 1969, 318, 319; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 132 Rdnr. 5). Jedoch ist der geltend gemachte Anordnungsanspruch für die begehrte Erlaubnis zur freihändigen Veräußerung nicht schlüssig dargelegt worden.

Ein solcher Anspruch auf Rücknahme des Versteigerungsantrages gemäß § 322 Abs. 4 AO 1977 kann sich aus § 258 AO 1977 ergeben. Wird im Verwaltungsvollstreckungsverfahren als vorläufiger Rechtsschutz durch ein Gericht die Verpflichtung zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung verlangt, so kann der Streitgegenstand nur die nach § 258 AO 1977 in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung einer vorläufigen Vollstreckungsaussetzung sein. Unter welchen Voraussetzungen dieser vorläufige Rechtsschutz durch ein Gericht erlangt werden kann, ist, da der Anordnungsanspruch eine behördliche Ermessensentscheidung betrifft, umstritten (vgl. Beschluß des Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587, 588). Im Streitfall braucht nicht entschieden zu werden, welcher der vertretenen Auffassungen zu folgen ist. Auch wenn der Entscheidung über die einstweilige Anordnung die für den Antragsteller günstigste Auffassung zugrunde gelegt wird, nämlich die, daß das Gericht befugt ist, die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (,,Interimsermessen") zu treffen, ist die einstweilige Anordnung im Streitfall zu versagen; denn in Anwendung dieses Ermessens gelangt der erkennende Senat zu dem Ergebnis, daß die beantragte Anordnung nicht gerechtfertigt ist, weil ihre Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht worden sind.

Voraussetzung für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO 1977 ist, daß im Einzelfall die Zwangsvollstreckung unbillig ist. Eine solche Unbilligkeit kann nicht schon darin liegen, daß die Vollstreckung mit Härten verbunden ist. Im Streitfall fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs auch deshalb, weil der Antragsteller sich wesentlich auf die Erwartung beruft, im Wege der freihändigen Veräußerung der Grundstücke einen höheren Erlös erzielen zu können. Das reicht zur schlüssigen Darlegung eines Anordnungsanspruchs schon deshalb nicht aus, weil das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs als Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung nur angenommen werden kann, wenn zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der Umstand eintritt, der die Unbilligkeit der Vollstreckung begründen soll (vgl. Senatsbeschluß vom 18. März 1986 VII B 115/85, BFH/NV 1986, 479, 480, 481). Schon das hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Deshalb kommt es nicht darauf an, daß der Antragsteller seine Behauptung, im Wege des freihändigen Verkaufs höhere Erlöse erzielen zu können, nicht näher durch nachprüfbare Angaben belegt hat.

Da es danach bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehlt, bedarf es keines Eingehens mehr auf die Frage, ob der Antragsteller auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht hat.

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 423

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