Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des § 9 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Zulässigkeit einer persönlich eingelegten Beschwerde gegen die Versagung von Prozeßkostenhilfe.

2. Zur Erfolgsaussicht einer Klage, mit der ein in einer Justizvollzugsanstalt einsitzender Arbeitnehmer die Erteilung einer Lohnsteuerkarte von seiner früheren Wohnsitzgemeinde begehrt.

 

Normenkette

AO 1977 § 9; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO § 142; ZPO § 114

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) ist nach seinen Angaben am 1. Juli 1983 aus seiner Wohnung in A, X-Straße, ohne Angabe einer neuen Adresse ausgezogen. Als künftige Hauptwohnung gab er an ,,ab Mitte 1987 in" . . . Die Abmeldung datiert vom 1. August 1984. Bereits am 1. September 1983 war der Kläger von Amts wegen aus A, X-Straße abgemeldet worden. Er sitzt zur Zeit in einer Justizvollzugsanstalt ein.

Gegenüber dem Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Stadt A) erklärte er, sich nur von seiner Wohnung, nicht dagegen aus A abgemeldet zu haben, und verlangte die Ausstellung einer Lohnsteuerkarte für das Jahr 1986 mit der Begründung, diese für eine Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahme zu benötigen. Die Stadt A lehnte die Ausstellung mit der Begründung ab, der Kläger sei am 20. September 1985 nicht in A gemeldet gewesen.

Im Klageverfahren verfolgt der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren sein Begehren weiter. Das Finanzgericht (FG) hat einen die Klage abweisenden Vorbescheid erlassen. Hiergegen hat der Kläger Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt und die Gewährung von Prozeßkostenhilfe beantragt. Diesem Antrag lag eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bei, auf den verwiesen wird. Gleichzeitig beantragte der Kläger die Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten, weil die Gefahr bestehe, daß die Anstaltsleitung ihm, dem Kläger, zur Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung keinen Urlaub gewähre.

Das FG lehnte den Antrag ab. Es ging davon aus, daß die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, weil die Stadt A nicht verpflichtet sei, dem Kläger für 1986 eine Lohnsteuerkarte auszustellen. Das wäre nach § 39 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes nur der Fall, wenn der Kläger am 20. September 1985 oder danach im Bezirk der Gemeinde A seine Hauptwohnung oder sonst eine Wohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe; daran fehle es hier. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe der Kläger vielmehr in der Gemeinde gehabt, in der die Justizvollzugsanstalt liege.

Hiergegen richtet sich die vom Kläger persönlich erhobene Beschwerde, zu deren Begründung er im wesentlichen vorträgt, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß er seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in A habe. Eine Justizvollzugsanstalt könne und werde nie ein gewöhnlicher Aufenthalt sein; selbst bei einem lebenslänglich Inhaftierten könne man davon nicht ausgehen. Als gewöhnlicher Aufenthalt müsse vielmehr der Ort angesehen werden, an dem sich der Betroffene zuletzt oder die meiste Zeit aufgehalten habe. Gerade die Stadt A habe in anderen Fällen die Zuständigkeit von der Länge der Aufenthaltsdauer der Person abhängig gemacht. Dies müsse auch in seinem Fall gelten, da er über 30 Jahre in A gelebt und sich dort aufgehalten habe.

Die Stadt A hat sich zur Sache nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs muß sich vor dem Bundesfinanzhof (BFH) jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Darauf ist der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich hingewiesen worden. Da der Kläger die Beschwerde persönlich eingelegt hat, ist sie als unzulässig zu verwerfen.

Der Senat weist darauf hin, daß die Beschwerde auch sachlich unbegründet wäre. Denn wie das FG zutreffend angenommen hat, hat die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung). Die Stadt A ist nicht verpflichtet, dem Kläger eine Lohnsteuerkarte auszustellen. Dies wäre nur der Fall, wenn der Kläger am 20. September 1985 oder erstmals nach diesem Stichtag seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Gemeinde A gehabt hätte. Dies trifft hier nicht zu. Eine Wohnung hatte er dort nach seinem eigenen Vortrag unzweifelhaft nicht mehr. Aber auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte er dort nicht.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt; insbesondere ist ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen (§ 9 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Danach hatte der Kläger und hat jetzt noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt. Seiner Auffassung, seinen gewöhnlichen Aufenthalt könne ein Strafgefangener nicht in der Justizvollzugsanstalt haben, vermag der Senat nicht beizutreten. Das FG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß auch ein Zwangsaufenthalt einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet (Gutachten des Reichsfinanzhofs vom 19. Oktober 1940 Gr. SD 3/40, RFHE 49, 186 für Gefängnisaufenthalt; Urteil des BFH vom 23. Juli 1971 III R 60/70, BFHE 103, 82, BStBl II 1971, 758 für Krankenhausaufenthalt).

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 262

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