Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

Für die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ist entscheidend, ob vom Standpunkt der ablehnenden Partei objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen.

 

Normenkette

FGO § 82; ZPO §§ 42, 406

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

In dem Klageverfahren der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), betreffend die Teilwertfeststellung nach § 55 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG), erließ das Finanzgericht (FG) am 24. Juli 1984 einen Beweisbeschluß, durch den der öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige A. beauftragt wurde, ein schriftliches Sachverständigengutachten über die Teilwerte der im Klageschriftsatz vom 31. März 1980 näher bezeichneten Grundstücke der Klägerin zu erstellen.

Das Gutachten des Sachverständigen vom 11. Dezember 1984 wurde den Beteiligten am 18. Dezember 1984 mit dem Zusatz übersandt, innerhalb von sechs Wochen mitzuteilen, ob auf der Grundlage des Gutachtens eine Einigung zustande gekommen ist.

Am 25. Januar 1985 ging die Stellungnahme des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zu dem Gutachten ein. In ihr heißt es u. a., das Gutachten müsse wegen Befangenheit abgelehnt werden. Durch Nichthinzuziehung der Klägerin zur Ortsbesichtigung sei ihr die Möglichkeit versagt worden, gravierende und wertbeeinflussende Tatsachen vorzutragen. Nach dem Merkblatt ,,zur Durchführung einer Ortsbesichtigung" vom Institut für Sachverständigenwesen e. V. sei der Sachverständige nach der Zivilprozeßordnung (ZPO) verpflichtet, beide Parteien zur Ortsbesichtigung zu laden. Der Sachverständige müsse beachten, daß beide Parteien bei seinem Ortstermin ein Anwesenheitsrecht hätten und deshalb von dem Termin zu verständigen seien. Im Streitfall habe der Sachverständige das Gutachten ohne Zuziehung der Klägerin oder deren Vertreter erstellt und mit einer vorgefaßten Meinung abgeschlossen. Er wäre verpflichtet gewesen, der Klägerin rechtliches Gehör durch Anwesenheit beim Ortstermin zu gewähren.

Der Klägerinvertreter beantragte, das Gutachten wegen Befangenheit des Sachverständigen und wegen Verfahrensmängeln abzulehnen.

Das FG hat den Antrag der Klägerin, den Sachverständigen A. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, daß der Sachverständige im Streitfall auf die Teilnahme beider Parteien an der Ortsbesichtigung verzichtet habe. Damit scheide bei objektiver Betrachtung eine einseitige Bevorzugung einer Partei aus, wenn nicht besondere objektive Umstände hinzukämen, die vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus den Anschein der Parteilichkeit des Sachverständigen hervorrufen könnten. Solche besonderen objektiven Anhaltspunkte könne das Gericht nicht erkennen. Auch der Einwand der Klägerin, der Sachverständige habe sich einseitig nur bei Behörden erkundigt und keine eigenen Nachforschungen angestellt, ergebe keinen Befangenheitsgrund. Es sei nicht haltbar, daß durch die Einholung von Informationen bei anderen Behörden - nicht beim Finanzamt - der Eindruck der Parteilichkeit erweckt werden könnte. Ob der Sachverständige durch die Nichthinzuziehung der Beteiligten zur Ortsbesichtigung einen Verfahrensfehler begangen habe, könne dahingestellt bleiben. Denn ein etwaiger Verfahrensfehler begründe jedenfalls für sich allein noch nicht eine Ablehnung (vgl. Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., Bd. I, § 42 Rdnr. 9 i. V. m. § 406 Satz 1).

Gegen den Beschluß des FG erhob die Klägerin Beschwerde. Sie macht geltend, der Sachverständige habe unabdingbare Verfahrensgrundsätze außer acht gelassen. Es sei nicht richtig, wenn das FG meine, dadurch, daß keine der Parteien geladen worden sei, sei die Neutralität gewahrt geblieben. Darauf komme es nicht an. Auch wenn keine Partei geladen werde, könne eine Partei benachteiligt sein, denn sie hätte vielleicht etwas vorzubringen gehabt, während dies bei der anderen Partei nicht der Fall gewesen sei.

