Entscheidungsstichwort (Thema)

Sind Vitamintabletten als Arzneiwaren zu tarifieren?

 

Leitsatz (NV)

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschft wird um eine Vorabentscheidung zu folgenden Auslegungsfragen ersucht:

1. "Sind die Ausführungen des Gerichtshofs in Rz. 15 seines Urteils vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-405/95 -- Bioforce II: Echinacea -- dahingehend zu verstehen, daß ein Präparat, um es als Erzeugnis mit den typischen Eigenschaften einer Arzneiware im Sinne der Position 3004 KN zu betrachten, keine objektive Beschaffenheitseignung zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken aufweisen muß, sondern daß allein die Gesamtaufmachung des Präparats (Gebrauchsinformationen, Verpackung, Darreichung und Vermarktung), also seine subjektive Zweckbestimmung, für eine solche Einstufung reicht?"

2. Für den Fall, daß die Frage 1 zu verneinen sein sollte:

"Ist die Kombinierte Nomenklatur 1993 dahin auszulegen, daß Vitamintabletten wie ,Taxofit Vitamin C + CA Brausetabletten` und ,Taxofit Vitamin C Kautabletten`, die je Tablette 1000 mg bzw. 500 mg Vitamin C (Ascorbinsäure) enthalten, in Aufmachungen für den Einzelverkauf eingeführt werden, entsprechend der auf dem jeweiligen Beipackzettel enthaltenen Gebrauchsinformation unter Angabe einer bestimmten Dosierung u. a. ,zur Stärkung der Abwehrkräfte: bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten, ... bei allergischen Prozessen` bzw. ,zur vorbeugenden Einnahme in Zeiten erhöhter Infektionsgefahr` verwendet werden sollen und in der Bundesrepublik Deutschland als Arzneimittel zugelassen sind, der Position 3004 -- Arzneiwaren, die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, ... in Aufmachung für den Einzelverkauf -- zuzuweisen sind?"

 

Normenkette

KN 1993 Pos. 2106; KN 1993 Pos. 3004

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die zolltarifliche Einreihung zweier Vitaminpräparate, die die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Schweizer Spedition, am 26. Januar 1993 als vollmachtlose Vertreterin einer deutschen Firma bei einer Zollstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt -- HZA --) zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet hatte.

Die Klägerin meldete bei der damaligen Einfuhr aus der Schweiz beide Erzeugnisse (Taxofit Vitamin C + Ca Brausetabletten = Ware 1; Taxofit Vitamin C Kautabletten = Ware 2) zur Pos. 3004 50 10 der Kombinierten Nomenklatur (KN) als "Arzneiwaren, ohne Antibiotika, kein Betäubungsmittel, ohne Alkohol, keine Pflanzenbestandteile oder Auszüge enthaltend" an (Zollsatz für Waren schweizerischen Ursprungs: frei). Das HZA hatte Zweifel an der zolltariflichen Einreihung, entnahm Proben zur Begutachtung und stellte die Waren vorläufig vom Zoll frei.

Die zur Begutachtung der Proben eingeschaltete Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt der Oberfinanzdirektion beurteilte in ihren Gutachten die Waren zolltariflich als anderweit weder genannt noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen der Pos. 2106 90 99 KN.

Das HZA machte sich die Tarifauffassung der Gutachten zu eigen und setzte mit Steuerbescheid vom 4. Juni 1993 insgesamt ... DM Zoll gegen die Klägerin fest. Nach erfolg losem Einspruch erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht (FG).

