Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerberichtigung, wenn das Entgelt für die während des Bestehens einer Organschaft bezogene Leistung nach Beendigung der Organschaft uneinbringlich wird
Leitsatz (amtlich)
Wird das Entgelt für eine während des Bestehens einer Organschaft bezogene Leistung nach Beendigung der Organschaft uneinbringlich, ist der Vorsteuerabzug nicht gegenüber dem bisherigen Organträger, sondern gegenüber dem im Zeitpunkt des Uneinbringlichwerdens bestehenden Unternehmen --dem früheren Organ-- zu berichtigen.
Normenkette
UStG 1993 § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AO 1977 § 171 Abs. 5, § 174 Abs. 4, § 175 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Bauingenieur selbständig tätig. Er war Begründer des sogenannten … Systems (Kybernetische Organisation, Planung, Führung). Der Kläger hielt die Mehrheitsbeteiligung an der K-GmbH (Holding-GmbH). Die Holding-GmbH hielt zu 100 v.H. die Anteile an der I-GmbH (nachfolgend: I). Demgemäß war der Kläger im Verhältnis zur I Organträger nach § 2 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993. Die I war ihrerseits Komplementärgesellschaft der … GmbH & Co. KG (KG). Ziel der KG war die Errichtung und der Betrieb einer Akademie und eines Hotels nebst Freizeitanlage. Durch Vertrag vom 1. September 1992 übertrug die KG die Leistungen im Zusammenhang mit Planung, Finanzierung und Errichtung des Hotel-Komplexes an die I. Diese vergab die Konzeptions- und Vorbereitungsarbeiten im Zusammenhang mit dem geplanten Hotelneubau mit Vertrag vom 15. September 1992 an die Z-GbR. Mit Abrechnungspapier vom 22. Dezember 1992 stellte die GbR der I erbrachte Konzeptions- und Architektenleistungen im Umfang von 4 745 000 DM zzgl. 14 v.H. Umsatzsteuer (664 300 DM) in Rechnung. Am 28. Dezember 1992 berechnete die I der KG Leistungen im Gesamtumfang von 5 800 000 DM zzgl. 812 000 DM Umsatzsteuer weiter.
Der Kläger versteuerte für das Jahr 1992 als Organträger den o.a. Umsatz der I und machte gleichzeitig den Vorsteuerabzug geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht. Hierüber kam es zu einem Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer 1992 (Az. 5 K 143/97). Dieser Rechtsstreit endete nach mündlicher Verhandlung am 22. August 2002, indem das FA durch Änderung der Steuerfestsetzung 1992 dem Begehren des Klägers nachkam.
Die Organschaft zwischen dem Kläger und der I endete zum 1. Juli 1993 dadurch, dass der Kläger seine Beteiligung an der Holding-GmbH an Herrn Z übertrug.
Das für die Besteuerung der Holding-GmbH örtlich zuständige Finanzamt W führte in der Zeit vom September 2000 bis April 2001 eine Fahndungsprüfung wegen Umsatzsteuer 1996 durch. Es fasste die Feststellungen in einem Prüfungsbericht vom 12. Juni 2001 zusammen. Dieser Bericht wurde dem Kläger noch im Jahr 2001 im Rahmen des o.g. Klageverfahrens 5 K 143/97 bekannt. Nach dem Fahndungsbericht ist ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gegen die I vom Amtsgericht am 9. Dezember 1996 mangels Masse abgewiesen worden.
Der Fahndungsprüfer schloss daraus, dass bei der Umsatzsteuerfestsetzung des Klägers Konsequenzen gemäß § 17 UStG 1993 zu ziehen seien. So sei hinsichtlich der Vorsteuer aus der Rechnung der GbR vom 22. Dezember 1992 eine Vorsteuerberichtigung von 601 668 DM zu Lasten des Klägers vorzunehmen. Unter Berücksichtigung weiterer Änderungen zu Gunsten des Klägers in Höhe von 365 380 DM errechnete sich eine Umsatzsteuernachzahlung von 120 811,68 €.
Die Korrektur des Vorsteuerbetrages ergebe sich jedoch nur unter der Voraussetzung, dass dem Kläger der Vorsteuerabzug ursprünglich in vollem Umfang zustünde. Da hierüber noch der Rechtsstreit 5 K 143/97 anhängig war, wertete das FA den Fahndungsbericht erst nach Abschluss dieses Klageverfahren im Jahre 2002 aus und erteilte am 26. September 2002 einen entsprechenden Änderungsbescheid.