Die Befangenheit des Sachverständigen komme gerade in seiner Stellungnahme zu dem Ablehnungsantrag zum Ausdruck, wenn er ausführe, daß es für ihn bei der Ortsbesichtigung darum gegangen sei, sich einen objektiven und von den Beteiligten unbeeinflußten Überblick über die Gesamtsituation zu machen. Da dies ohne die Prozeßbeteiligten wesentlich besser möglich sei, sei ihm eine Beiziehung der Parteien weder zweckdienlich noch sinnvoll erschienen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 82 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§ 406, 42 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden, insbesondere wegen Besorgnis der Befangenheit. Für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt es darauf an, ob der Richter oder Sachverständige bei der ablehnenden Partei den Anschein der Parteilichkeit erweckte und damit in seiner Person oder in seinem Verhalten ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Derartige Gründe sind von der Klägerin nicht dargetan worden.

Für den Fall der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist nach ständiger Rechtsprechung anerkannt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243, mit weiteren Nachweisen), daß es darauf ankommt, ob der Beteiligte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hatte, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung zu zweifeln, d. h. der Beteiligte muß einen vernünftigen Grund für die Annahme haben, daß sich der Abgelehnte aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Tätigkeit von falschen Rücksichten leiten lasse. Nach dem Beschluß des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15. April 1975 X ZR 52/75 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 1363) ist bei einem Sachverständigen für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit entscheidend, ob vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorlägen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet seien, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen. In der neueren Praxis werde es regelmäßig als Grund für eine Befangenheit des Sachverständigen angesehen, wenn er eine Sachbesichtigung in Anwesenheit nur einer der Parteien durchführe, ohne die andere Partei zu benachrichtigen und ihr Gelegenheit zur Teilnahme zu geben. Insbesondere dann, wenn sich der Sachverständige zuvor und bei der Sachbesichtigung bei einer Partei technische Information verschafft habe, ohne der anderen Partei Gelegenheit zu geben, seine Fragen kennenzulernen und ihrerseits zur Information des Sachverständigen beizutragen.

Als Anlaß für eine Befangenheitsablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kann hingegen in der Regel nicht eine einem Beteiligten ungünstige unrichtige Rechtsauffassung gelten, ebenso nicht die unrichtige Auffassung von den nach dem Prozeßrecht im Verfahren zu beachtenden Pflichten oder die Unkenntnis der prozessualen Rechte der Beteiligten. Das Ablehnungsverfahren schützt nicht gegen unrichtige Rechtsauffassungen, sei es hinsichtlich des Prozeßrechts oder des materiellen Rechts. Hiergegen können sich die Beteiligten mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen zur Wehr setzen. Das Ablehnungsverfahren dient allein dazu, die Beteiligten vor einer in der Person des Richters oder Sachverständigen liegenden Unsachlichkeit zu bewahren.

Nach diesen Grundsätzen schlagen die von der Klägerin geltend gemachten Ablehnungsgründe gegen den Sachverständigen nicht durch. Das von der Klägerin gerügte Verhalten des Sachverständigen rechtfertigt nicht ein Mißtrauen der Klägerin dahingehend, daß der Sachverständige die erforderliche Unparteilichkeit nicht aufgebracht habe. Die Nichthinzuziehung der beiden Beteiligten zu der Ortsbesichtigung durch den Sachverständigen läßt sich, auch wenn hierin ein verfahrensrechtliches Fehlverhalten zu erblicken sein sollte, nicht als hinreichender Grund für die Klägerin ansehen, an der Sachlichkeit des Sachverständigen zu zweifeln. Nach der Lebenserfahrung ist vielmehr das - hier unterstellte - prozessuale Felverhalten auf eine nicht durch Parteilichkeit beeinflußte unzureichende Berücksichtigung des Verfahrensrechts zurückzuführen. Zweifel an der Unparteilichkeit könnten nur dann bestehen, wenn der Sachverständige die Ortsbesichtigung in Anwesenheit nur einer Partei, z. B. des FA, durchgeführt hätte, ohne der anderen Partei,d. h. also der Klägerin, Gelegenheit gegeben zu haben, hieran teilzunehmen. Dieser Fall ist jedoch hier nicht gegeben. Auch was die Klägerin sonst noch gegen das Verhalten des Sachverständigen einwendet, ist nicht geeignet, den Anschein der Parteilichkeit des Sachverständigen zu begründen. Was die Klägerin im Kleide eines Befangenheitsantrages letztlich vorträgt, ist ihre Befürchtung, mit ihren Sachvorträgen, die sie im Rahmen einer Ortsbesichtigung einbringen wollte, nunmehr abgeschnitten zu sein. Hier verkennt die Klägerin jedoch die prozessualen Wirkungen der Sachverständigentätigkeit (vgl. BFH-Urteil vom 26. März 1980 II R 67/79, BFHE 130, 366, BStBl II 1980, 515).

Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414057

BFH/NV 1987, 513

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