Das FG wies die Klage im wesentlichen mit folgender Begründung ab: Wesentliches Merkmal einer Arzneiware der KN-Pos. 3004 sei die therapeutische oder prophylaktische Zweckbestimmung. Diese stehe allein aufgrund der Beschaffenheit bzw. Zusammensetzung der eingeführten Waren nicht fest. Zwar reichten nach der wissenschaftlichen Literatur Dosen von 500 mg Ascorbinsäure (Vita min C) bei Ware 2 und 1,0 g Ascorbinsäure bei Ware 1 für eine prophylaktische oder therapeutische Anwendung aus; allein das Vorhandensein von Vitamin C in hoher Dosis qualifiziere ein Erzeugnis aber nicht als Arzneiware. Denn Vitamin C sei, wie andere Vita mine auch, der Pos. 2936 KN zuzuordnen und stelle daher in reiner Form tariflich keine Arzneiware dar.

Die Aufmachung der für den Einzelverkauf eingeführten Waren und andere Umstände ließen ebenfalls nicht den Schluß auf Arzneiwaren zu. Weder auf der Verpackung noch auf dem Beipackzettel fänden sich Hinweise auf die spezifische Wirksamkeit der Erzeugnisse gegen bestimmte Krankheiten. Die allgemeinen Angaben auf den Gebrauchsinformationen zu den Anwendungsgebieten (Ware 1: "Zur Stärkung der Abwehrkräfte: bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten, bei körperlichen und geistigen Anstrengungen, bei körperlicher Ermüdung, bei allergischen Prozessen. Traditionell angewendet zur Stärkung und Kräftigung." -- Ware 2: "Vor beugende Einnahme in Zeiten erhöhter Infektionsgefahr, bei starker körperlicher und geistiger Belastung, bei Ermüdungserscheinungen, bei Erkrankungen hervorgerufen durch Vitamin-C-Mangel. Traditionell angewendet zur Stärkung und Kräftigung, zur Vorbeugung") reichten hierzu nicht aus. Eine derart weite Beschreibung des Wirkungsfeldes rechtfertige auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) eine Einreihung in die Pos. 3004 KN nicht (vgl. die Urteile vom 14. Januar 1993 Rs. C-177/91 -- Bioforce I: Weißdorn- Tropfen --, EuGHE 1993, I-45, Rz. 10 und 12, und vom 14. Dezember 1995 Rs. C-106 und 139/94 -- Colin bzw. Dupré: Halspastillen --, EuGHE 1995, I-4759, Rz. 28 und 40).

Mit ihrer Revision gegen das vorinstanzliche Urteil verfolgt die Klägerin ihr Tarifbegehren weiter. Sie trägt im wesentlichen vor: Das FG habe den Begriff der Arzneiware i. S. der Pos. 3004 KN verkannt, indem es bei der Beurteilung der Frage, ob eine solche Arzneiware vorliege, allein die subjektive Zweckbestimmung, wie sie in den Gebrauchsinformationen zum Ausdruck komme, herangezogen habe. Entscheidend sei aber, daß ein Erzeugnis objektiv zur Therapie oder Prophylaxe bestimmter Krankheiten geeignet und indiziert sei. Bei beiden eingeführten Erzeugnissen sei dies der Fall, da sie nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen in ihrer Dosierung und Zusammensetzung zur Bekämpfung bzw. Vorbeugung bestimmter Krankheiten indiziert seien. Mit einer Dosis von 1000 bzw. 500 mg Vitamin C pro Tablette überstiegen die Vitamin-Gehalte der Präparate bei weitem die Werte, die nach den wissenschaftlichen Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr bei den sog. Ergänzungslebensmitteln typisch anzutreffen seien. Die Klägerin verweist insoweit einerseits auf die dem FG als Anlage 4 zur Klageschrift vorgelegten "Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr" der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Nachdruck 1992, wonach selbst bei Personen mit dem höchsten Vitamin-C-Bedarf, bei Schwangeren und Stillenden, eine Zufuhr von lediglich 100 bis 125 mg/Tag empfohlen werde, und andererseits auf eine gleichfalls dem FG als Anlage 3 zur Klageschrift unterbreitete Veröffentlichung des Bundesgesundheitsamts im Bundesanzeiger Nr. 97 vom 29. Mai 1991, wonach eine Zufuhr von 50--225 mg Vitamin C/Tag zur Prophylaxe und 225--1000 mg/Tag zur Therapie bestimmter Krankheiten wie Skorbut, Fehl- und Mangelernährung, schweren Traumata, Infektionskrankheiten u. a. erforderlich sei.

