OFD Niedersachsen, 24.11.2010, S 0151 - 7 - St 141

 

1. Doppelzuständigkeit

Die Bestellung eines Betreuers führt, sofern der Betreute nicht geschäftsunfähig oder nur beschränkt geschäftsfähig ist, auch im Aufgabenkreis des Betreuers (z.B. Vermögenssorge, Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten) nicht zur Geschäftsunfähigkeit nach § 104 BGB bzw. im Besteuerungsverfahren zur Handlungsunfähigkeit i.S. von § 79 AO des Betreuten. Innerhalb des Wirkungskreises ist der Betreuer gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB; BFH-Beschlüsse vom 29.3.2006, III R 37/03, BFH/NV 2006 S. 1325 ; vom 14.12.2004, IV B 130/04, BFH/NV 2005 S. 574) mit der Folge des Zustandekommens einer Doppelzuständigkeit von Betreuer und Betreutem (Drüen in Tipke/Kruse, § 79 AO Rz. 21; Erman/Holzhauer, BGB, 11. Aufl., § 1902 Rz. 18), die im Verwaltungsverfahren und im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 79 Abs. 3 AO i.V.m. § 53 ZPO zu lösen ist (BFH-Beschlüsse vom 24.10.1995, III B 171/93, BFH/NV 1996 S. 289; vom 10.5.2007, VIII B 125/06, BFH/NV 2007 S. 1630, m.w.N.; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 79 AO Rz. 21; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79 AO Rz. 68).

§ 53 ZPO betrifft den Fall, dass der Betreuer im Besteuerungsverfahren für den Betreuten handelt. Ausnahmsweise verliert der Betreute seine Handlungsfähigkeit für das Besteuerungsverfahren, wenn der Betreuer tatsächlich handelt. Hierfür ist der Zeitpunkt maßgebend, von dem an der Betreuer handelt (Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., Rz. 31 unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 24.10.1995, III B 171/93, a.a.O.). 4 Soweit die Verfahrenshandlung des Betreuers im Widerspruch zu derjenigen des Betreuten steht, ist nur die Handlung des Betreuers wirksam (BFH-Beschlüsse vom 24.10.1995, III B 171/93, a.a.O.; vom 10.5.2007, VIII B 125/06, a.a.O.).

Als gesetzlicher Vertreter hat der Betreuer innerhalb seines ihm übertragenen Wirkungskreises – der ggf. zu klären ist – die steuerlichen Pflichten des Betreuten wahrzunehmen (§ 34 Abs. 1 AO; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 79 AO Rz. 21; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 34 AO Rz. 5). Dazu gehört die Abgabe einer Steuererklärung. Im Falle einer Doppelzuständigkeit im vorgenannten Sinne könnte das FA sowohl gegen den Betreuer als auch gegen die betreute Person Zwangsmaßnahmen ergreifen.

 

2. Ausnahme von der Doppelzuständigkeit

Eine (weitere) Ausnahme von der Doppelzuständigkeit kann sich aus einem Einwilligungsvorbehalt ergeben. § 79 Abs. 2 AO erkennt den Vorrang des Einwilligungsvorbehalts (§ 1903 BGB) an, um widersprechende Verfahrenshandlungen zu vermeiden. Der Betreute wird dadurch zum nur partiell Handlungsfähigen. Wird eine Verfahrenshandlung ohne Einwilligung vorgenommen, so bleibt sie bis zur Genehmigung durch den Betreuer unwirksam (BFH-Urteil vom 18.6.2007, II B 26/07, BFH/NV 2007 S. 1911).

Besteht nach dem Betreuerausweis beispielsweise ein Einwilligungsvorbehalt für die Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten, kann der Betreute wirksam keine Steuererklärung abgeben, von ihm also die Abgabe einer Steuererklärung auch nicht erzwungen werden.

 

3. Vertreter gem. § 81 Abs. 1 Nr. 4 AO

Der nach § 81 Abs. 1 Nr. 4 AO bestellte Vertreter ist kein Betreuer. Nur die Vorschriften über die Betreuung sind entsprechend anwendbar (§ 81 Abs. 4 AO). Ist eine Vermögenssorge angeordnet und wird der Betreuer deshalb auch im Besteuerungsverfahren tätig, sind in der Praxis kaum Fälle denkbar, in denen für einen unter Betreuung stehenden volljährigen Steuerpflichtigen ein Vertreter nach § 81 Abs. 1 Nr. 4 AO bestellt werden müsste (wegen weiterer Einzelheiten zum Vertreter nach § 81 AO vgl. AO-StB 5/2010 S. 150 ff.).

 

4. Bekanntgabe von Verwaltungsakten

Zustellungen sind an den bestellten Betreuer vorzunehmen, soweit der Aufgabenkreis des Betreuers reicht (§ 6 Abs. 1 Satz 2 VwZG). Gehört die Erfüllung steuerlicher Pflichten zum Aufgabenkreis des Betreuers, so ist dieser auch Zustellungsempfänger für Steuerbescheide. Die Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 2 VwZG ist entsprechend auf einfache Bekanntgaben nach § 122 Abs. 1 AO anzuwenden (BFH-Beschluss vom 10.5.2007, VIII B 125/06, BFH/NV 2007 S. 1630). Das Erfordernis der Bekanntgabe an den Betreuer gilt unabhängig davon, ob das FA bei Absendung des Bescheides von der Betreuung wusste oder nicht (Niedersächsisches FG, Beschluss vom 11.2.2002, 2 S 11/00, EFG 2002 S. 1566).

 

Normenkette

AO 1977 § 79

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