Leitsatz

Vorab entstandene Werbungskosten können auch bei einer erstmaligen Berufsausbildung anzuerkennen sein (Anschluss an BFH, Urteil vom 4.12.2002, VI R 120/01, BStBl II 2003, 403).

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG , § 12 Nr.1 EStG

 

Sachverhalt

Der im Streitjahr (1995) 26 Jahre alte Kläger ließ sich ab 1995 – nach dem Abbruch eines Maschinenbaustudiums – bei einer Fluggesellschaft zum Piloten ausbilden. Die Kosten für die Ausbildung i.H.v. ca. 16.000 DM hatte er selbst zu tragen. Nach dem Schulungsabschluss stellte ihn die Fluggesellschaft als Piloten ein.

Da der Kläger im Streitjahr keine Einnahmen erzielt hatte, beantragte er, den verbleibenden Verlustabzug zur ESt zum 31.12.1995 festzustellen. Diesen Antrag lehnte das FA mit der Begründung ab, ein verbleibender Verlust i.S.d. § 10 d Abs. 3 EStG sei – da Berufsausbildungskosten i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG vorlägen – nicht entstanden. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Auch eine erstmalige Berufsausbildung könne zu Erwerbsaufwendungen in Form von (vorab entstandenen) Werbungskosten führen. Die Schulungskosten des Klägers zum Verkehrsflugzeugführer seien hinreichend erwerbsbezogen. Das FG habe die erforderlichen Feststellungen zu den einzelnen Bildungsaufwendungen nachzuholen.

 

Hinweis

1. In zwei Grundsatzentscheidungen (Urteile vom 4.12.2002, VI R 120/01, BFH-PR 2003, 97 [Umschulung] und vom 17.12.2002, VI R 137/01, BFH-PR 2003, 98 [berufsbegleitendes erstmaliges Hochschulstudium] hat der BFH nach massiver Kritik in der Literatur und der Finanzgerichte seine Rechtsprechung zu § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG aufgegeben. Auf die ausführlichen Urteilsbesprechungen wird hingewiesen. Die bisherigen, in Jahrzehnten gewachsenen Differenzierungen waren nur noch schwer nachzuvollziehen. Die Finanzverwaltung ist offenbar bereit, die o.a. Rechtsprechungsänderung im Kern zu akzeptieren (vgl. OFD Koblenz, Verfügung vom 8.4.2003, DStR 2003, 1074).

Bisher zählten alle Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger für die Ausbildung zu einem künftigen (erstmaligen oder neuen) Beruf machte, nur zu den beschränkt abzugsfähigen Ausbildungskosten i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Sie gehörten nach ständiger Rechtsprechung zu den Kosten der Lebensführung. Gleiches galt bisher für solche Aufwendungen, die dazu dienten, im Weg eines Berufwechsels einen neuen Beruf zu erlernen. Ebenso wurden erstmalige Hochschul- oder Fachschulstudien stets als Ausbildungskosten behandelt.

2. Bei seiner Rechtsprechungsänderung ist der VI. Senat davon ausgegangen, dass die Vermittlung und Verschaffung von beruflichem Wissen nichts mit der privaten Lebensführung des § 12 EStG zu tun hat, sondern auf die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen gerichtet ist. Ausgehend von dem in § 10 Abs. 1 EStG angeführten Werbungskostenvorrang ist nunmehr ausschließlich entscheidend, ob eine Bildungsmaßnahme den Werbungskosten- bzw. den Betriebsausgabenbegriff erfüllt.

3. In Konsequenz der neuen Rechtsprechung führt jede berufliche Umschulungsmaßnahme (auch bei einem Berufswechsel) zum Werbungskostenabzug. Es erübrigt sich die bisher erforderliche Prüfung, ob die berufliche Bildungsmaßnahme innerhalb des bisherigen Berufsbildes zum Aufstieg führt oder zu einem neuen Beruf überleitet (s. BFH-PR 2003, 97). Aufgegeben wurde auch die bisherige Auffassung, dass ein Erststudium nur zu einem beschränkten Sonderausgabenabzug führen kann. Dem Urteil in BFH-PR 2003, 98 zufolge führen Aufwendungen für sämtliche berufsbegleitenden (auch erstmalige) Hochschulstudien – sofern sie beruflich veranlasst sind – zum Werbungskostenabzug. Die bisherigen Hilfskonstruktionen (Zweit- bzw. Aufbaustudien usw.) sind obsolet geworden. Ebenso ist nicht mehr von Belang, ob ein Studium zu einem Berufswechsel geführt hat.

4. Um es nochmals zu betonen: Es kommt nach neuerer Rechtsprechung allein darauf an, ob die getätigten Aufwendungen dazu dienen, Erwerbseinnahmen zu erzielen. Sind Aufwendungen für eine Ausbildung berufsgerichtet, so führt dies zu Werbungskosten (evtl. Betriebsausgaben). Liegen beruflich veranlasste Bildungsmaßnahmen vor, ist kein Raum mehr für eine Zuordnung zu den (nur begrenzt abzugsfähigen) Sonderausgaben.

5. In der Besprechungsentscheidung hat der VI. Senat seine geänderte Rechtsprechung konsequent weiterentwickelt. Auch Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung führen – sofern eine berufliche Veranlassung besteht – zum Werbungskostenabzug. Auch wenn es die Finanzverwaltung nicht wahrhaben wollte: Im Streitfall konnte nach den gegebenen, unten geschilderten Umständen schlechterdings kein Zweifel an der Erwerbsbezogenheit der Aufwendungen bestehen.

6. Von Interesse sind im Streitfall zudem die Ausführungen des BFH dahingehend, dass auch die Regelungen zum Familienleistungsausgleich einen Werbungskostenabzug nicht hindern. Dieser entfällt bei Steuerpflichtigen nicht deswegen, weil Eltern – bei geringen Einkünften und Bezüg...

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