Darüber hinaus führe auch die subjektive Zweckbestimmung der Präparate entgegen der Auffassung des FG zu keinem anderen Ergebnis. Die Beurteilung der beabsichtigten Verwendung gegen bestimmte Krankheiten dürfe nicht nur auf die Rubrik "Anwendungsgebiete"auf dem Beipackzettel beschränkt werden, sondern müsse auch die übrige Beschreibung auf der Verpackung und die anderen Gebrauchsinformationen berücksichtigen. Der sowohl auf der Verpackung als auch in der Gebrauchsinformation befindliche Hinweis "Arzneimittel, sorgfältig aufbewahren" deute, wie auch die gesamte äußere Aufmachung der Einzelverkaufsverpackungen, zweifelsfrei auf eine Arzneiware hin. Zudem sprächen die unter der Rubrik "Anwendungsgebiete" enthaltenen Hinweise betreffend die Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten und die prophylaktische und therapeutische Behandlung von Vitaminmangel für die Einreihung als Arzneiware. Schließlich werde in dem Abschnitt "Eigenschaften" auch auf die Gefahren von Vitaminmangel hingewiesen. Aus dem Gesamtzusammenhang dieser Gebrauchsinformationen ergebe sich unzweifelhaft, daß die Präparate im Einklang mit der wissenschaftlich begründeten objektiven Indikation zur Prophylaxe und Therapie der genannten Krankheiten zu verwenden seien. Demgegenüber gehe es nicht an, daß das FG lediglich den beiläufigen Hinweis "zur Erhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit" herausgreife und diesen für allein maßgeblich erachte, um die Präparate als Ergänzungslebensmittel zur "Stärkung und Kräftigung" gemäß Pos. 2106 KN einzuordnen.

Schließlich könne auch der arzneimittelrechtliche Begriff der Arzneiware für die zolltarifliche Beurteilung unterstützend herangezogen werden. Die unstreitig in der Bundesrepublik Deutschland als Arzneimittel zugelassenen Vitaminpräparate erfüllten mit ihren objektiven pharmakologischen Eigenschaften die Anforderungen, die der EuGH in seiner Entscheidung vom 30. November 1983 Rs. 227/82 -- van Bennekom -- (EuGHE 1983, 3883 Rz. 27) für das Arzneimittelrecht festgelegt habe.

Die Klägerin regt an, die im Streitfall maßgeblichen Tarifierungsfragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Mit nachgereichtem Schriftsatz vom 4. August 1997 hat die Klägerin unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des EuGH vom 15. Mai 1997 Rs. C-405/95 -- Bioforce II: Echinacea -- ihr Revisionsvorbringen modifiziert. Sie ist unter Berufung auf Rz. 15 dieses Urteils der Auffassung, der Gerichtshof habe dort klargestellt, daß das Zolltarifrecht sich einer Bewertung der quantitativen und qualitativen Wirksamkeit von Produkten zur Bestimmung der Arzneimitteleigenschaften im Sinne der KN enthalte ("Ungeachtet des tatsächlichen therapeutischen oder prophylaktischen Werts der streitigen Erzeugnisse ist festzustellen, daß die Beschreibung der heilenden oder vorbeugenden Eigenschaften dieser Erzeugnisse ... als solche dazu führen, sie als Erzeugnisse mit den typischen Eigenschaften einer Arzneiware zu betrachten ... "). Ohne Rücksicht auf die objektive Wirksamkeit eines Präparates könne dessen äußere Aufmachung als solche bereits dazu führen, dem Präparat die typischen Eigenschaften einer Arzneiware zuzuerkennen. Dies habe das FG im Streitfall verkannt. Da nach dem neuen EuGH-Urteil auch der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Präparates Indizwirkung im Hinblick auf seine zolltarifliche Einstufung als Arzneiware zukomme, sei der Revision -- auch ohne Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH -- stattzugeben.

Das HZA trägt vor, Vitamin C sei zwar geeignet, gewissen Krankheitskomplexen wie z. B. Vitaminmangel oder Infektionskrankheiten zu begegnen. Jedoch seien die streitbefangenen Erzeugnisse, in denen dieser Inhaltsstoff enthalten sei, in ihren konkreten Ausgestaltungen und trotz ihrer Dosierung zu den in Pos. 3004 KN genannten therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestimmt. Die Klägerin beurteile diese Zweckbestimmung zu einseitig nach den objektiven Voraussetzungen. Entscheidend sei vielmehr mit dem FG, daß zur Erfüllung der Zweckbestimmung nach außen konkrete, dem Verbraucher der Ware verständliche und eindeutige Angaben zur Verwendung und Einnahme des Mittels gemacht werden müßten. Aus der Verknüpfung des medizinisch indizierten Ziels ("zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken") mit der Präsentation in der Außenwelt ("dosiert oder in Aufmachungen für den Einzelverkauf") gemäß dem Wortlaut der Pos. 3004 KN lasse sich zwanglos ableiten, daß bei objektiver Geeignetheit eines Stoffes auch die Absicht hinreichend dokumentiert werden müssen, ihn nach außen als solchen zu verkaufen, denn erst dadurch stelle sich der Hersteller auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge dem Wettbewerb und zeige dem interessierten Verbraucher Vergleichsgesichtspunkte, die ihn zu einem Kauf bewegen könnten.

Diese Auffassung werde auch durch die Erläuterungen (Erl.) zur KN Pos. 3004 (Harmonisiertes System -- HS --) Rz. 20.0 bestätigt, wonach zur Pos. 3004 KN nicht Ergänzungslebensmittel gehörten, die Vitamine und Mineralsalze enthielten und zur Erhaltung der Gesundheit und des Wohlbefindens dienten, sofern sie keine Angaben über die Verhütung oder Behandlung von Krankheiten enthielten. Hierzu habe aber das FG gerade festgestellt, daß sich weder auf der Verpackung noch auf dem Beipackzettel Hinweise auf die spezifische Wirksamkeit der Tabletten gegen bestimmte Krankheiten fänden. Vielmehr dienten die Präparate der Klägerin in erster Linie dem Ziel, ein evtl. eintretendes Defizit an Vita min C durch Einnahme der Tabletten auszugleichen. Die von der Klägerin ins Feld geführten Zwecke blieben zwar wünschenswert, aber durch ihre allgemeine Ansprache unverbindlich und untergeordnet. Arzneimittelrechtliche Definitionen seien im Zolltarifrecht nicht maßgeblich, denn hier sei neben der pharmakologischen Geeignetheit eines Stoffes aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit die Zweckbestimmung unerläßlich.

 

Entscheidungsgründe

Im Streitfall sind gemeinschaftsrechtliche Vorschriften der KN 1993 anzuwenden, deren Auslegung zweifelhaft erscheint. Es ist daher geboten, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zur Auslegung der maßgebenden Vorschriften zu ersuchen (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft).

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf an, ob die beiden von der Klägerin eingeführten Vitaminpräparate mit der Vorentscheidung als Lebensmittelzubereitungen (sog. Ergänzungslebensmittel) der Pos. 2106 90 99 KN einzureihen waren -- dann wäre die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen -- oder ob es sich dabei entsprechend der Zollanmeldung der Klägerin um Arzneiwaren der Pos. 3004 50 10 KN gehandelt hat -- dann hätte die Revision der Klägerin Erfolg, und die Vorentscheidung müßte aufgehoben werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. zuletzt das Urteil vom 15. Mai 1997 Rs. C-405/95 -- Bioforce II: Echinacea -- Rz. 12) ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichteren Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Tarifpositionen des Gemeinsamen Zolltarifs und der Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind.

