Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Gewerbesteuermeßbescheid

 

Leitsatz (NV)

1. Die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine sog. "betriebsnahe Veranlagung" als Außenprüfung i. S. von § 171 Abs. 4 der AO 1977 an gesehen werden kann, hat grundsätzliche Bedeutung.

2. Ein Rechtsirrtum des steuerlichen Bevollmächtigten über eine verfahrensrechtliche Frage kann grundsätzlich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Ver säumung der Einspruchsfrist nicht rechtfertigen.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 110, 171 Abs. 4; FGO § 126 Abs. 4; GewStG § 35b

 

Gründe

1. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen, soweit das Urteil des Finanz gerichts (FG) in der Gewinnfeststellungs sache 1985 ergangen ist.

Die Rechtsfrage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine sog. "betriebsnahe Veranlagung" als Außenprüfung i. S. von § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) angesehen werden kann, hat grundsätzliche Bedeutung.

2. Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben, soweit sie sich gegen die Entscheidung des FG in der Gewerbesteuermeßbetragssache richtet. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragen insoweit, die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen, weil das FG das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) und die Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO verletzt habe. Die Kläger hätten im Schriftsatz vom 24. Oktober 1994 ausdrücklich um einen Hinweis des Gerichts für den Fall gebeten, daß dieses die Frage der Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist für erheblich halte. Ein solcher Hinweis sei nicht gegeben worden. Vielmehr habe das FG diesen von den Beteiligten als unerheblich erachteten Gesichtspunkt überraschend zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Entgegen der Ansicht des FG treffe den Bevollmächtigten der Kläger im Einspruchsverfahren kein Verschulden an der Fristversäumnis. Der Bevollmächtigte habe die gesonderte Anfechtung der Gewerbesteuermeßbescheide nicht für erforderlich gehalten, da er sie als Folgebescheide der fristgerecht angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide angesehen habe. In dieser Ansicht sei er durch das Verhalten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) bestärkt worden, der die Vollziehung der Gewerbesteuermeßbescheide ausgesetzt habe, obwohl diese nicht mit dem Einspruch angefochten worden seien.

Der Senat läßt offen, ob die behaupteten Verfahrensmängel schlüssig gerügt sind und tatsächlich vorliegen und ob das Urteil des FG auf diesen Mängeln beruhen kann, denn die Entscheidung erweist sich jedenfalls als im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). § 126 Abs. 4 FGO ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde insoweit entsprechend anwendbar, als die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers begehrt wird (vgl. die Nachweise bei Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 35).

Das FA und das FG haben zu Recht eine Wiedereinsetzung der Kläger in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Einspruchsfrist (§ 110 AO 1977) abgelehnt. Aus dem Vorbringen der Kläger im Einspruchsverfahren und in der Beschwerdeschrift ergibt sich nicht, daß ihr steuerlicher Vertreter schuldlos die Frist für die Ein legung des Einspruchs versäumt hat. Ein Rechtsirrtum des Bevollmächtigten über eine verfahrensrechtliche Frage kann grundsätzlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht rechtfertigen. Von Ange hörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe muß erwartet werden, daß sie das Verfahrensrecht kennen; ein Rechtsirrtum auf diesem Gebiet kann nur dann als unverschuldet angesehen werden, wenn in Rechtsprechung und Literatur Unklarheit über das einzuschlagende Verfahren besteht (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Für den Bevollmächtigten konnte keine Unklarheit über die Zulässigkeit des Einspruchs gegen die Gewerbesteuermeßbescheide bestehen. Es entspricht jahrzehntelanger Rechtsprechung des BFH, daß Gewinnfeststellungsbescheide keine Grundlagenbescheide für Gewerbesteuermeßbescheide sind (BFH-Beschluß vom 21. Dezember 1993 VIII B 107/93, BFHE 173, 158, BStBl II 1994, 300, m. w. N.); seit langem geklärt ist ferner, daß das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung eines Gewerbesteuermeßbescheids nicht mit der Begründung verneint werden kann, die erstrebte Änderung des Gewerbesteuermeßbetrags könne im Hinblick auf die Regelung des § 35 b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) auch durch Anfechtung des Gewinnfeststellungsbescheids erreicht werden (BFH-Urteil vom 30. Juli 1964 IV 403/61 U, BFHE 80, 166, BStBl III 1964, 534). Wenn der Bevollmächtigte gleichwohl aus Gründen der Prozeßökonomie auf eine Anfechtung der Gewerbesteuermeßbescheide verzichtete, weil er darauf vertraute, daß ein Erfolg des Rechtsbehelfsverfahrens in der Gewinnfeststellungssache gemäß § 35 b GewStG ohne weiteres zu einer entsprechenden Aufhebung oder Änderung der Gewerbesteuermeßbescheide führen werde, so tragen die von ihm vertretenen Kläger das Risiko der möglichen Nichtanwendbarkeit dieser Vorschrift. Ob im Streitfall die Voraussetzungen für eine Aufhebung der formell bestandskräftigen Gewerbesteuermeßbescheide nach § 35 b GewStG vorliegen, hat der Senat in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

Einer weiteren Begründung bedarf die Entscheidung nicht (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 457

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