Der Einspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, schon aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 UStG 1993 ergebe sich, dass die Vorsteuerberichtigung denjenigen Unternehmer treffe, der den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe, und das sei der Kläger; dies gelte unabhängig davon, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt noch Unternehmer gewesen sei oder die Organschaft noch bestanden habe. Das FA habe den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1996 am 26. September 2002 noch erlassen dürfen, weil infolge Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei; der Fahndungsbericht vom 12. Juni 2001 sei dem Kläger noch im Jahr 2001 bekannt geworden.
Mit der vom FG zugelassenen Revision trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor: Der geänderte Umsatzsteuerbescheid habe am 26. September 2002 nicht mehr ergehen dürfen, weil mit Ablauf des 31. Dezember 2001 Festsetzungsverjährung eingetreten sei; die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO 1977 könne nicht eingreifen, weil ihm --dem Kläger-- die Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung nicht bekannt waren und diese deshalb im Rechtssinne nicht "beim Steuerpflichtigen" durchgeführt wurden. Das FA habe die Änderung auch nicht --wie in der Revisionserwiderung vorgetragen-- auf § 174 Abs. 4 AO 1977 stützen können, weil der Vorsteuerabzug im Jahr 1992 und die Vorsteuerberichtigung im Jahr 1996 nicht "derselbe Sachverhalt" im Sinne der genannten Vorschrift sei. Darüber hinaus habe das FA die Berichtigung nach § 17 UStG 1993 nicht bei ihm vornehmen dürfen, weil die Organschaft längst vor der Uneinbringlichkeit des Entgelts der zugrunde liegenden Leistungen beendet worden sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG sowie den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1996 vom 26. September 2002 aufzuheben und die Steuer um 120 811,68 € herabzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten und stützt die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1996 hilfsweise auf § 174 Abs. 4 AO 1977.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils des FG sowie der Einspruchsentscheidung des FA vom 12. Januar 2004 und zur Herabsetzung der Umsatzsteuer für 1996 um 120 811,68 € (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger konnte nach Beendigung der Organschaft zum 1. Juli 1993 für später nach § 17 UStG 1993 entstehende Umsatzsteueransprüche gegen die I nicht mehr in Anspruch genommen werden.
1. Ist das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung uneinbringlich geworden, hat nach § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1993 der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug zu berichtigen. Diese Berichtigung ist nach Satz 3 der Vorschrift für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage --hier die Uneinbringlichkeit des Entgelts-- eingetreten ist. Im Streitfall ist das Entgelt aus den am 22. Dezember 1992 in Rechnung gestellten Leistungen der Z-GbR wegen Zahlungsunfähigkeit der I uneinbringlich geworden; die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass die Uneinbringlichkeit im Jahr 1996 eingetreten ist, nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gegen die I vom Amtsgericht am 9. Dezember 1996 mangels Masse abgewiesen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger aber nicht mehr Organträger der I und daher nicht mehr der zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs verpflichtete Unternehmer i.S. des § 17 Abs. 1 UStG 1993.
a) § 17 UStG 1993 regelt einen eigenständigen materiell-rechtlichen Berichtigungstatbestand gegenüber den Änderungsvorschriften der AO 1977. Liegen die Voraussetzungen für eine Berichtigung i.S. von § 17 UStG 1999 vor (z.B. durch Uneinbringlichkeit des Entgeltes), so führt dies nicht zu einer rückwirkenden Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung; dieser Sachverhalt ist vielmehr (als unselbständige Besteuerungsgrundlage nach § 157 Abs. 2 AO 1977) in der Umsatzsteuerfestsetzung für den maßgeblichen Besteuerungszeitraum (§ 17 Abs. 1 UStG 1999) zu berücksichtigen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Juli 2006 V B 70/06, BFH/NV 2006, 2008; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 17 Rz 17). Der anfänglich nach "Soll"-Besteuerungsgrundsätzen vorgenommene Vorsteuerabzug ist (lediglich) tatbestandliche Voraussetzung der materiellen Regelung nach § 17 UStG 1993.