Als Arzneiware der Pos. 3004 KN sind solche Erzeugnisse anzusehen, die, gemischt oder ungemischt (Anmerkung 2 zu Kap. 30 KN), für therapeutische oder prophylaktische Zwecke geeignet sind und dosiert oder in Aufmachungen für den Einzelverkauf eingeführt werden. Die entsprechende Position hat Vorrang vor anderen in Betracht kommenden Positionen (Anmerkung 2 zu Abschnitt VI KN). Die streitgegenständ lichen Erzeugnisse sind für den Einzel verkauf aufgemacht, wie sich aus ihrer Darreichungsform in Kunststoffröhren und Faltschachteln sowie aus den Gebrauchs informationen auf den Beipackzetteln ergibt. Streitig ist lediglich, ob sie ihrer objektiven Beschaffenheit entsprechend in der Medizin zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gegen Krankheiten verwendet werden und sich diese Verwendung aus ihrer Aufmachung, insbesondere aus den Verwendungsangaben ergibt (vgl. Erl. zur KN Pos. 3004 HS Rz. 04.0).

In seiner bisherigen Rechtsprechung ist der Senat davon ausgegangen, daß Präparate, die im wesentlichen der Behebung von Mangelzuständen oder der Vorbeugung gegen solche dienen, keine Eignung für therapeutische oder prophylaktische Zwecke aufweisen. Mangeltherapie oder -prophylaxe, z. B. mit Vitaminen oder Mineralsalzen, ist keine medizinische Indikation (vgl. Erl. zur KN Pos. 3004 HS, Rz. 20.0: Abgrenzung zu "Ergänzungslebensmittel" der Pos. 2106 KN). Die im Lebensmittelhandel außerhalb von Apotheken erhältlichen Vitamintabletten und -präparate sind demzufolge keine Arzneiwaren im zolltariflichen Sinne. Das gilt auch, soweit solche Erzeugnisse -- mittelbar -- mangelbedingten Krankheiten entgegenwirken sollen, denn Gesundheitsstörungen oder Krankheitszustände können aus allen möglichen Mangelerscheinungen erwachsen. Ein Präparat also, das nur zur Behebung von Vitaminmangelzuständen dient, ist noch nicht als Arzneiware anzusehen, mag es auch zugleich der Prophylaxe gegen mangelbedingte Krankheitszustände dienen. Eine Arzneiware liegt erst dann vor, wenn das Präparat sowohl der Substitution bei einem Mangelzustand als auch der Therapie oder Prophylaxe gegen mangelunabhängige Krankheiten dient. In diesem Fall sind Vitaminpräparate auch nach Arzneimittelrecht Arzneiwaren (vgl. EuGHE 1983, 3883 Rz. 27).

Für diese Auffassung konnte sich der Senat nicht nur auf die genannte Erläuterung, sondern auch auf die im FG-Urteil erwähnten, im Streitfall freilich nicht unmittelbar einschlägigen Einreihungsverordnungen der Kommission (EWG) Nr. 2061/89 vom 7. Juli 1989 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- L 196/5, dort Nr. 5) und (EWG) Nr. 2723/90 vom 24. September 1990 (ABlEG L 261/24, 26) stützen, in denen Tabletten mit einem Vita min-C-Gehalt von 500 mg bzw. Brausetabletten mit einem Gehalt von 1 g Ascorbinsäure als Lebensmittelzubereitungen in die Pos. 2106 KN eingereiht worden sind. Auf dieser Auffassung beruht auch das Urteil des FG, das zur Einreihung in die Pos. 3004 KN erforderliche konkrete Hinweise auf die spezifische Wirksamkeit der Vitaminpräparate gegen bestimmte Krankheiten auf der Verpackung und dem Beipackzettel nicht erkennen konnte und die Erzeugnisse gerade wegen des weiteren -- von der Klägerin als beiläufig erachteten -- Hinweises "Traditionell angewendet zur Stärkung und Kräftigung, zur Vorbeugung" als Ergänzungslebensmittel der Pos. 2106 KN beurteilt hat.

