Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Revision bei unterlassener Beifügung in Bezug genommener Protokolle?

 

Leitsatz (NV)

Nimmt das FG im Urteil zur Darstellung des Sachverhalts auf Sitzungsprotokolle Bezug, die den Beteiligten nicht übersandt wurden, so fehlt es der Entscheidung nicht an Gründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) nach Einvernahme zweier Zeugen abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. In den Gründen seines Urteils hat das FG insbesondere wegen des Inhalts der Zeugenaussagen u. a. auf die in den FG-Akten befindliche Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Das Urteil vom 23. November 1993 wurde der Klägerin ohne Beifügung dieser Niederschrift am 3. Januar 1994 zugestellt. Die nach Zustellung des Urteils erbetene Abschrift des Protokolls ging der Klägerin am 11. Februar 1994 zu.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie begründet diese im wesentlichen mit einer Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe in den Urteilsgründen auf Sitzungsprotokolle Bezug genommen. Diese seien aber der Klägerin weder vor noch mit dem Urteil zugestellt worden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Feststellungsbescheide für 1977 und 1978 dahingehend zu ändern, daß für sie für das Jahr 1977 ein Verlustanteil von ... DM und für 1978 ein Verlustanteil von ... DM festgestellt wird.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 1 FGO als unzulässig zu verwerfen.

1. Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Beides liegt nicht vor.

2. Es fehlen auch die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Danach bedarf es einer Revisionszulassung u. a. nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei. An Gründen fehlt es, wenn die getroffene Entscheidung den Beteiligten nicht die Möglichkeit gibt, ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1993 X R 5/92, BFH/NV 1993, 610; vom 15. April 1992 III R 31/91, BFH/NV 1993, 367; BFH-Urteil vom 3. Februar 1988 I R 134/84, BFHE 153, 14, BStBl II 1988, 588). Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen dem Tatbestand (§ 105 Abs. 1 Nr. 4 FGO) und den Entscheidungsgründen (§ 105 Abs. 1 Nr. 5 FGO), die beide zusammen die "Gründe" einer Entscheidung darstellen. Der Senat kann offenlassen, ob er der Auffassung des X. Senats folgen könnte, daß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nur das Fehlen der rechtlichen Begründung, d. h. der Entscheidungsgründe betrifft (so in BFH/NV 1993, 610; anders Senatsurteil vom 23. Januar 1985 I R 292/91, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Keinesfalls fehlt es jedenfalls am Tatbestand, wenn das FG -- wie im Streitfall -- in den Gründen seiner Entscheidung den Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach dargestellt und wegen der Einzelheiten auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen hat. Eine solche Darstellung des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts ist geradezu durch § 105 Abs. 3 FGO geboten. Eine Beifügung der in Bezug genommenen Unterlagen bei Zustellung der Entscheidung sieht das Gesetz nicht vor. Im übrigen begründen ggf. unzureichende und lückenhafte Darstellungen im Tatbestand keinen absoluten Revisionsgrund (z. B. BFH in BFH/NV 1993, 610).

Die Rechtsprechung, wonach ein absoluter Revisionsgrund i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vorliegt, wenn das FG die Gründe seines Urteils hinsichtlich wesentlicher Streitpunkte durch Bezugnahme auf eine andere von ihm erlassene Entscheidung ersetzt, die dem Beteiligten bei Beginn der Revisionsfrist weder bekannt noch zugänglich war (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 31. Juli 1990 VII R 60/89, BFHE 162, 1, BStBl II 1990, 1071), ist auf Bezugnahmen in der Sachverhaltsdarstellung nicht übertragbar. Zum einen ist im Tatbestand die Bezugnahme vom Gesetz vorgeschrieben (§ 105 Abs. 3 FGO). Zum anderen sind dem Beteiligten die in Bezug genommenen Schriftsätze, Unterlagen sowie der Inhalt der Protokolle grundsätzlich bekannt. Soweit dies nicht der Fall sein sollte, sind ihnen die Unterlagen nach § 78 FGO jederzeit zugänglich. Diese Auffassung liegt -- entgegen der Annahme der Klägerin -- auch der BFH- Entscheidung vom 18. Januar 1993 X B 14/92 (BFH/NV 1993, 667, s. unter Nr. 3 b) zugrunde.

3. Die Revision ist auch nicht gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO zulässig. Zwar könnte der Vortrag der Klägerin, daß der nach ihren Angaben ihr wohlgesonnene Vorsitzende des erkennenden Senats am FG bei der Ausfertigung des Urteils nicht mitgewirkt habe, als Besetzungsrüge verstanden werden. Da diese aber erst in einem Schriftsatz erhoben worden ist, der nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist beim BFH eingegangen ist, wäre sie in jedem Fall verspätet. Im übrigen wird ein Urteil, auch wenn es beschlußgemäß den Beteiligten zugestellt wird, nicht am Tag der Unterzeichnung, sondern im Anschluß an die mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter gefällt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420583

BFH/NV 1995, 904

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