Rz. 61

Der Wertansatz von Rückstellungen ist zu jedem Abschlussstichtag zu überprüfen. Fraglich ist, inwieweit das Höchstwertprinzip die Anpassung des ursprünglich angesetzten Betrags an zwischenzeitlich eingetretene Entwicklungen oder neu gewonnene Erkenntnisse begrenzt. Hält man dieses Prinzip auf Rückstellungen für anwendbar, sind Rückstellungen mit ihrem Zugangswert oder dem höheren Abschlussstichtagswert zu passivieren.[1] Dies gilt jedenfalls solange, wie eine Wiederkehr der den Zugangswert der Schuld bestimmenden Faktoren bis zum Zeitpunkt ihrer Erfüllung möglich ist. Eine Teilauflösung von Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen wegen gesunkener Lohn- oder Materialkosten kommt nach dieser Auffassung nicht in Betracht, wenn ein erneuter Preisanstieg bis zum Zeitpunkt der Erfüllung denkbar erscheint. Entsprechendes gilt für ungewisse Verpflichtungen, die in fremder Währung zu erfüllen sind. Auch ihr Wertansatz ist nach dem Höchstwertprinzip wegen eines im Vergleich zum Zeitpunkt ihrer Ersterfassung gesunkenen Fremdwährungskurses nicht zu reduzieren.

 

Rz. 62

Den Gesetzesmaterialien ist keine klare Antwort auf diese Auslegungsfrage zu entnehmen. Zur Umrechnung von Fremdwährungsgeschäften heißt es in der Begründung zum BilMoG, Rückstellungen seien "an jedem Abschlussstichtag neu zu bewerten bzw. zu ermitteln und zum dann gültigen Devisenkassakurs umzurechnen. Die Restriktionen des § 252 Abs. 1 Nr. 4 und des § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB gelten hier nicht".[2] Diese Formulierung deutet auf die Unbeachtlichkeit des Höchstwertprinzips für Rückstellungen hin. Dagegen scheinen die Ausführungen zum Diskontierungszins zu sprechen. Hier heißt es, "die Anwendung eines unternehmensindividuellen Zinssatzes würde bei sinkender Bonität des Unternehmens zu einem steigenden Abzinsungszinssatz und infolgedessen zu einer erfolgswirksam zu berücksichtigenden Verminderung des zurückgestellten Betrags führen". Das sei "mit dem Vorsichts- und Höchstwertprinzip nicht zu vereinbaren".[3]

 

Rz. 63

Auch die Gesetz gewordene Abzinsungsregelung kann in Zeiten steigender Zinsen zu einer Teilauflösung in der Vergangenheit gebildeter Rückstellungen führen. Da der Gesetzgeber das in Kauf nimmt, scheint er seine Bedenken gegen eine vorbehaltlose Stichtagsbewertung aufgegeben zu haben. Ermittelt sich als Folge von Preis-, Zins- oder Währungsänderungen bzw. aufgrund eines geänderten Mengengerüsts der Verpflichtung ein niedrigerer Erfüllungsbetrag für eine ungewisse Verbindlichkeit, ist mithin eine Anpassung der Rückstellung ohne Rücksicht auf das Höchstwertprinzip veranlasst.[4]

Die aufgrund mehrerer BFH-Urteile[5] geführte steuerliche Diskussion für sog. angeschaffte Verbindlichkeitsrückstellungen wirft aus handelsrechtlicher Sicht die Frage auf, ob das Höchstwertprinzip auch nicht gelten soll, wenn sich der Zugangswert einer Rückstellung aus einer Transaktion mit Dritten ableitet. Sie wird insb. relevant, wenn ein Bilanzierender von einem anderen eine passivierungspflichtige ungewisse Verbindlichkeit übernimmt und dafür ein den notwendigen Erfüllungsbetrag nach § 253 Abs. 2 HGB übersteigendes Entgelt erhält. Ohne Höchstwertprinzip wäre die mit ihren "Anschaffungskosten" eingebuchte Rückstellung bei unveränderter Datenlage zum nächsten Abschlussstichtag mit dem niedrigeren Wert nach § 253 Abs. 2 HGB anzusetzen und damit tw. aufzulösen.

Diese Verfahrensweise ist insb. bedenklich, wenn die gesetzliche Bewertungsanweisung den sich im Transaktionspreis widerspiegelnden Marktwert der Verpflichtung verfehlt, weil – wie in der gegenwärtigen Situation zu beobachten – für die Barwertermittlung nach § 253 Abs. 2 HGB überhöhte historische Zinssätze zur Anwendung kommen. Unter diesen Vorzeichen führt die Teilauflösung der Rückstellung nicht nur zum Ausweis eines unrealisierten Gewinns, sondern zur Erfassung einer Vermögensmehrung, die sich voraussichtlich niemals einstellen wird. Näher liegt in diesem Fall, mit dem BFH zu argumentieren, die Verpflichtung habe sich i. H. d. für ihre Übernahme erlangten Gegenleistung manifestiert. Danach ist an der erfolgsneutralen Behandlung des Anschaffungsvorgangs so lange festzuhalten, bis sich ein etwaiger "Erwerbergewinn" verwirklicht hat.[6] Davon ist auszugehen, wenn die ungewisse Verpflichtung ganz oder tw. wegfällt. Sieht man von dieser Möglichkeit ab, ist ein Ertrag aus der Auflösung der Rückstellung nur in dem Maße zu vereinnahmen, wie sich im Zuge der Erfüllung der Verpflichtung niedrigere Aufwendungen ergeben. Mit dem Realisations- und Vorsichtsprinzip nicht zu vereinbaren ist dagegen, die Rückstellung mit Blick auf die vom Schuldner noch zu erbringenden Leistungen ertragswirksam aufzulösen. Dagegen spricht schon das insoweit fortbestehende Erfüllungsrisiko.

 

Rz. 64

Denkbar ist auch der umgekehrte Fall, in dem der Erfüllungsbetrag nach § 253 HGB niedriger als der erhaltene Kaufpreis ist. Ein solcher Sachverhalt kann bspw. auftreten, wenn mit der Übernahme einer Rekultivierungsverpflichtung zugleich (unrealisier...

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