Der Senat hat indes Zweifel, ob an dieser Auffassung nach der jüngsten Entwicklung der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs noch festgehalten werden kann. In seinem bereits erwähnten Urteil vom 15. Mai 1997 Rs. C-405/95 -- Bioforce II: Echinacea -- hat der Gerichtshof es für ausreichend erachtet, die Verwendung eines Erzeugnisses für therapeutische oder prophylaktische Zwecke und damit letztlich auch die Einreihung in die Pos. 3004 KN zu rechtfertigen, wenn auf dem Beipackzettel die vorbeugende Einnahme "zum Schutz vor Erkältung in Zeiten erhöhter Anstekungsgefahr, um die Widerstandskraft gegen fieberhafte Erkältungskrankheiten zu erhöhen", mit bestimmter Dosierung (Echinacea-Tropfen) empfohlen war (Rz. 4 und 14 des Urteils). Auch im Streitfall wird auf dem jeweiligen Beipackzettel die Verwendung des betreffenden Vitaminpräparats zur Steigerung der körperlichen Abwehrkräfte gegen fieberhafte Erkältungskrankheiten empfohlen, nämlich bei Ware 1 "zur Stärkung der Abwehrkräfte: bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten" und bei Ware 2 zur "vorbeugenden Einnahme in Zeiten erhöhter Infektionsgefahr", wobei jeweils auch eine Dosierungsanleitung (bei Ware 1 unterschiedlich für Erwachsene und Kinder; bei Ware 2 unterschieden für normalen und erhöhten Bedarf) beigegeben ist. Auch wenn im Streitfall zusätzlich zu dieser Indikation der Hinweis "traditionell angewendet zur Stärkung und Kräftigung, zur Vorbeugung" gegeben wird, erscheint es allein aus diesem Grunde nicht angemessen, die streitgegenständlichen Vitaminpräparate anders als die "Echinacea-Tropfen" zu behandeln. Denn zusätzliche Indikationen, mögen sie auch für sich nicht ausreichend sein, die Arzneiwareneigenschaft zu begründen, können eine konkurrierende, zum Ziel führende Indikation nicht wieder entwerten.

Hinzu kommt, daß auch die sonstige Beschreibung der Präparate sowie die Art und Weise ihrer Verpackung, Darreichung und Vermarktung, kurz: ihr gesamtes äußeres Erscheinungsbild, dazu führen könnten, sie als Erzeugnisse mit den typischen Eigenschaften einer Arzneiware zu betrachten und dementsprechend die Möglichkeit auszuschließen, daß sie zu anderen als therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gebraucht werden können (Rz. 15 des genannten EuGH-Urteils). Weiter wäre als Indiz für eine Einreihung in die Pos. 3004 KN -- entgegen der bisherigen Auffassung -- neuerdings auch zu berücksichtigen (s. Rz. 16 des EuGH-Urteils), daß beide Vita minpräparate in der Bundesrepublik Deutschland als Arzneimittel im arzneimittelrechtlichen Sinne zugelassen sind.

