Gem. R 6.11 Abs. 3 EStR darf die Höhe einer Rückstellung in der Steuerbilanz den zulässigen Wertansatz in der Handelsbilanz nicht überschreiten (Ausnahme: Pensionsrückstellungen). Mit Urteil v. 20.10.2019 hat der XI. Senat des BFH (BFH, Urteil v. 20.10.2019, XI R 46/17, BStBl 2020 II S. 195) diese (umstrittene) Auffassung der Finanzverwaltung bestätigt. Mithin bildet der Handelsbilanzwert einer Rückstellung die Obergrenze für die Bewertung der Rückstellung in der Steuerbilanz, auch wenn der steuerrechtliche den handelsrechtlichen Rückstellungsbetrag überschreitet. Diese Sichtweise fußt auf der Formulierung "höchstens" im Einleitungssatz zu § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG.

Gegenstand des Streifalls war eine Ansammlungsrückstellung, deren handelsrechtlicher Erfüllungsbetrag niedriger als der steuerrechtliche Wertansatz war, da für die Abzinsung von Sachleistungsverpflichtungen in der Steuerbilanz nur der (kürzere) Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllungshandlungen maßgeblich ist.

Beim IV. Senat des BFH ist derzeit ein Revisionsverfahren (IV R 24/19) zu einer ähnlichen Rechtsfrage anhängig. Auch in diesem Streitfall ist das unterschiedliche Abzinsungsregime einer (Deponie-)Rückstellung für die Bewertungsunterschiede der Rückstellung in Handels- und Steuerbilanz ursächlich. Hinzu kommt im Streitfall, dass der tatsächlich höhere Rückstellungswert in der Handelsbilanz nur aus der Inanspruchnahme des Beibehaltungswahlrechts nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB resultiert. Nach dieser durch das BilMoG eröffneten Übergangsregelung darf eine Rückstellung, die bei erstmaliger Anwendung des BilMoG auf einen niedrigeren Wert abzuzinsen wäre, mit ihrem höheren Wert beibehalten werden, wenn der höhere Wert der Rückstellung bis zum 31.12.2024 wieder erreicht wird. Bei Verzicht auf die Inanspruchnahme des Bewertungswahlrechts wäre der Wertansatz der Rückstellung in der Handelsbilanz im Streitfall dagegen niedriger als in der Steuerbilanz.

 
Praxis-Beispiel

Vor BilMoG ist eine Rückstellung für eine Sachleistungsverpflichtung in der Handelsbilanz mit 200 TEUR bewertet (Abzinsungsverbot). Bei erstmaliger Anwendung des BilMoG (hier: § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB) ergibt sich ein Erfüllungsbetrag von 180 TEUR (Abzinsungsgebot). Der höhere Rückstellungsbetrag von 200 TEUR wird nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB beibehalten. Der steuerliche Erfüllungsbetrag der Rückstellung (nach Abzinsung) soll 190 TEUR betragen.

Es steht zu erwarten, dass sich der IV. Senat in der Grundsatzfrage (Handelsbilanzwert als Wertobergrenze in der Steuerbilanz) der Rechtsprechung des XI. Senat anschließen wird. Solchenfalls wird der IV. Senat die Klage des Steuerpflichtigen abweisen (müssen), da der für den Vergleich mit dem steuerlichen Wertansatz (im Beispiel: 190 TEUR) maßgebliche handelsrechtliche Wertansatz der Rückstellung niedriger ist (im Beispiel: 180 TEUR) – mit Recht: So ist nicht nur zweifelhaft, ob die Übergangsregelung des Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB (die einen unsteten Erfolgsausweis verhindern soll) einen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) regelt, den der BFH nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG zu respektieren hätte (formelle Maßgeblichkeit). Entscheidend ist vielmehr, dass der höhere Rückstellungswert in der Handelsbilanz aus der Inanspruchnahme eines Bewertungswahlrechts resultiert, das nach dem grundlegenden Beschluss des BFH (BFH, Beschluss v. 3.2.1969, GrS 2/68, BStBl 1969 II S. 291) in der Steuerbilanz zu einem steuerlichen Passivierungsverbot führt. Vor diesem Hintergrund kann der höhere handelsrechtliche Rückstellungswert unter Inanspruchnahme des Beibehaltungswahlrechts für die Steuerbilanz nicht maßgeblich sein.

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