Rz. 10

Die handelsrechtlichen Rechnungslegungspflichten der ausländischen Tochter(kapital)gesellschaft (Auslandskapitalgesellschaft) wird nach den Maßstäben des internationalen Gesellschaftsrechts beurteilt, das seiner Natur nach nationales Recht ist. Grundsätzlich folgt die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts und des anwendbaren Gesellschaftsrechts zwei gegensätzlichen (kollisionsrechtlichen) Theorien: nach der Sitztheorie unterliegt eine Gesellschaft derjenigen Rechtsordnung, die am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt; die Gründungstheorie hingegen bestimmt sich die Rechtsordnung nach dem Ort der Gründung, sodass dieses Gesellschaftsrecht auch nach Sitzverlegung anzuwenden ist. In Deutschland existiert allerdings bis heute kein kodifiziertes internationales Gesellschaftsrecht, so dass die Regeln durch die Rechtsprechung gesetzt werden. Danach folgt Deutschland traditionell und (bei dem betrachteten Outbound-Sachverhalt auch weiterhin) der Sitztheorie; Verwaltungssitz wird definiert als der Ort, an dem die Geschäftsführungsorgane tätig sind und die grundlegenden Entscheidungen effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden;[1] allerdings können Abweichungen bi- oder multilateral vereinbart sein.[2] Bei der (modellhaft) betrachteten grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit ist davon auszugehen, dass der Verwaltungssitz der ausländischen Tochter(kapital)gesellschaft auch im Ausland liegt, so dass aus deutscher Sicht keine (international) gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungspunkte bestehen, aus denen handelsrechtliche Rechnungslegungspflichten in Deutschland abgeleitet werden könnten.

 

Rz. 11

Allerdings existieren keine allgemeinen handelsrechtlichen Kollisionsregeln, sondern teilweise auch spezielle Kollisionsnormen für handelsrechtliche Einzelfragen; so unterliegen Rechnungslegung (und Abschlussprüfung) dem Recht des Ortes, an dem die Gesellschaft ihren Sitz hat.

[3] Für die ausländische Tochter(kapital)gesellschaft (mit Sitz im Ausland) resultiert demnach eine handelsrechtliche Rechnungslegungspflicht im Ausland bzw. keine Rechnungslegungspflicht in Deutschland.

Auch konkret aus dem deutschen HGB lässt sich keine deutsche Rechnungslegungspflicht für die ausländische Tochter(kapital)gesellschaft ableiten: Während der sachliche – Kaufmannseigenschaft der Auslandsgesellschaft vorausgesetzt – und der zeitliche Geltungsbereich zutreffen (könnten), scheidet eine Anwendung des deutschen HGB auf die ausländische Gesellschaft aus, da weder der persönliche noch der räumliche Geltungsbereich des deutschen HGB von der Auslandsgesellschaft tangiert wird; so ist die ausländische Gesellschaft kein Kaufmann und keine Handelsgesellschaft i. S. d. §§ 1 bis 7 HGB,[4] zudem hat sie auch keinen (Verwaltungs-)Sitz, also den Ort, an dem die Geschäftsführungsorgane tätig sind,[5] im Hoheitsgebiet Deutschlands.

[1] Vgl. Teichmann, in Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (EnzEuR Bd. 6), 2022, § 6 Rz. 9 f.
[2] Vgl. zum Gesellschaftsstatut und zur Anerkennung konkret einer ausländischen GmbH Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 4. Aufl. 2022, § 1 Rz. 1 ff.
[3] Vgl. Merkt, in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 41. Aufl. 2022, Einleitung vor § 1 Rz. 31 und 35 sowie Einleitung vor § 238 Rz. 47.
[4] Vgl. zur (nicht kollisionsrechtlichen) Auslegung der Kaufmannseigenschaft ausländischer Gebilde Kindler, in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 2020, Vorb §§ 1–7 Rz. 115 ff.
[5] Vgl. Teichmann, in Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (EnzEuR Bd. 6), 2022, § 6 Rz. 9 f.

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