Gleichwohl hat der Senat letzte Zweifel hinsichtlich der zutreffenden Einordnung der beiden Präparate in den Zolltarif. Zum einen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, mit welcher Begründung die im internationalen (HS) und im gemeinschaftlichen Zolltarifrecht (KN) angelegte regelmäßige Zuordnung von einfachen Vitaminpräparaten, die im wesentlichen der Mangeltherapie bzw. -prophylaxe dienen, in die Pos. 2106 KN (vgl. z. B. die erwähnten Einreihungsverordnungen der Kommission und die Erl. zur KN Pos. 3004 --HS --, Rz. 20.0) überwunden werden könnte. Zum anderen dürfte es zwischen den streitgegenständlichen Präparaten und den Echinacea-Tropfen, die Gegenstand des EuGH-Urteils vom 15. Mai 1997 waren, im Tatsächlichen insofern doch einen Unterschied geben, der möglicherweise entscheidungserheblich sein könnte, als nämlich aus der Sicht des durchschnittlichen Verbrauchers Vitamintabletten einem Lebensmittel wesentlich näher stehen als die besagten Echinacea-Tropfen. Mithin erscheint hinsichtlich der Vitamin tabletten eine Einstufung als "Ergänzungslebensmittel", das zu anderen als thera peutischen oder prophylaktischen Zwecken gebraucht werden könnte, nicht ausgeschlossen.

Demgegenüber geht die Zolltarifauffassung der Klägerin noch über die für den Senat äußerstenfalls in Betracht kommende Auslegung hinaus. Die Klägerin möchte nämlich aus Rz. 15 des Urteils des Gerichtshofs vom 15. Mai 1997 Rs. C-405/95 ableiten, daß allein die äußere Aufmachung eines Präparats als solche, also ohne Rücksicht auf die objektive Wirksamkeit des Präparats, zu dessen Einordnung in die Pos. 3004 KN führen könne. Der Senat teilt diese Auslegung nicht, hält sie aber in Anbetracht der vom Gerichtshof in Rz. 15 dieses Urteils gewählten Formulierung, auch unter Berücksichtigung des Plädoyers des Generalanwalts in dieser Sache, nicht für völlig ausgeschlossen.

Aus diesen Gründen und zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Importeure in der Gemeinschaft sowie mit Rücksicht auf die eigenen Einnahmen der Gemeinschaft -- der Senat geht aufgrund der Aktenlage davon aus, daß eine Entscheidung im Sinne der Klägerin weitere Erstattungsverfahren nach sich ziehen könnte -- legt der Senat folgende Auslegungsfragen dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor:

1. "Sind die Ausführungen des EuGH in Rz. 15 seines Urteils vom 15. Mai 1997 C- 405/95 -- Bioforce II: Echinacea -- dahingehend zu verstehen, daß ein Präparat, um es als Erzeugnis mit den typischen Eigenschaften einer Arzneiware im Sinne der Position 3004 KN zu betrachten, keine objektive Beschaffenheitseignung zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken aufweisen muß, sondern daß allein die Gesamtaufmachung des Präparats (Gebrauchsinformation, Verpackung, Darreichung und Vermarktung), also seine subjektive Zweckbestimmung, für eine solche Einstufung ausreicht?"

2. Für den Fall, daß die Frage 1 zu verneinen sein sollte:

"Ist die Kombinierte Nomenklatur 1993 dahin auszulegen, daß Vitamintabletten wie ,Taxofit Vitamin C + Ca Brausetabletten` und ,Taxofit Vitamin C Kautabletten`, die je Tablette 1000 mg bzw. 500 mg Vitamin C (Ascorbinsäure) enthalten, in Aufmachungen für den Einzelverkauf eingeführt werden, entsprechend der auf dem jeweiligen Beipackzettel enthaltenen Gebrauchsinformation unter Angabe einer bestimmten Dosierung u. a. ,zur Stärkung der Abwehrkräfte: bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten, ... bei allergischen Prozessen` bzw. ,zur vorbeugenden Einnahme in Zeiten erhöhter Infektionsgefahr` verwendet werden sollen und in der Bundesrepublik Deutschland als Arzneimittel zugelassen sind, der Position 3004 -- Arzneiwaren, die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, ... in Aufmachung für den Einzelverkauf -- zuzuweisen sind?"

 

Fundstellen

Haufe-Index 303002

BFH/NV 1998, 366

HFR 1998, 306

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