Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Besorgnisses der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

Grundsätzlich keine Ablehnung eines Vorsitzenden Richters am FG wegen Besorgnisses der Befangenheit, weil

a) er am Beweisbeschluß eines Kollegialgerichts mitgewirkt hat,

b) er durch Befragen eines Zeugen den Sachverhalt aufzuklären versucht, auch wenn er zusätzliche Fragen an Zeugen stellt, die im Beweisbeschluß nicht genannt waren, und

c) er den Senat zur Ergänzung des Senatsbeschlusses zur Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung veranlaßt hat.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1, § 76 Abs. 1 S. 1, § 81 Abs. 1 S. 1, §§ 82, 92 Abs. 1; ZPO §§ 41-49, 36

 

Tatbestand

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hat für den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1981 durchgeführt. Der gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Einspruchsentscheidung des FA vom 2. Januar 1984 ging dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers, dem Steuerberater X, lt. Empfangsbekenntnis am 12. Januar 1984 zu.

Der Kläger erhob daraufhin mit Schriftsatz vom 10. Februar 1984, beim FA eingegangen am 15. Februar 1984, Klage. Wegen des verspäteten Eingangs der Klageschrift beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er bringt vor, das Klageschreiben sei am 10. Februar 1984 geschrieben und von der Büroangestellten AX, der Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten X, unterschrieben, kuvertiert und am 12. Februar 1984 gegen 11.00 Uhr persönlich beim Postamt Y zur Beförderung an das FA aufgegeben worden.

Das Finanzgericht (FG) erließ am 25. September 1984 einen Beweisbeschluß, nach dem u.a. Beweis erhoben werden sollte über die Organisation der Fristenkontrolle und des Postausgangs im Büro des Prozeßbevollmächtigten seit Anfang 1984 durch Vernehmung des Steuerberaters X als Zeugen und über die näheren Umstände der Fertigung und Absendung der Klageschrift vom 10. Februar 1984 betr. Lohnsteuer-Jahresausgleich 1981 des Klägers durch Vernehmung der Büroangestellten AX als Zeugin.

In dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 23. Oktober 1984 wurden zunächst der Steuerberater X und sodann seine Ehefrau, die Steuerfachgehilfin AX, als Zeugen vernommen. Gegen die an die Zeugin AX sodann gerichteten Fragen bezüglich Fristenkontrolle im Büro des Ehemannes erhob letzterer Einspruch mit dem Hinweis, daß diese Fragen im Beweisbeschluß nicht erfaßt seien. Auf Aufforderung des Vorsitzenden des . . . Senats des FG, des Vorsitzenden Richters C, zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Danach verkündete der Vorsitzende den Beschluß, der Beweisbeschluß vom 25. September 1984 werde hinsichtlich der Zeugin AX erweitert auf Organisation der Fristenkontrolle, des Postausgangs im Büro sowie zusätzlich auf die Frage der Eingangsmitteilung.

Nachdem mit der Vernehmung der Zeugin zu diesen Fragen begonnen worden war, bat der Prozeßbevollmächtigte X, in das Protokoll folgendes aufzunehmen:

,,Ich sehe eine Befangenheit des Vorsitzenden des Senats, daß er den Beweisbeschluß gegenüber der Zeugin AX ohne aktuellen Anlaß innerhalb von Sekunden mit Zustimmung des Senats insoweit abändert, als all die Dinge, die der Prozeßbevollmächtigte gefragt worden ist, nunmehr noch einmal ohne jede Vorankündigung durch die Zeugin AX abgefragt werden können."

Der Vorsitzende erklärte sodann zu Protokoll, daß er sich nicht befangen fühle und daß der verkündete Beschluß auf Übereinstimmung des Senats zurückgehe. Nach dem Sitzungsprotokoll verließ der Vorsitzende sodann den Sitzungssaal um 13.05 Uhr. Nachdem die Verhandlung unter Ausschluß des Vorsitzenden Richters C und unter Mitwirkung des hinzugezogenen Richters B fortgesetzt worden war, verkündete der Senat in dieser Besetzung den Beschluß, daß der Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters C abgelehnt werde.

Die mündliche Verhandlung wurde sodann wieder unter dem Vorsitz von C fortgeführt.

Das FG wies anschließend die Klage als unzulässig ab. Es führte aus, der Kläger habe die Klagefrist versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Senat es auch nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht für glaubhaft ansehe, daß die Klageschrift noch am Sonntag, dem 12. Februar 1984, gegen 11.00 Uhr der Post übergeben worden und deshalb die Verspätung entweder auf den Postlauf oder auf die Behandlung der Klageschrift beim FA zurückzuführen, jedenfalls aber nicht dem Kläger und seinem Bevollmächtigten anzulasten sei. Das FG stützte sich dabei wesentlich auch auf die Aussagen der Zeugin AX über die Führung des Fristenkontrollbuchs und der Postausgangsaufzeichnungen.

