"Grundsätze ordnungsgemäßer Planung" (GOP) fordern eine Risikoaggregation

Viele Unternehmen, die (oft erst vor relativ kurzer Zeit) Risikoaggregationsverfahren eingeführt haben, beschränken sich auf eine Aggregation der Risiken des nächsten Planjahres. Dass dies unzureichend ist, stellt der IDW Prüfungsstandard 340 klar (s. Zitat oben). Auch die "Grundsätze ordnungsgemäßer Planung" fordern eine Risikoaggregation, um die Planungssicherheit anzugeben, und gehen von mindestens 3 Planjahren aus. Es ist wesentlich, dass die Aggregation von Risiken über die Zeit nicht etwa bedeutet eine Risikoaggregation z. B. einfach separat in den nächsten 3 Jahren durchzuführen. Die Aggregation über die Zeit erfordert ein integriertes Planungsmodell mit intertemporalen Verknüpfungen, um

  • die Auswirkungen in einem Jahr t eingetretener Planabweichungen auch für das Folgejahr t+1 darzustellen und
  • die zeitliche Entwicklung der Risiken selbst zu erfassen.

Die Notwendigkeit der Aggregation der Risiken (im integrierten Planungsmodell) auch über mehrere Jahre hinweg lässt sich leicht erkennen. Schwerwiegende Krisen, "bestandsbedrohende Entwicklungen" oder gar Insolvenzen entstehen nämlich meist nicht schon, wenn Risiken in einem einzelnen Jahr schwerwiegende negative Planabweichungen (Verluste) auslösen. I. d. R. ist das Risikodeckungspotenzial (Eigenkapital und Liquiditätsreserven) ausreichend, um ein sich dadurch ergebendes "temporäres Stressszenario" zu überleben. Die Realisierung risikobedingter Verluste z. B. im Geschäftsjahr 01 führt aber dazu, dass sich das Risikodeckungspotenzial für das folgende Geschäftsjahr 02 vermindert.

Abb. 2: Risikodeckungspotenzial und Risikotragfähigkeit (eigene Darstellung)

Die Verluste reduzieren das Eigenkapital und vorhandene Liquiditätsreserven werden abgebaut. Noch gravierender ist meist, dass mit der Reduzierung der Ertragskraft in einem Jahr und der damit einhergehenden Verschlechterung des Ratings auch der Kreditrahmen des Folgejahres reduziert wird. Eingetretene Risiken führen damit potenziell nicht nur zu einem höheren Liquiditätsbedarf, sondern zugleich auch zu einer Abnahme der verfügbaren Liquiditätsreserve (einem Refinanzierungsrisiko)[1]. Bestandsbedrohende Entwicklungen und Insolvenzen sind in einer überwiegenden Anzahl der Fälle auf Illiquidität[2] zurückzuführen und diese tritt oft gerade dann ein, wenn bestehende Kreditlinien reduziert oder gekündigt werden – oder Kredite oder emittierte Anleihen refinanziert werden müssen. Zu beachten ist zudem, dass mit einer Reduzierung der Eigenkapitalquote und der Rentabilität des Unternehmens es auch zu einem Anstieg der durch das Rating ausgedrückten Insolvenzwahrscheinlichkeit kommt, die die Banken wahrnehmen.[3] Ein damit einhergehender Anstieg der Fremdkapitalzinssätze (bei oft zugleich erhöhten Fremdkapitalbestand) führt zu einem überproportionalen Anstieg des Zinsaufwands im Folgejahr, was die Ertragskraft weiter schwächt und das Entstehen "bestandsbedrohender Entwicklungen" begünstigt.[4]

Ergänzend zum beschriebenen Effekt der Reduzierung der Risikotragfähigkeit ist der Sachverhalt zu beachten, dass viele Risiken selbst "intertemporale Abhängigkeiten" aufweisen, d. h. die Wahrscheinlichkeit und die Höhe der Risikoauswirkungen in einem Jahr t beeinflusst die Risikohöhe im Folgejahr (t+1). Wenn bspw. Wechselkursrisiken im Geschäftsjahr 01 zu negativen Planabweichungen geführt haben, ist das eingetretene, ungünstige Niveau dieses Wechselkurses am Ende 01 gerade der Startpunkt für das Geschäftsjahr 02. Bezogen auf die ursprüngliche Planung (z. B. am Anfang 01) startet man also in 02 schon mit ungünstigeren Voraussetzungen. Die Bandbreite der unsicheren Entwicklung dieses exogenen Risikofaktors nimmt mit der Zeit zu. Für die adäquate Abbildung des zeitlichen Verlaufs von Risiken benötigt man sog. "stochastische Prozesse"[5], die man sich als "mehrperiodige Wahrscheinlichkeitsverteilungen" vorstellen kann.

Der einfachste dieser Prozesse ist der bekannte "Random Walk".[6]

Wie auch intuitiv zu erwarten, steigt der Risikoumfang bei vielen Risiken mit der Zeit an. Die nähere Zukunft ist besser prognostizierbar als die fernere Entwicklung. Auch hier wird also deutlich, dass man sich bei der Risikoquantifizierung auch über den zeitlichen Verlauf von Risiken Gedanken machen sollte.

[1] S. Gleißner, 2017a.
[2] Vgl. Nickert/Lamberti, 2011 zu Insolvenzen.
[3] S. Gleißner/Füser, 2014 zu den entsprechenden Modellen.
[4] Um diesem Sachverhalt im Rahmen der Unternehmensplanung gerecht zu werden, fordern entsprechend die "Grundsätze ordnungsgemäßer Planung" Ratingprognosen und zum prognostizierten Rating konsistente Annahmen über die Entwicklung der zukünftigen Fremdkapitalzinssätze (unsicheren) und des davon abhängigen Zinsaufwands.
[5] Vgl. z. B. Schlittgen/Streitberg, 2001.
[6] S. Steinke/Löhr, 2014 zur Nutzung stochastischer Prozesse bei der Lufthansa AG.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge