Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung bei Durchführung einer Beweisaufnahme

 

Leitsatz (NV)

1. Besorgnis der Befangenheit eines Richters liegt nur vor, wenn ein Grund gegeben ist, der nach objektiven und vernünftigen Erwägungen vom Standpunkt der Partei aus geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

2. Die etwaige Besorgnis einer Partei, die weitere Aufklärung des Sachverhalts durch eine vom FG beschlossene Einnahme des Augenscheins könnte ihre Hoffnung auf einen günstigen Ausgang des Prozesses verringern, rechtfertigt es nicht, den mit der Einnahme des Augenscheins beauftragten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Vor dem Finanzgericht (FG) ist ein Klageverfahren anhängig, in dem sich die Beschwerdeführer gegen die Einheitsbewertung ihres Hausanwesens . . . wenden. Berichterstatter in dieser Sache ist Richter S.

Am 12. Februar 1987 beschloß das FG, über die Gestaltung des Gebäudes auf dem Grundstück . . . Beweis zu erheben durch Augenscheinseinnahme. Mit der Durchführung wurde der Berichterstatter S beauftragt. Dieser setzte Termin zur Augenscheinseinnahme nebst Erörterung des Sach- und Streitstandes auf den 20. Februar 1987, 14 Uhr auf dem streitbefangenen Grundstück der Kläger an.

Am 20. Februar 1987 erschien entsprechend der Terminsbestimmung S zusammen mit dem zuständigen Sachgebietsleiter des Finanzamts (FA) vor dem Hause der Kläger, nachdem er zuvor Ortstermine in A. (9.30 Uhr) und in B. (11.30 Uhr) abgehalten hatte. An der Tür des Hauses erschien nach Klingelzeichen eine Mieterin und erklärte, die Kläger seien nicht zu Hause. Daraufhin hob S den Termin auf.

Mit Schreiben vom 19. Februar 1987, welches beim FG am 20. Februar 1987 einging, legten die Beschwerdeführer gegen die angeordnete Ortsbesichtigung ,,Beschwerde" ein und verboten S unter Androhung eines Strafantrages das Betreten ihres Grundstücks.

Im Hinblick auf diese ,,Beschwerde" hob das FG den Beweisbeschluß vom 12. Februar 1987 auf und beraumte Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 26. März 1987 an.

Mit Schreiben vom 2. März 1987 erstatteten die Beschwerdeführer gegen S bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs und lehnten S mit Schreiben vom 19. März 1987, beim FG eingegangen am 23. März 1987, unter Hinweis auf den gestellten Strafantrag wegen Befangenheit ab. Im Hinblick auf die Richterablehnung wurde der Senatstermin aufgehoben.

Das Ermittlungsverfahren gegen S wurde mit Verfügung vom 28. April 1987 eingestellt. In seiner dienstlichen Äußerung zum Befangenheitsantrag der Beschwerdeführer gab S an, das Schreiben der Beschwerdeführer vom 19. Februar 1987 erst bei seiner Rückkehr an das FG am 23. Februar 1987 (Montag) vorgefunden zu haben. Er habe sich wegen der Ortstermine am 20. Februar 1987 nicht im FG aufgehalten.

Hieraufhin vertraten die Beschwerdeführer die Auffassung, ein Richter solle sich, auch wenn er sich auf einer Dienstreise befinde, von unterwegs über wichtige Post in seinem Amt telefonisch erkundigen. Sie hätten den Eindruck, daß S in ihren privaten Wohnungangelegenheiten herumschnüffeln wolle. Diese gingen ihn aber nichts an.

