Leitsatz

§ 2a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 EStG 1990 ermöglicht den Abzug eines Verlusts, der aus einer gewerblichen Betriebsstätte im Ausland stammt und (u.a.) ausschließlich oder fast ausschließlich die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, soweit diese nicht in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen bestehen, die dem Fremdenverkehr dienen. Der Abzugsausschluss von Verlusten aus Fremdenverkehrsleistungen widerspricht der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 52 und Art. 58 EGV, jetzt Art. 43 und Art. 48 EG, und ist deshalb innerhalb der EU nicht anzuwenden (Anschluss an EuGH-Urteil vom 29.03.2007, Rs. C-347/04"Rewe Zentralfinanz", BStBl II 2007, 492, BFH/PR 2007, 220).

 

Normenkette

§ 2a Abs. 3 S. 1, Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 EStG, Art. 4, Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich 1954, Art. 52, Art. 58 EGV

 

Sachverhalt

Es ging um einen im Inland wohnenden selbstständigen Masseur aus Bayern, der auf einem Dauercampingplatz in Österreich Wohnwagen vermietete. Die Verluste aus der Wohnwagenvermietung wollte er mit seinen Einkünften aus der Masseurtätigkeit verrechnen, was ihm im 1. Anlauf vor dem FG im Kern noch nicht (Haufe-Index 1628019, EFG 2007, 334) …

 

Entscheidung

…, jedoch im 2. Anlauf vor dem BFH denn doch gelang: Die gesetzlichen Beschränkungen in § 2a Abs. 2 S. 1 EStG zulasten von Fremdenverkehrsleistungen seien gemeinschaftsrechtswidrig und deswegen außer Acht zu belassen.

 

Hinweis

1. Das Thema nach der Abzugsfähigkeit von Auslands-Betriebsstättenverlusten ist bekanntermaßen "en vogue". Es ist Gegenstand vielfacher literarischer Bekundungen im Fachschrifttum und ist soeben vom EuGH im Urteil vom 15.05.2008, C-414/06 in der Rechtssache "Lidl Belgium" (in diesem Heft auf S. 302) abschließend behandelt worden, und zwar mit einem für die Steuerpflichtigen wohl weitgehend unerwünschten Ergebnis, nämlich der prinzipiellen Nichtabziehbarkeit von Auslandsbetriebsstättenverlusten.

2. Im Urteilsfall kam es darauf jedoch nicht unmittelbar an. Denn in Deutschland wurden Betriebsstättenverluste aus DBA-Vertragsstaaten bis zum VZ 1998 einem optionalen Steuerabzug mit anschließender Nachversteuerung im Gewinnfall in Gestalt des § 2a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 2 EStG a.F. unterworfen.

Diese Regelung wurde im Grundsatz abgeschafft, u.a. deshalb, weil sie angeblich allzu schwer "administrierbar" war. Lediglich die Nachversteuerung für vorgängige Verlustabzüge blieb und bleibt erhalten, zunächst nur bis zum VZ 2008, seit kurzem jedoch ad infinitum verlängert.

3. Im Urteilsfall war jene Regelung des § 2a Abs. 3 EStG noch vollumfänglich anzuwenden; Streitjahr war 1996.

Das bedeutete aber nicht nur die Möglichkeit des Verlustabzugs, sondern zugleich, dass auch die seinerzeit gleichwohl bestehenden Verlustabzugsbeschränkungen fortbestanden. Das betraf jene, die in § 2a Abs. 2 S. 1 EStG aufgelistet sind, also u.a. negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte im Ausland, die dem Fremdenverkehr dient. Der Gesetzgeber wollte solche Tätigkeiten von der Verlustverrechnungsmöglichkeit des § 2a Abs. 3 EStG a.F. ausnehmen, denen aus seiner Sicht kein erkennbarer Nutzen für die deutsche Volkswirtschaft zukam oder die in nicht unerheblichem Umfang zu unerwünschten Steuersparmöglichkeiten genutzt wurden.

Die Beschränkung für Fremdenverkehrsleistungen gründete also letztlich in der Unterstellung einesVerlustabzugsmissbrauchs.

4. Der BFH erkennt in dieser Beschränkung einen Gemeinschaftsrechtsverstoß:

Weil pauschale, typisierte Missbrauchsvermeidungsregeln europarechtlichen Anforderungen der Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote nicht standhalten, kann auch die besagte Beschränkung zulasten des Fremdenverkehrs nicht aufrechterhalten werden. Sie bleibt wegen des grundsätzlichen Anwendungsvorrangs des EG-Rechts unangewandt. Der Verlustabzug ist auch für Fremdenverkehrsleistungen zu gewähren.

5. Nun ist zwar – siehe oben zum Fall "Lidl Belgium" – mittlerweile ausgemacht, dass das Nachversteuerungsmodell aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht geboten ist. Es bleibt jedoch natürlich unbeschadet dessen – sozusagen als unlaterale, nationale "Wohltat" – zulässig.

Und hat der Gesetzgeber sich, wie seinerzeit in Deutschland, nun einmal für das Nachversteuerungsmodell entschieden, dann muss er das eben aber auch folgerichtig und konsequent in "europarechtsfester" Weise umsetzen, getreu dem Motto: Wer hü sagt, der muss auch hott sagen. Das ergibt sich aus dem gemeinschaftsrechtlichen Konsistenzgebot.

6. Der BFH hat so entschieden, ohne den EuGH anzurufen. Grund dafür ist eine sog. acte claire-Situation:

  • Das Verdikt über die Fremdenverkehrsklausel hatte der EuGH erst kürzlich in der Rechtsache "REWE Zentralfinanz" (Urteil vom 29.03.2007, C-347/04, BStBl II 2007, 492, BFH/PR 2007, 220) zum Ausdruck gebracht.
  • Und das Konsistenzgebot ergibt sich aus anderen vielfältigen Urteilen des EuGH in hinreichender Deutlichkeit.
 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.01.2008, I R 85/06

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