Leitsatz

1. Beantragt das Kind die Auszahlung (Abzweigung) des Kindergelds an sich, weil der Kindergeldberechtigte keinen laufenden Unterhalt zahlt, ist die Abzweigung an das Kind i.d.R. die allein ermessensgerechte Entscheidung.

2. Wird der Kindergeldberechtigte rückwirkend zur Zahlung von Unterhalt an sein Kind verurteilt und beantragt deshalb rückwirkend Kindergeld, ist der rückwirkend gezahlte Unterhalt aber bei der (Ermessens-)Entscheidung über den gleichzeitig gestellten Antrag des Kindes auf Abzweigung zu berücksichtigen.

3. Die Behörde hat eine Ermessensentscheidung im Einspruchsverfahren nicht nur auf Ermessensfehler hin zu überprüfen, sondern bei Änderung der Sach- und Rechtslage im Einspruchsverfahren ggf. eine neue Ermessensentscheidung zu treffen.

 

Normenkette

§ 74 Abs. 1 EStG, § 5, § 367 Abs. 2 AO, § 102 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater der 1984 geborenen Beigeladenen, die bis zum Abitur bei ihrer Mutter wohnte, welche das Kindergeld bezog. Zu Beginn des Jahres 2003 war die Beigeladene nichtselbstständig beschäftigt, danach begann sie ein Studium. Der Kläger zahlte nur in den Monaten Mai bis August 2003 Unterhalt von monatlich 300 EUR. Im Dezember 2004 verurteilte ihn das Amtsgericht, für März bis September 2003 rückständigen Unterhalt von 2 208 EUR und ab Oktober 2003 monatlich 204 EUR zu zahlen. Für Januar und Februar 2003 scheiterte der Unterhaltsanspruch an der Erwerbstätigkeit der Beigeladenen.

Im Januar 2005 beantragte der Kläger rückwirkend die Gewährung von Kindergeld und die Beigeladene, das Kindergeld an sie selbst auszuzahlen. Die Familienkasse setzte im April 2005 Kindergeld ab Januar 2003 fest. Für Mai bis August sei das Kindergeld dem Kläger nachzuzahlen. Für Januar bis April 2003 sowie ab September 2003 sei das Kindergeld an die Beigeladene abzuzweigen, da der Kläger für diese Monate keinen Unterhalt geleistet habe.

Wegen des Einspruchs des Klägers stoppte die Familienkasse ab Juni 2005 die Zahlungen an die Beigeladene. Den Einspruch des Klägers wies sie zurück, weil die nachträgliche Unterhaltsleistung nicht die Nachzahlung von Kindergeld rechtfertige. Das FG gab der Klage statt (FG München, Urteil vom 24.04.2007, 12 K 2543/05, Haufe-Index 2003323, EFG 2008, 1640).

 

Entscheidung

Die Revision war unbegründet, weil die Familienkasse den nachträglich gezahlten Unterhalt bei der Ermessensentscheidung über die Abzweigung des Kindergelds an die Beigeladene zu Unrecht nicht berücksichtigt hat.

 

Hinweis

1. Wenn der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, kann Kindergeld an das Kind selbst ausgezahlt werden (§ 74 Abs. 1 S. 1 EStG). Eine Verletzung der Unterhaltspflicht liegt vor, wenn der Kindergeldberechtigte objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes nicht aufkommt; die Pflichtverletzung muss nicht schuldhaft sein.

2. Bei ihrer Ermessensentscheidung über eine Abzweigung hat die Familienkasse den Zweck des Kindergelds sowie der Abzweigung zu beachten. Da Kindergeld die Eltern wegen ihrer Unterhaltsleistungen steuerlich entlasten soll, sind auch geringe Unterhaltsleistungen in die Entscheidung einzubeziehen. Trägt der Kindergeldberechtigte dagegen überhaupt keine Unterhaltsaufwendungen, ist allein die Auszahlung des Kindergelds an das Kind ermessensgerecht.

3. Die Entscheidung über die Abzweigung hängt bei verspäteter Erfüllung der Unterhaltspflicht davon ab, ob das Kindergeld bereits ausgezahlt wurde, denn danach kann nicht mehr abgezweigt werden. Wird die Unterhaltspflicht laufend verletzt und das Kindergeld daher an das Kind ausgezahlt, so bleibt es dabei.

4. Im Einspruchsverfahren ist bei Änderung der Sach- und Rechtslage eine neue Ermessensentscheidung zu treffen. Beantragt der Kindergeldberechtigte rückwirkend Kindergeld, nachdem er gerichtlich zur Zahlung rückständigen Unterhalts verpflichtet worden ist, und wird das Kindergeld dementsprechend rückwirkend festgesetzt, ist bei der Ermessensentscheidung über den ebenfalls rückwirkend gestellten Abzweigungsantrag auch der nachträglich aufgrund der Verurteilung geleistete Unterhalt zu berücksichtigen. Erhält das Kind rückwirkend Unterhalt, braucht ihm nicht durch Abzweigung ein rascher Zugriff auf das Kindergeld ermöglicht zu werden. Der Unterhaltsverpflichtete erhält daher das noch nicht ausgezahlte Kindergeld, wenn er die rückständigen Unterhaltsleistungen vor der Einspruchsentscheidung erbringt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.08.2010 – III R 16/08

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