Leitsatz

Der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer Erbengemeinschaft führt nicht zur anteiligen Anschaffung eines zum Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft gehörenden Grundstücks (Änderung der Rechtsprechung sowie entgegen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14.03.2006, BStBl I 2006, 253, Rz 43).

 

Normenkette

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4, Abs. 3, § 6, § 9, § 22 Nr. 2 EStG, § 118 Abs. 2 FGO, § 255 Abs. 1 HGB, § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Erbe mit einem Erbanteil von 52 % nach der im Januar 2015 verstorbenen Erblasserin als Vorerbe. Weitere Erben zu jeweils 24 % und zugleich Nacherben nach dem Kläger wurden die Kinder der Erblasserin.

Im streitgegenständlichen Nachlass befanden sich Grundstücke. Der Kläger und die Kinder wurden im August 2015 als Eigentümer der Grundstücke in das Grundbuch eingetragen.

Im April 2017 übertrugen die Kinder als Nacherben ihr Nacherbenanwartschaftsrecht an dem Erbteil des Klägers mit allen Rechten und Pflichten an diesen zur Alleinberechtigung und übertrugen zugleich ihre Erbanteile entgeltlich an einen Dritten. Nach Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts übertrug der Dritte im Oktober 2017 die von den beiden Kindern erworbenen Erbanteile an den Kläger. Im Februar 2018 veräußerte der Kläger schließlich die Grundstücke.

Das FA kam zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich des Erwerbs der Erbanteile vom Dritten eine anteilige entgeltliche Anschaffung des Grundbesitzes i.H.v. 48 % durch den Kläger vorliege. Da zwischen dem Erwerb der Erbanteile und dem Verkauf des Grundbesitzes nicht mehr als zehn Jahre gelegen hätten, lägen sonstige Einkünfte aufgrund eines privaten Veräußerungsgeschäfts vor.

Die hiergegen erhobene Sprungklage zum FG blieb erfolglos (FG München, Urteil vom 21.7.2021, 1 K 2127/20, Haufe-Index 15404700, EFG 2022, 1907).

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der BFH die Revision zugelassen.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und der Klage stattgegeben.

 

Hinweis

Im Streitfall ging es um die Frage, ob der entgeltliche Erwerb eines Miterbenanteils zu anteiligen Anschaffungskosten für das im Nachlass befindliche Grundstück führt. Das hatte der Senat in seiner Entscheidung (BFH, Urteil vom 20.4.2004, IX R 5/02BStBl II 2004, 987, BFH/NV 2004, 1170, Haufe-Index 1163763) bejaht.

1. Nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 23 EStG sollen innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Wertänderungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der ESt unterworfen werden. Daraus ergibt sich das Erfordernis der Nämlichkeit von angeschafftem und innerhalb der Haltefristen veräußertem Wirtschaftsgut.

Ob und in welchem Umfang Nämlichkeit gegeben ist, richtet sich nach einem wertenden Vergleich von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, wobei die Kriterien Gleichartigkeit, Funktionsgleichheit und Gleichwertigkeit maßgeblich sind.

2. Der BFH hat nun entschieden, dass der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer gesamthänderischen Beteiligung – im Streitfall eine Erbengemeinschaft – nicht zur (anteiligen) Anschaffung der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens führt (gegen das BMF-Schreiben vom 14.3.2006, IV B 2 – S 2242 – 7/06 , BStBl I 2006, 253, Rz. 43).

Der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F. sei zivilrechtlich zu verstehen. Eine gesamthänderische Beteiligung vermittle keinen sachenrechtlich fassbaren Anteil und infolgedessen auch kein Verfügungsrecht des Einzelnen an den Gegenständen des Gesamthandsvermögens.

3. Etwas anderes ergibt sich nach Ansicht des BFH auch nicht aus § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO. Danach werden Wirtschaftsgüter, die mehreren zur gesamten Hand zustehen, den Beteiligten anteilig zugerechnet, soweit eine getrennte Zurechnung für die Besteuerung erforderlich ist. Daran fehlt es jedoch, weil nicht die Gesamthand (Erbengemeinschaft) selbst den Besteuerungstatbestand erfüllt, sondern allenfalls der Kläger als Miterbe.

Es gilt also: § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ist nicht anzuwenden, wenn der Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts deshalb nicht erfüllt ist, weil kein Grundstück, sondern ein Gesellschafts- oder Gemeinschaftsanteil angeschafft worden ist. Seine abweichende Ansicht in der Entscheidung vom 20.4.2004 (BFH, Urteil vom 20.4.2004, IX R 5/02, BStBl II 2004, 987, BFH/NV 2004, 1170, Haufe-Index 1163763) gibt der Senat damit auf.

4. Allerdings ist die Sonderreglung für Beteiligungen an Personengesellschaften zu beachten:

Nach § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG gilt die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter.

Soweit der Grundsatz der Nämlichkeit durch diese Regelung durchbrochen wird, gilt dies nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut nur für Beteiligungen an Personengesellschaften. Eine Erbengemeinschaft ist jedoch keine Personengesellschaft. Mit der Einfügung von § 23 Abs. 1...

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