Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbegründetheit einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 FGO gestützten NZB

 

Leitsatz (NV)

1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt nicht vor, wenn den als grundsätzlich aufgeworfenen Fragen Sachverhaltsbestandteile zugrunde liegen, die in den Feststellungen der Vorentscheidung keine Stütze finden und derentwegen nicht begründeterweise geltend gemacht ist, die unterbliebene Feststellung beruhe auf einem Verfahrensfehler (Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht).

2. Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozeßbeteiligten verzichten konnten und verzichtet haben.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 295

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), eine Sparkasse, machte in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (1983) Vorsteuerbeträge aus Ankäufen von Goldbarren geltend. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) folgte zunächst der Erklärung, erließ jedoch nach einer Umsatzsteuersonderprüfung einen auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid vom 14. Mai 1987, in dem die Vorsteuerbeträge unberücksichtigt geblieben sind.

Mit den Goldankäufen hat es nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) folgende Bewandtnis:

Die Klägerin hatte am 30. Juni 1983 für eine seit dem 18. Februar 1983 im Handelsregister des Amtsgerichts Z eingetragene GmbH (alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer: L) ein Girokonto eröffnet, für das jeweils allein zeichnungs- und verfügungsberechtigt waren: L sowie S.

Am 4. Juli 1983 erschien bei der Klägerin S in Begleitung von M und bot für die GmbH der Klägerin Barrengold an, das von der Klägerin angekauft wurde. Die GmbH erteilte der Klägerin hierüber am 5. Juli 1983 eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis. Am 26. Juli 1983 kam es zu einem zweiten Goldankauf durch die Klägerin, über den die GmbH mit Datum vom selben Tage unter gesondertem Steuerausweis abrechnete.

Die an die Klägerin veräußerten Goldbarren waren von M in den Niederlanden erworben und ohne Entrichtung von Einfuhrumsatzsteuer in das Erhebungsgebiet verbracht worden. M wurde dementsprechend wegen Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer verurteilt. Die GmbH hat die auf die Goldlieferungen an die Klägerin entfallende Umsatzsteuer nicht entrichtet.

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das FG mit der Begründung statt, der Klägerin stehe der umstrittene Vorsteuerabzug zu. Weder sei die GmbH eine Scheinfirma noch handele es sich bei den beiden der Klägerin erteilten Rechnungen um Scheinrechnungen. Die GmbH sei Unternehmer i. S. von § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Eine Eingliederung in das Unternehmen eines Organträgers sei nicht ersichtlich. Auch wenn die Initiative für sämtliche Goldgeschäfte von M ausgegangen sein möge, so sei dieser nicht Organträger gewesen. Schließlich stehe zur Überzeugung des FG fest, daß die Goldlieferungen von der GmbH als dem Rechnungsaussteller bewirkt worden seien.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich das FA auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Als grundsätzlich bedeutsam sieht das FA die Fragen an,

a) ob Rechnungen eines Unternehmers den Rechnungsempfänger auch dann zum Vorsteuerabzug berechtigen, wenn das Unternehmen auf Weisung einer anderen Person handelt und die andere Person das Risiko der Geschäfte trägt,

b) ob eine gewerbliche Tätigkeit nachhaltig ausgeübt wird und somit die Unternehmereigenschaft i. S. von § 2 Abs. 1 UStG 1983 gegeben ist, wenn zwar nach außen eine existierende Firma auftritt, diese aber weder wirtschaftlich noch finanziell an den unter ihrem Namen getätigten Geschäften beteiligt gewesen ist, keine Verfügungsmacht an den unter ihrem Namen gelieferten Gegenständen erlangt sowie kein Unternehmerrisiko getragen hat, sondern lediglich den Zweck erfüllt, dem Erwerber eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erteilen zu können sowie den Anschein zu erwecken, die Gegenstände stammten aus legalen Geschäften.

Einen Verfahrensfehler (Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung - § 76 FGO -) sieht das FA darin, daß sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Beweiserhebung durch Zeugenvernehmungen hätte aufdrängen müssen, die weitere Beweiserhebung aber unterblieben ist.

Die Klägerin ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Der Nichtzulassungsbeschwerde des FA muß der Erfolg versagt bleiben; sie wird zurückgewiesen.

Gemäß § 115 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 FGO kann die Revision auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin u. a. dann zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Abs. 2 Nr. 1) oder wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (Abs. 2 Nr. 3). In formeller Hinsicht setzt § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO für die Begründung der Beschwerde voraus, daß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt bzw. der Verfahrensmangel bezeichnet worden ist.

a) Zur Darlegung grundsätzlicher Bedeutung reicht weder die bloße Behauptung aus, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, noch die Darlegung dessen, daß die Vorentscheidung rechtsfehlerhaft sei. Vielmehr muß der Beschwerdeführer konkret auf eine oder mehrere für die Beurteilung des Streitfalles maßgebende Rechtsfrage(n) eingehen und dartun, weswegen diese nach seiner Ansicht das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühre bzw. berührten (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., §§ 115 Anm. 61 f. und 7 ff.). Ferner muß, sofern sich dies nicht von selbst versteht, dargelegt werden, daß die angeführten Rechtsfragen in dem angestrebten Revisionsverfahren jedenfalls klärungsbedürftig sind (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 8 und 62).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde diesen Anforderungen gerecht wird (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344). Denn es fehlt auf jeden Fall an der Begründetheit.

Beiden vom FA herausgestellten Fragen liegen Sachverhaltsbestandteile zugrunde, die in den Feststellungen der Vorentscheidung keine Stütze finden. Dies gilt insbesondere für die vom FA in beiden Fragen angeführte sachverhaltsmäßige Besonderheit, daß das (Unternehmer-)Risiko nicht bei dem als Unternehmer Auftretenden, sondern bei einer anderen Person liegt. In dem vom FA angestrebten Revisionsverfahren würde der BFH an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen gebunden sein, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht würden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). Hierzu hat das FA nichts vorgetragen. Ein diesbezüglicher durchschlagender Vortrag ist insbesondere nicht in den Ausführungen des FA zum Zulassungsgrund des Verfahrensmangels zu sehen (siehe unten).

b) Hinsichtlich des Zulassungsgrundes aus § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind die Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht erfüllt.

Ein Verfahrensmangel ist i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO nur dann zureichend bezeichnet, wenn die Tatsachen genau angegeben werden, aus denen der geltend gemachte Verfahrensmangel schlüssig hervorgeht (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., §§ 115 Anm. 24 ff. und 65 i. V.m. §§ 120 Anm. 37 ff.). Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozeßbeteiligten verzichten konnten und verzichtet haben (vgl. § 155 FGO i. V. m. § 295 der Zivilprozeßordnung). Dies ist für den im Übergehen eines Beweisantrages liegenden Verfahrensmangel anerkannt (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 37). Nichts anderes kann gelten, wenn die Rüge mangelnder Sachaufklärung auf die Behauptung gestützt wird, das Gericht habe entgegen seiner Ankündigung der Beweisaufnahme letztlich auf die Vernehmung von Zeugen verzichtet.

Das FA hätte dementsprechend in Beziehung auf den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO u. a. darlegen müssen, daß die Wirkungen eines Rügeverzichts hinsichtlich der unterbliebenen weiteren Beweisaufnahme nicht eingetreten sind. Hierzu hat sich das FA jedoch nicht geäußert.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 822

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