Das FG hat durch Beschluß vom 3. August 1987 ohne Beteiligung des S den Befangenheitsantrag der Beschwerdeführer als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Beschwerde hiergegen, der das FG durch Beschluß vom 24. August 1987 nicht abgeholfen hat, machen die Beschwerdeführer geltend, zwischen ihnen und S sei ein Spannungsverhältnis entstanden, welches auf das Verhalten des S zurückzuführen sei. Es bestünden Zweifel, ob S tatsächlich ihr Schreiben nicht rechtzeitig zur Kenntnis gelangt sei. Sie rechneten mit einer unsachlichen Einstellung des S. Darüber hinaus habe S einen Ortstermin nur mit der Beschwerdeführerin begehrt, was auf seiten des Beschwerdeführers als eine Zumutung angesehen werde. Ergänzend sei noch hinzuzufügen, daß S bei der von ihnen nicht erlaubten Grundstücksbetretung die Mittagsruhe der Mieterin gestört habe, so daß sich das Vorgehen des S als ,,eine rücksichtslose Unverschämtheit" darstelle.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 51, 128 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; Beschluß des Großen Senats vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, 528, BStBl II 1982, 217); sie ist jedoch unbegründet. Das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch abgewiesen.

Für die Ablehnung von Gerichtspersonen sind gemäß § 51 Abs. 1 FGO die §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß anzuwenden. Das Gesetz will mit diesem sehr weitgehenden Ablehnungsrecht die Unparteilichkeit der Rechtspflege sichern.

Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Diese Besorgnis ist gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der nach objektiven und vernünftigen Erwägungen vom Standpunkt der Partei aus geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es ausschließlich darauf an, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1986 1 BvR 713/83 u. a., BVerfGE 73, 330, 335; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Der Beteiligte muß nach § 44 Abs. 2 ZPO den Ablehnungsgrund glaubhaft machen. Der Vortrag der Beschwerdeführer gibt derartige Gründe nicht her.

Nach der insoweit glaubhaften und überzeugenden Einlassung des S, er habe sich am 20. Februar 1987 nicht im FG aufgehalten und auch keine Kenntnis von dem Schreiben der Beschwerdeführer vom 19. Februar 1987 erhalten, bevor er das Grundstück der Kläger betreten hat, hat sich S einer strafbaren Handlung zu Lasten der Kläger offensichtlich nicht schuldig gemacht, so daß die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat. Das Verhalten des S bei dem anberaumten Orts- und Erörterungstermin vom 20. Februar 1987 gibt objektiv keinen Anlaß zu der Annahme, er sei bei der Entscheidung über den anhängigen Rechtsstreit voreingenommen.

Die etwaige Besorgnis der Beschwerdeführer, die weitere Aufklärung des Sachverhalts durch die vom FG beschlossene Einnahme eines Augenscheins könnte ihre Hoffnung auf einen günstigen Ausgang des Prozesses verringern, rechtfertigte es nicht, den Richter S, dem die Einnahme des Augenscheins übertragen worden war, wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Soweit die Beschwerdeführer meinen, S habe sich im Verlauf seiner Dienstreise noch über eingehende Post beim FG erkundigen müssen, kann dahinstehen, ob eine solche Anforderung nicht als überzogen angesehen werden müßte. Denn selbst wenn eine solche Verpflichtung bestehen würde, könnte aus der Nichtbeachtung dieser Verpflichtung ebenfalls nicht geschlossen werden, S sei befangen. Verfahrensverstöße oder Fehler eines Richters sind grundsätzlich kein Ablehnungsgrund. Sie können eine Besorgnis der Befangenheit ausnahmsweise nur dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber den ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl. Zöller, Zivilprozeßordnung, 14. Aufl., 1984, § 42 Anm. 28). Mit dem Ablehnungsrecht will das Gesetz eine unparteiische Rechtspflege sichern, nicht aber die Möglichkeit einer Überprüfung einzelner Verfahrenshandlungen eröffnen (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638). Das Vorgehen des S läßt jedenfalls - entgegen der Annahme der Beschwerdeführer - keine unsachliche Einstellung ihnen gegenüber erkennen.

Auch die Anfrage des S, ob eine Erörterung des Sach- und Streitstandes sowie eine Hausbesichtigung des streitigen Anwesens der Beschwerdeführer auch in Anwesenheit nur der Beschwerdeführerin durchgeführt werden könne, gibt objektiv keinen Anlaß zu der Annahme, S sei befangen. Diese Anfrage erfolgte erkennbar aus verfahrensökonomischen Gründen, um sicherzustellen, daß nicht wegen Abwesenheit eines der Kläger der anberaumte Termin aufzuheben sei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415390

BFH/NV 1989, 170

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