Leitsatz

Ein neu errichtetes Bürogebäude, das nach seiner Funktion zur Vermietung einzelner, entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Mieter gestalteter Büros dienen soll, ist bezugsfertig i.S.v. § 146 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 145 Abs. 1 Satz 3 BewG, wenn die für das Gebäude wesentlichen Bestandteile (z.B. Außenwände, Fenster, tragende Innenwände, Estrichböden, Dach, Treppenhaus) fertiggestellt sind und zumindest eine Büroeinheit benutzbar ist.

 

Normenkette

§ 138 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1, § 145 Abs. 1 Sätze 2 und 3, § 146 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 BewG 2005, § 178 Abs. 1 Satz 3 BewG 2009

 

Sachverhalt

Das FA stellte durch an die Kläger ergangenen Bescheid für Zwecke der Erbschaftsteuer den Grundbesitzwert für ein Grundstück mit Bürogebäude auf den 3.8.2005 fest. Das Bürogebäude war in den Jahren 1992 und 1993 zunächst ohne den Innenausbau errichtetet worden. In den Jahren 1994 bis 2000 wurde der Innenausbau entsprechend den Bedürfnissen der Mieter durchgeführt. Die ersten Mieter zogen im Jahr 1994 und die letzten Mieter im Jahr 2000 ein. Das FA ging davon aus, dass das Bürogebäude erst im Jahr 2000 mit der Erstellung des gesamten Innenausbaus bezugsfertig geworden und damit nur eine Alterswertminderung von 2,5 % anzusetzen sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FG gab der auf Berücksichtigung der Alterswertminderung ab dem Eintritt der Bezugsfertigkeit im Jahr 1994 gerichteten Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2010, 11 K 1712/08 BG, Haufe-Index 2597580, EFG 2011, 409).

 

Entscheidung

Das FG wurde vom BFH bestätigt. Die Wertminderung wegen Alters des Bürogebäudes sei bereits für die Zeit ab 1994 einzusetzen.

 

Hinweis

1. Der Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit eines Gebäudes ist bewertungsrechtlich in mehrfacher Hinsicht bedeutsam:

  • Die Bezugsfertigkeit bildet für den bei der Erbschaftsteuer für Stichtage bis zum 31.12.2008 anzuwendenden § 146 Abs. 4 BewG den zeitlichen Ausgangspunkt für den Ansatz der Alterswertminderung. Diese ist für jedes Jahr, das seit Bezugsfertigkeit des Gebäudes bis zum Besteuerungszeitpunkt vollendet worden ist, mit 0,5 % (höchstens jedoch 25 % des Ausgangswerts nach § 146 Abs. 3 und 3 BewG) zu berücksichtigen. Ab 1.1.2009 findet § 146 Abs. 4 BewG nur noch bei der Grunderwerbsteuer Anwendung.
  • Bei der Erbschaftsteuer ist der Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit eines Gebäudes auch nach zahlreichen Bestimmungen der ab 1.1.2009 anzuwendenden bewertungsrechtlichen Neuregelungen bedeutsam (z.B. § 178 Abs. 1 Satz 3; § 190 Abs. 2 Satz 3; § 196 Abs. 1 Satz 1 BewG).

2. Bezugsfertig sind Gebäude gem. § 145 Abs. 1 Satz 3 BewG, wenn den zukünftigen Bewohnern oder sonstigen Benutzern zugemutet werden kann, sie zu benutzen. Nicht entscheidend ist die Abnahme durch die Bauaufsichtsbehörde.

Hiervon ausgehend ist für die Bezugsfertigkeit (unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung) auf objektive Kriterien abzustellen. In jedem Fall setzt die Bezugsfertigkeit eines Gebäudes voraus, dass die wesentlichen Bauarbeiten ausgeführt sind (also Fenster und Türen eingebaut sowie Anschlüsse für Strom und Wasser, Heizung und sanitäre Einrichtungen vorhanden sind) und noch Restarbeiten verbleiben.

3. Eine differenziertere Beurteilung der Bezugsfertigkeit ist bei einem neu errichteten Bürogebäude geboten, das der Vermietung einzelner auf die individuellen Bedürfnisse der Mieter zugeschnittener Büroeinheiten dienen soll. In diesem Fall setzt die Alterswertminderung nicht voraus, dass bereits alle Büroeinheiten auch mietergerecht ausgebaut und benutzbar sind. Vielmehr reicht es aus, wenn neben der Fertigstellung der für das Gebäude wesentlichen Bestandteile (z.B. Außenwände, Fenster, tragende Innenwände, Estrichböden, Dach, Treppenhaus) zumindest eineBüroeinheit benutzbar ist. Die Benutzbarkeit liegt vor, wenn die Büroeinheit durch Wände bzw. eingebaute Türen gegenüber dem noch nicht vermieteten Bereich abgegrenzt ist, die Innenwände eingebaut und Heizung, Sanitäreinrichtungen sowie alle notwendigen Grundleitungen für Wasser, Strom, Be- und Entlüftung, Kommunikationsanlagen usw. installiert sind.

4. Diese Bestimmung des Zeitpunkts der Bezugsfertigkeit entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung zu dem mit § 145 Abs. 1 Satz 3 wortgleichen, für die Erbschaftsteuer für Stichtage ab 1.1.2009 anzuwendenden § 178 Abs. 1 Satz 3 BewG (vgl. R B 178 Abs. 3 Satz 5 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011). Mit dieser Festlegung des Zeitpunkts der Bezugsfertigkeit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Wertminderung des Gebäudes schon mit der Abnutzung der bereits fertiggestellten wesentlichen Gebäudebestandteile – und damit mit der Fertigstellung der ersten Büroeinheit – einsetzt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.4.2012 – II R 58/10

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