Eine Verbindlichkeitsrückstellung kann nur gebildet werden, wenn die Inanspruchnahme aus der Verpflichtung auch wahrscheinlich ist, d. h. der Bilanzierende ernsthaft mit der Geltendmachung des Anspruchs rechnen muss.[1]

Nach Auffassung des BFH ist eine Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme gegeben, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag mehr Gründe dafür als dagegen sprechen, dass der Gläubiger seinen Anspruch gegen den Bilanzierenden geltend machen wird.[2] Dieses mehr als "50 %-Kriterium" des BFH wird in der Literatur kritisiert, da relevante Risiken auch bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit vorliegen können.[3]

In Bezug auf öffentlich-rechtliche Verpflichtungen kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Inanspruchnahme des Schuldners wahrscheinlich ist.[4] Es stellt sich daher die (in der Literatur diskutierte) Frage, wann bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen davon ausgegangen werden kann, dass der Gläubiger seinen Anspruch kennt und durchsetzen wird, sodass eine Rückstellungsbildung vorzunehmen ist.

Die Finanzverwaltung fordert in R 5.7 EStR basierend auf der Rechtsprechung, dass die der Rückstellung zugrunde liegende Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist, d. h.

  • es muss ein inhaltlich bestimmtes Handeln durch Gesetz oder Verwaltungsakt innerhalb eines bestimmbaren Zeitraums vorgeschrieben und
  • an die Verletzung der Verpflichtung müssen Sanktionen geknüpft sein.
  • Der BFH fordert in verschiedenen Urteilen, dass die Verpflichtung in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sei.[5]

Ergibt sich eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung nicht unmittelbar aus einem Gesetz, sondern setzt sie den Erlass einer behördlichen Verfügung (Verwaltungsakt) voraus, ist nach R 5.7 EStR eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten erst zu bilden, wenn die zuständige Behörde einen vollziehbaren Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Handeln vorschreibt.

 
Praxis-Beispiel

Voraussetzung für die Rückstellung für die Verpflichtung zur Rücknahme von Elektrogeräten

Eine Rückstellung für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen kann unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Rücknahme von Elektrogeräten gebildet werden. Das entschied der BFH mit Urteil vom 25.1.2017.[6]

Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz verpflichtet Hersteller, entsprechende Geräte zurückzunehmen und zu entsorgen, wenn sie nach dem 13.8.2005 in Verkehr gebracht wurden. So bildete im entschiedenen Fall ein Hersteller von Energiesparlampen Rückstellungen für alle von ihm in Verkehr gebrachten Lampen. Er begründete das mit dem Argument, die Entsorgungsverpflichtung ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz.

Dem widersprach der BFH. Er stellte erneut klar, dass eine entsprechende Rückstellung nur in Betracht kommt, wenn

  • die maßgebliche Verpflichtung inhaltlich hinreichend bestimmt,
  • in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie
  • sanktionsbewehrt ist.

Dabei wird eine öffentlich rechtliche Verpflichtung regelmäßig durch einen Rechtsakt, etwa einen Verwaltungsakt, eine Verfügung oder durch den Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung konkretisiert.

Nichts anderes gilt laut BFH auch für die Entsorgungsverpflichtung nach dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz. Danach müssen sich die Gerätehersteller bei einer gemeinsamen Stelle registrieren und dort die in Verkehr gebrachten Geräte melden. Die gemeinsame Stelle ermittelt sodann den Umfang der Entsorgungspflichten, erlässt entsprechende Abholanordnungen und koordiniert die Bereitstellung von Sammelbehältern sowie die Abholung der Geräte.

Das bedeutet: Die Abhol- und Entsorgungsverpflichtung nach dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz wird erst durch den Erlass einer zusätzlichen Abholverfügung konkretisiert. Weil es hieran fehlte, lehnte der BFH im Streitfall die Bildung einer Rückstellung ab.

 
Praxis-Beispiel

Behandlung von öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen nach dem Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten – Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) nach dem BMF-Schreiben vom 11.5.2010

Nach § 4 Abs. 3 BBodSchG sind der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück verpflichtet, den Boden und Altlasten sowie durch schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten verursachte Verunreinigungen von Gewässern so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erheblichen Nachteile oder Belästigungen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen.

Nach dem BMF-Schreiben vom 11.5.2010[7] ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten erst zu bilden, wenn die zuständige Behörde einen vollziehbaren Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmbaren Zeitraums vorschreibt.

Denn aus der allgemeinen Grundpflicht zur Beseitigung von Altlasten nach dem BBodSchG ergibt sich kein inhaltlich bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmbaren Zeitraums. D...

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