Entscheidungsstichwort (Thema)

Zollschuldner durch Erwerb einer zollpflichtigen Ware, Erlöschen der Zollschuld

 

Leitsatz (NV)

1. Nach der im PKH-Verfahren nur erforderlichen summarischen Prüfung erscheint es richtig zu sein, daß für den "Erwerb" einer Ware mit der Folge, daß der Erwerber Zollschuldner wird, der Abschluß eines Verpflichtungsgeschäfts, das den Anspruch auf Übereignung der Ware begründet, jedenfalls dann ausreicht, wenn seine Erfüllung unmittelbar ins Werk gesetzt worden ist.

2. Zum Erlöschen der Zollschuld.

 

Normenkette

ZK Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3, Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d

 

Tatbestand

I. S schmuggelte im Versteck eines eigens zum Schmuggeln umgebauten LKW 1 969 Stangen (393 800 Stück) Zigaretten aus Litauen über Polen in die Bundesrepublik Deutschland ein und bot diese der Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) zum Kauf an. Die Antragstellerin traf den S und seinen Begleiter zunächst auf einem Rastplatz bei P, anschließend begaben sie sich auf Veranlassung der Antragstellerin zu einem Treffpunkt auf einem naheliegenden Betriebsgelände in U. Dort wartete bereits der Lebensgefährte der Antragstellerin und wies dem LKW einen Platz zum Umladen der Ware zu. Nachdem 50 000 Stück Zigaretten in den LKW, der der Antragstellerin und ihrem Lebensgefährten gehörte, umgeladen waren, griffen Zollfahndungsbeamte ein und stellten die Zigaretten sowie 39 250 DM sicher, die die Antragstellerin zur Bezahlung der Zigaretten mit sich führte. Der Beklagte (das Hauptzollamt -- HZA --) nahm die Antragstellerin mit Steuerbescheid für die hinsichtlich der gesamten Warenladung entstandenen Eingangsabgaben (Zoll-EURO, Einfuhrumsatzsteuer, Tabaksteuer) in Höhe von insgesamt ... DM als Gesamtschuldnerin neben S und ihrem Lebensgefährten in Anspruch.

Den dagegen gerichteten Einspruch wies das HZA zurück. Dem Einwand der Antragstellerin, nur die tatsächlich in ihr Fahrzeug umgeladene Menge sei von ihr zu versteuern, hielt das HZA entgegen, daß bereits auf dem Parkplatz bei P das Geschäft über die gesamte Menge abgeschlossen worden sei, weil S dort mit der Antragstellerin ausgemacht habe, daß sie die gesamte Menge übernehme. Durch Urteil des Amtsgerichts wurde die Antragstellerin für die gesamten eingeschmuggelten Zigaretten wegen versuchter Steuerhehlerei verurteilt.

Mit ihrer Klage, für deren Durchführung sie die Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) beantragt hat, begehrt die Antragstellerin die Änderung des Steuerbescheids dahin, daß die Eingangsabgaben auf ... DM herabgesetzt werden. Sie trägt vor, sie sei zwar bereit gewesen, eine größere Menge von Zigaretten zu übernehmen. Da sie diese im Zeitpunkt des Zugriffs aber noch nicht übernommen gehabt habe, könne sie dafür auch nicht in Anspruch genommen werden. Außerdem meint sie, daß nur die Tabaksteuer, nicht aber Zoll und Umsatzsteuer erhoben werden dürften, weil die Ware nicht in den Verkehr gebracht worden sei.

Das Finanzgericht (FG) hat die Bewilligung von PKH abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung bei der im PKH-Verfahren nur gebotenen und erforderlichen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (§142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung i. V. m. §114 der Zivilprozeßordnung). Nach den vorliegenden Umständen sei es nicht ernstlich zweifelhaft, daß die Antragstellerin nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex -- ZK --) des Rates vom 12. Oktober 1992 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 302/1) weitere Zollschuldnerin für die aus Litauen eingeschmuggelten Zigaretten geworden sei, für die die Zollschuld nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK entstanden sei. Die in Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK gebrauchte Formulierung "erworben oder im Besitz gehabt" mache deutlich, daß zum Erwerb anders als im deutschen Recht ein reines Verpflichtungsgeschäft ausreiche. Darüber hinaus habe die Antragstellerin spätestens nach dem Öffnen der LKW-Türen und dem Beginn des Umladevorgangs den Zugriff auf die gesamte Zigarettenladung erhalten, so daß sie auch Besitzerin der Zigaretten geworden sei. Für die Einfuhrumsatz- und die Tabaksteuer seien die Vorschriften über Zölle sinngemäß anzuwenden (§21 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG --, §21 des Tabaksteuergesetzes -- TabStG --).

