Rz. 33

Die letzte Aufgabe, die dem Standardsetzer übertragen wird, besteht in der Erarbeitung von Interpretationen der IFRS. Diese Aufgabe war im Aufgabenkatalog nach KonTraG 1998 nicht enthalten und erfolgte erst mit Verabschiedung des BilMoG im Jahr 2009. In der Zwischenzeit hatte das DRSC bereits das Rechnungslegungs Interpretations Committee (RIC) ins Leben gerufen, um ein Gegenstück zum IFRS Interpretations Committee (IFRS IC; seinerzeit International Financial Reporting Interpretations Committee, IFRIC) zu schaffen und dieses mit der Anwendung und Auslegung der internationalen Standards vor dem Hintergrund des deutschen Rechtsumfelds zu befassen.[1] Die gesetzliche Verankerung dieser seit 2004 wahrgenommenen Aufgabe stellt eine formelle Anerkennung der Aufgabe und eine Legimitation im Nachhinein dar. Ungeachtet der Erweiterung des gesetzlichen Auftrags fand diese keine ausdrückliche Rezeption als Aufgabe im Standardisierungsvertrag von 2011; allerdings wurden Interpretationen in der Weise einbezogen, dass ihre Entwicklung demselben Konsultationsverfahren zu folgen habe, wie es für die Entwicklung von Standards gelte,[2] und dass die Auslegungen nicht im Widerspruch zu Rechtsvorschriften stehen dürften.[3]

 

Rz. 34

Die Bestimmung im Standardisierungsvertrag, wonach Interpretationen nicht im Widerspruch zu Rechtsvorschriften stehen dürften, ist inhaltlich unscharf, weil nicht klar wird, um welche Rechtsvorschriften und welches Rechtsregime es sich handeln soll. Die Regelung bezog sich im ursprünglichen Standardisierungsvertrag (ausschl.) auf die Entwicklung von Standards – deren Entwicklung sollte nicht gegen das Gesetz erfolgen, eine sinnvolle Weiterentwicklung der GoB dadurch gleichwohl nicht ausgeschlossen sein. Die Vorschrift bezieht sich damit eindeutig auf das deutsche Bilanzrecht. Das Nachsetzen des dritten Satzes im Standardisierungsvertrag von 2011, wonach "Satz 1 [..] für Interpretationen entsprechend" gelte, führt zu einem seltsamen Bezug, sollen doch internationale Standards ausgelegt werden, die keine originäre Verbindung mit dem deutschen Bilanzrecht aufweisen. Sachlogisch kann es bei diesem Bezug also nur um die IFRS gehen: Nationale Interpretationen internationaler Standards dürfen nicht gegen das Regelwerk des IASB, einschl. der Interpretationsarbeit des eigentlich für diese Aufgabe berufenen IFRS IC, verstoßen. Darauf deutet auch die Regierungsbegründung zum BilMoG hin, in der zunächst unmissverständlich darauf hingewiesen wird, dass die Interpretation der IFRS Aufgabe des Interpretationsgremiums des IASB sei, gleichwohl interpretationsrelevante Themen existierten, derer sich dieses nicht annehme(n könne). Darunterfallend werden Fragestellungen gewertet, denen lediglich nationale Bedeutung zukomme und die infolge unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen nicht in allgemein verbindlicher Weise ausgelegt werden könnten; beispielhaft werden insolvenz-, steuer- und arbeitsrechtliche Fragen genannt.[4]

 

Rz. 35

Die Übertragung der Interpretationshoheit für originär deutsche Sachverhalte, deren Abbildung nach IFRS zu würdigen ist, stellt eine vom Gesetzgeber gewollte Begrenzung der Tätigkeit dar.[5] So nachvollziehbar sie klingen mag: sie ist praktisch kaum umsetzbar, weil die Beweislast dafür, ob und dass ein Sachverhalt nur in Deutschland auftritt, vermutlich beim nationalen Standardsetzer liegt. Da die IFRS mittlerweile weltweit verbreitet sind, wäre es nicht ungewöhnlich, wenn in anderen Staaten dieselbe Frage auftauchte. Hinzu kommt, dass sich der Wirkungsbereich einer Interpretation nicht auf ein Rechtsgebiet beschränken lässt, weil viele Konzerne weltweit tätig sind. Damit stellt sich das Problem der Festlegung des sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs einer Interpretation: Gilt sie für alle Unt, die im deutschen Rechtsgebiet tätig sind, ungeachtet der Tatsache, wo sie ansässig sind? Gilt sie für sämtliche Geschäfte eines Konzerns oder nur für jene, die in Deutschland getätigt werden? An Fragen wie diesen wird deutlich, dass es genuin nationale Interpretationen nicht geben kann.[6] Schon das RIC hatte diese Problematik gesehen und sich mit nationalen Auslegungen aus diesem Grund sehr zurückgehalten: In den knapp acht Jahren seiner Existenz hatte es gerade einmal drei Interpretationen und drei Anwendungshinweise veröffentlicht.[7] Stattdessen hat das Komitee von Beginn an die Zusammenarbeit mit dem IFRS IC gesucht[8] und diesem nicht zuletzt bei der Entwicklung von IFRIC 6 zu "Rückstellungspflichten aus der Teilnahme an bestimmten Märkten – Elektro- und Elektronik-Altgeräte" maßgeblich zugearbeitet.[9] Aus dieser Interpretationstätigkeit, die ausweislich des Titels nur das Teilgebiet der Altgeräte umfasst, hat das RIC zudem die Thematik ganzheitlich aufgearbeitet und als RIC 2 veröffentlicht und in ihr auch die internationale Interpretation gleichlautend rezipiert.

 

Rz. 36

Die Entwicklung nationaler Auslegungen der internationalen Standards wird vom IASB mit Argwohn betrachtet. ...

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