Der Kläger legte gegen den Beschluß, durch den sein Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters C wegen Befangenheit abgelehnt wurde, Beschwerde ein. Über sie ist im vorliegenden Verfahren zu befinden. Der Kläger bringt u.a. vor:

Der Vorsitzende Richter habe schon zu Beginn der Vernehmung der Büroangestellten AX versucht, sie über die Organisation der Fristenkontrolle und des Postausgangs zu befragen. Er habe dies zunächst unterlassen, weil der Prozeßbevollmächtigte X sich hiergegen mit dem Hinweis gewehrt habe, daß diese Frage durch den Beweisbeschluß nicht gedeckt sei. Nachdem die Befragung der Zeugin über die näheren Umstände der Fertigung und Absendung der Klageschrift des Klägers vom 10. Februar 1984 beendet gewesen sei, habe der Vorsitzende die Zeugin erneut aufgefordert, nunmehr die Organisation der Fristenkontrolle und des Postausgangs in der Praxis des Bevollmächtigten zu schildern. Hiergegen habe der Prozeßbevollmächtigte erneut Einspruch erhoben. Daraufhin habe der Vorsitzende demonstrativ erwidert, daß dann eben der Beweisbeschluß gegenüber der Zeugin erweitert werden müsse. Gleichzeitig habe er die Mitglieder des Senats zu einer entsprechenden Beschlußfassung aufgefordert. Innerhalb von Sekunden habe der Senat im Stehen in der noch geöffneten Tür zum Beratungsraum den Beschluß gefaßt, nunmehr die Zeugin auch über die Organisation der Fristenkontrolle und des Postausgangs im Büro des Prozeßbevollmächtigten zu vernehmen.

Aus diesem Verhalten des Vorsitzenden müsse auf dessen Befangenheit geschlossen werden. Die behauptete Voreingenommenheit des Vorsitzenden Richters ergebe sich auch daraus, daß seine Verfahrensweise offensichtlich rechtsstaatlichen Prinzipien nicht standhalte. Das Gericht könne seinen Beweisbeschluß zwar als prozeßleitende Verfügung jederzeit von Amts wegen aufheben. Von Amts wegen dürfe das Gericht den Beschluß nach neuer mündlicher Verhandlung unbeschränkt ändern; in der mündlichen Verhandlung jedoch nur dann, wenn der Gegner des Beweisführers dem zustimme. Der Prozeßbevollmächtigte habe jedoch der abrupten Änderung des Beweisabschlusses seine Zustimmung versagt.

Zweifel an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters ergäben sich auch aus der Art und Weise seines Vorgehens. Es hätte ihm, der zugleich Berichterstatter gewesen sei, freigestanden, gleich entsprechende Beweisbeschlüsse durch den Senat fassen zu lassen. Da er dies nicht getan habe, müsse sich aus seiner, des Klägers, Sicht der Eindruck aufzwingen, daß der Vorsitzende Richter bewußt diese Art der ,,überfallartigen" Beweisänderung von Anfang an im Auge gehabt habe, um ihm, dem Kläger, Schaden zuzufügen. Denn daß die Zeugin aufgrund ihrer Mitarbeit in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten sich genau auskennen würde, hätte sich dem Vorsitzenden Richter nicht erst in der mündlichen Verhandlung aufdrängen müssen.

Der Kläger beantragt sinngemäß die Vorentscheidung aufzuheben und seinem Antrag, den Vorsitzenden Richter C wegen Befangenheit abzulehnen, stattzugeben.

Das FA beantragt sinngemäß, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Denn es liegen keine Gründe vor, die eine Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG C wegen Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt hätten.

Für die Ablehnung und Ausschließung von Gerichtspersonen gelten nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß. Hiernach findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. z. B. Beschluß des Senats vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527) liegt ein solcher Fall nur vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter nach den äußeren Umständen einen vernünftigen Grund für die Annahme haben muß, der Richter werde sich aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Entscheidung nicht von sachgerechten Rücksichten leiten lassen. Solche Gründe sind im Streitfall nicht ersichtlich.

