Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf mündliche Verhandlung; Rüge verzichtbarer Verfahrensmangel

 

Leitsatz (NV)

1. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden.

2. Soweit eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG als (verzichtbarer) Verfahrensmangel durch Übergehen von Beweisangeboten gerügt wird, hat die rechtskundig vertretene Klägerin mit ihrem Verzicht auf mündliche Verhandlung zugleich auch den Verzicht auf die zuvor (schriftsätzlich) beantragte Zeugeneinvernahme erklärt.

3. Im PKH-Verfahren ist eine Kostenentscheidung nicht zu treffen. Die Entscheidung ergeht - auch hinsichtlich des Antrags auf Beiordnung eines Bevollmächtigten - gerichtsgebührenfrei.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 79b Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; GKG § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2; ZPO §§ 114, 118 Abs. 1 S. 4, § 227 Abs. 1, § 295

 

Tatbestand

Rz. 1

I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Antragstellerin (Klägerin) zum größten Teil als unbegründet abgewiesen, die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen erhob die Klägerin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision und beantragte unter Hinweis auf ihre schlechten finanziellen Verhältnisse für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH). Eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde beigefügt.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 2

II. Der Antrag auf PKH ist unbegründet. Die mit der Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S. von § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO); denn die von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sind zum Teil nicht i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt, im Übrigen liegen sie nicht vor.

Rz. 3

1. Der --von der rechtskundig vertretenen Klägerin schriftsätzlich mitgeteilte-- Verzicht auf mündliche Verhandlung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Oktober 2003 I B 39/03, BFH/NV 2004, 350; BFH-Urteil vom 11. Mai 2010 IX R 28/09, BFH/NV 2010, 2076); die dazu erforderliche wesentliche Änderung der Prozesslage war im Streitfall indes nicht gegeben. Denn es ist weder hinreichend vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass zwischen dem (Schriftsatz vom) 23. August 2010 und dem (Schriftsatz vom) 27. August 2010 eine solche Änderung der Prozesslage eingetreten ist. Sie ist auch nicht darin zu sehen, dass das FG die --vier Tage vor ihrem Ablauf-- beantragte Verlängerung der Ausschlussfrist angesichts der fehlenden Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe abgelehnt hat.

Rz. 4

Dass die Mutter der Klägerin "die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung" telefonisch dem Richter erläutert hat, ändert nichts an der Tatsache, dass der Klägervertreter zuvor, nämlich vier Tage vor Ablauf der gemäß § 79b Abs. 2 FGO vom FG gesetzten Ausschlussfrist, wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet hat.

Rz. 5

2. Soweit die Klägerin darüber hinaus eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) des FG als (verzichtbaren) Verfahrensmangel durch Übergehen von Beweisangeboten rügt, fehlt es bereits an genauen Angaben und Ausführungen zu bestimmten Punkten (vgl. BFH-Beschluss vom 27. August 2008 IX B 207/07, BFH/NV 2008, 2022, unter 4.a, m.w.N.). Zudem hat die rechtskundig vertretene Klägerin mit ihrem Verzicht auf mündliche Verhandlung zugleich auch den Verzicht auf die zuvor beantragte Zeugeneinvernahme erklärt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. Oktober 2000 V B 74/00, BFH/NV 2001, 330; vom 29. Juni 2010 III B 168/09, BFH/NV 2010, 1847, m.w.N.).

Rz. 6

3. Mit dem Einwand einer unzutreffenden Tatsachen- und Beweiswürdigung sowie der fehlerhaften Rechtsanwendung durch das FG ("auch materiellrechtlich zu beanstanden") rügt die Klägerin lediglich die (vermeintlich) sachliche Unrichtigkeit des FG-Urteils, also materiell-rechtliche Fehler; damit kann indes die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. September 2008 IX B 110/08, BFH/NV 2009, 39; vom 30. September 2010 IX B 66/10, BFH/NV 2010, 2296).

Rz. 7

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Entscheidung ergeht --auch hinsichtlich des Antrags auf Beiordnung eines Bevollmächtigten (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. Anlage 1 -Kostenverzeichnis-; s. z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Februar 1997 X S 29/96, BFH/NV 1997, 489; vom 23. Dezember 2009 IX S 21/09 -PKH-, BFH/NV 2010, 1103)-- gerichtsgebührenfrei. Dem Gegner entstandene Kosten werden nicht erstattet (§ 142 FGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

 

Fundstellen

BFH/NV 2011, 1383

BFH-ONLINE 2011

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