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Nach der im PKH-Verfahren nur erforderlichen, aber auch gebotenen summarischen Prüfung der Sache teilt der Senat die Auffassung des FG, daß für die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht besteht und deshalb der Antrag auf Bewilligung von PKH abzulehnen war.

Richtig erscheint, daß für den "Erwerb" der Ware i. S. des Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK der Abschluß eines Verpflichtungsgeschäfts, das den Anspruch auf Übereignung der Ware begründet, jedenfalls dann ausreicht, wenn seine Erfüllung wie im Streitfall unmittelbar ins Werk gesetzt worden ist (vgl. Witte, Zollkodex, 2. Aufl., Art. 202 Rz. 21, der die Meinung vertritt, daß allein der Abschluß des Verpflichtungsgeschäfts ausreicht; a. A. Stiehle in Schwarz/Wockenfoth, Zollrecht, 3. Aufl., Art. 202 Rz. 24). Das folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, die die Begriffe "erworben" oder "im Besitz gehabt" haben bzw. "Erwerb" oder "Erhalt" der Ware als alternative Tatbestände nebeneinanderstellt. Der Erwerb einer Ware ist danach nicht notwendig eine besondere Form der Verschaffung des Besitzes daran, wie dies bei der Steuerhehlerei i. S. von §374 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 -- ("Wer ... Waren ... ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft ... ") der Fall ist (vgl. dazu Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §374 AO 1977 Rz. 50) oder in §57 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes (" ... übernimmt oder an sich bringt ... ") geregelt war. Daher kann die Zollschuldnerschaft nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK bereits vor Vollendung der Steuerhehlerei begründet werden. Das folgt auch aus dem Umstand, daß es sich bei der Regelung um Gemeinschaftsrecht handelt, bei dem nicht ohne weiteres eine strenge Trennung zwischen schuldrechtlichem und dinglichem Recht vorauszusetzen, sondern von einem fließenden Übergang beider Bereiche ineinander auszugehen ist, das Tatbestandsmerkmal "Erwerb" also schon dann erfüllt sein kann, wenn der Besitz an der Ware nach den Maßstäben des deutschen Rechts noch nicht erlangt ist. Nach den in der Einspruchsentscheidung näher ausgeführten Umständen, auf die das FG Bezug genommen hat, bestehen ferner keine Bedenken gegen die Annahme des FG, daß das Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag) zwischen der Antragstellerin und S über die gesamte Zigarettenmenge bereits auf dem Parkplatz bei P abgeschlossen worden ist. Die Antragstellerin hat dies in ihrer Beschwerde jedenfalls nicht substantiiert bestritten, sondern nur behauptet, daß die endgültige Einigung zwischen ihr und S noch bevorstand.

Auf die vom FG auch bejahte Frage, ob die Antragstellerin Besitz auch an den im Zeitpunkt des Zugriffs durch die Zollfahndungsbeamten noch nicht in ihr Fahrzeug umgeladenen Zigaretten erlangt hat, kommt es nach den vorstehenden Ausführungen nicht mehr an, weil die Antragstellerin bereits durch den Abschluß des Kaufvertrages über die im LKW des S befindlichen Schmuggelzigaretten und die ins Werk gesetzte Erfüllung des Vertrages den Tatbestand des Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK erfüllt hat.

Die Eingangsabgaben (Zoll-EURO, Einfuhrumsatzsteuer, Tabaksteuer) sind sämtlich nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK, §21 Abs. 2 Satz 1 UStG und §21 TabStG mit dem vorschriftswidrigen Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft entstanden. Die Zollschuld ist auch nicht erloschen. Das wäre nach Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d ZK nur dann der Fall, wenn die Waren bei dem vorschriftswidrigen Verbringen beschlagnahmt und gleichzeitig oder später eingezogen worden wären. Im Streitfall sind die Zigaretten aber erst nach ihrem vorschriftsmäßigen Verbringen, d. h. nach Erreichen ihres Bestimmungsortes (vgl. Lichtenberg in Dorsch, Zollrecht, B I/233 Rz. 8; Witte, a. a. O., Art. 233 Rz. 18), beschlagnahmt worden, so daß die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Erlöschenstatbestandes nicht erfüllt sind. Es kommt -- entgegen der Auffassung der Antragstellerin -- nicht darauf an, ob die Zigaretten tatsächlich in Verkehr gebracht worden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67602

BFH/NV 1998, 1393

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