Eine Besorgnis der Befangenheit ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil der Vorsitzende Richter am FG C an der Entscheidung des Senats vom 23. Oktober 1984 mitgewirkt hat, durch die der Beweisbeschluß über die Vernehmung der Zeugin nachträglich erweitert wurde. Denn nach der Rechtsprechung des BFH ist die Tatsache, daß der abgelehnte Richter an einer Entscheidung des Kollegialgerichts mitgewirkt hat, für sich allein in der Regel kein Grund, an der Objektivität des Richters zu zweifeln, da wegen des Beratungsgeheimnisses nicht feststellbar ist, welche Auffassung der Richter bei dieser Entscheidung vertreten hat (vgl. Entscheidungen vom 20. September 1966 VI B 8/66, BFHE 86, 789, BStBl III 1966, 652; vom 23. April 1965 VI 304/64 U, BFHE 82, 666, BStBl III 1965, 487, und vom 2. März 1978 IV R 120/76, BFHE 125, 12, BStBl II 1978, 404).

Ein Grund, den Vorsitzenden Richter am FG C wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, kann auch nicht darin gesehen werden, daß dieser ohne Vorliegen eines hierauf gerichteten Beweisbeschlusses die Zeugin über generelle Fragen der Fristenkontrolle im Büro ihres Ehemannes zu befragen versucht hatte, dies auf Einspruch des Ehemannes, des Prozeßbevollmächtigten X, dann aber unterließ und den Senat anschließend zu einer Beschlußfassung über die Erweiterung des Beweisbeschlusses vom 25. September 1984 veranlaßt hatte. Da der Vorsitzende Richter nach § 92 Abs. 1 FGO die mündliche Verhandlung zu eröffnen und zu leiten hat, hat er auch die Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu leiten. Es obliegt ihm mithin insbesondere, durch Befragen von Zeugen den Sachverhalt erschöpfend aufzuklären (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Stellt sich bei einer Beweisaufnahme heraus, daß es zweckdienlich ist, dem anwesenden Zeugen auch Fragen zu stellen, die im Beweisbeschluß nicht angegeben sind, so gehört es zu den Aufgaben eines Vorsitzenden Richters, den Senat ggf. aufzufordern, über eine Ergänzung des Beweisbeschlusses auch dann zu befinden, wenn ein Beteiligter eine Ergänzung des Beweisbeschlusses nicht für erforderlich halten sollte. Das Gesetz verlangt nicht für eine Ergänzung des Beweisbeschlusses in der mündlichen Verhandlung bezüglich der im Beweisbeschluß angegebenen Beweistatsachen die Zustimmung des Gegners des Beweisführers. Nach § 82 FGO i.V.m. § 360 ZPO sind in einem solchen Fall die Beteiligten lediglich tunlichst vorher zu hören und von der Ergänzung unverzüglich zu benachrichtigen. Beides ist hier geschehen.

Eine Besorgnis der Befangenheit könnte allenfalls dann bestehen, wenn die Fragen, um die der Beweisbeschluß ergänzt werden soll, so neben der Sache liegen, oder die Kompetenz des Zeugen, solche Fragen zweckdienlich zu beantworten, so offensichtlich zu verneinen ist, daß hieraus der Schluß auf eine mangelnde Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters gezogen werden könnte. Hiervon kann jedoch im Streitfall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil das FG seine Entscheidung zur Hauptsache wesentlich mit auf die Aussage der Zeugin gestützt hat, die sie zur Ergänzung des Beweisbeschlusses gemacht hatte. Im übrigen hebt der Kläger selbst in seiner Beschwerdeschrift hervor, daß die Zeugin sich zu den ihr nachträglich gestellten Fragen bezüglich der Fristenkontrolle und des Postausgangs im Büro ihres Ehemannes genau auskennt.

Eine Besorgnis der Befangenheit ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Vorsitzende Richter C den Senat zu einer Entscheidung über die Ergänzung des Beweisbeschlusses sofort veranlaßt hatte, nachdem ihm die Notwendigkeit hierzu in der mündlichen Verhandlung bewußt wurde. Eine solche zügige Verhandlungsführung entspricht dem Grundsatz der Prozeßökonomie und der Vermeidung eines unnötigen Zeitaufwandes für die Beteiligten und Zeugen. Ein solches Verhalten kann daher ebensowenig als ,,überfallartig" gewertet werden, wie der Umstand, daß der Senat sich schnell zu einer entsprechenden Änderung des Beweisbeschlusses in geheimer Beratung entschlossen hat.

Ein Befangenheitsgrund liegt letztlich auch nicht darin begründet, daß der Senat den Beweisbeschluß nicht von Anfang an auf die später noch aufgenommenen Fragen erstreckt hatte. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zum Verhältnis von Kollegialentscheidungen des FG zur Ablehnung eines einzelnen dabei mitwirkenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit Bezug genommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414135

BFH/NV 1987, 248

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