b) Diesem Verständnis steht --abweichend von der Auffassung des FG und des FA-- der Wortlaut des § 17 Abs. 1 UStG 1993 nicht entgegen. Denn die Formulierungen "der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat" bzw. "der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde", bezeichnen nur den Unternehmer auf der jeweiligen Seite der Leistungsbeziehung (ausführender - empfangender Unternehmer) und haben darüber hinaus keine materielle Bedeutung. Andernfalls müsste in Fällen der Geschäftsveräußerung im Ganzen oder der Rechtsnachfolge (z.B. durch Einbringung eines Unternehmens in eine Gesellschaft) immer auf den "damals" ausführenden oder empfangenden Unternehmer zurückgegriffen werden, wenn nach der Geschäftsveräußerung oder der Einbringung vom neuen Unternehmer Preisnachlässe gewährt werden oder in seiner Person Entgelte uneinbringlich werden. Ein derartiges Ergebnis lässt sich aus § 17 UStG 1993 nicht ableiten.
c) Im Jahr 1996 war der Kläger in Bezug auf die steuerbegründenden tatsächlichen Vorgänge nicht mehr der Unternehmer i.S. des § 17 Abs. 1 UStG 1993. Er war zwar im Jahr 1992 der zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer, da er gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993 Organträger der I war, weil diese zwar rechtlich selbständig, aber finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in sein Unternehmen eingegliedert war. Es fehlte der I im Jahr 1992 damit das zur Unternehmereigenschaft erforderliche Merkmal der --umsatzsteuerrechtlichen-- Selbständigkeit, so dass die Umsätze und Vorsteuerbeträge dem Kläger als Organträger zugerechnet wurden und dieser Steuerschuldner war; dies ändert aber nichts daran, dass die Tatbestandsmerkmale des UStG durch Handlungen der I als Organgesellschaft verwirklicht wurden.
Mit Beendigung der Organschaft am 1. Juli 1993 wurden die Besteuerungstatbestände des UStG der I als umsatzsteuerrechtlich selbständiger Unternehmerin zugerechnet. Insbesondere beurteilt sich die Uneinbringlichkeit des Entgelts nach den Verhältnissen der I und nicht nach denen des Klägers.
d) § 17 UStG 1993 greift daher gegenüber dem bisherigen Organträger nicht ein, wenn die Uneinbringlichkeit des Entgelts erst nach Beendigung der Organschaft eingetreten ist (vgl. Klenk in Sölch/Ringleb, a.a.O., Rz 126 zu § 17 UStG; Fröschl, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 1118; in diesem Sinne auch BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1267). Verwaltungsvereinfachungszwecke, wie sie den Organschaftsregelungen zugrunde liegen (Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages bei der Einführung des UStG 1967, BTDrucks V/1581, Einzelbegründung zu § 2 UStG; s. auch Klezath, Deutsche Steuerzeitung 1980, 1, 8 und 1986, 112, 113 zum UStG 1980), können es nicht rechtfertigen, den früheren Organträger für Steueransprüche als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen, deren tatsächliche Voraussetzungen durch ein selbständiges Unternehmen verwirklicht werden und diesem umsatzsteuerrechtlich auch zuzurechnen sind. Dass umsatzsteuerrechtlich aus "Vereinfachungsgründen" während des Bestehens der Organschaft die Umsätze und Vorsteuerbeträge zusammengefasst und nur gegenüber dem Organträger festgesetzt werden, ändert nichts daran, dass der betreffende Steueranspruch tatsächlich durch die Tätigkeit der Organgesellschaft verwirklicht worden ist und mit dem Ende der Organschaft die umsatzsteuerrechtliche "Vereinfachungsregelung" nicht mehr gilt.
2. § 17 UStG 1993 setzt Art. 11 Teil C Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG in nationales Recht um. Wie sich insbesondere aus Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 2 und Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 ergibt, haben die Mitgliedsstaaten dabei einen sehr weiten Ermessensspielraum, so dass die nationale Ausgestaltung des "actus contrarius" zur "Soll"-Versteuerung als materieller Besteuerungstatbestand keinen europarechtlichen Bedenken begegnet.
3. Da eine Inanspruchnahme des Klägers als Steuerschuldner schon aus materiell-rechtlichen Gründen ausscheidet, kommt es auf die verfahrensrechtlichen Fragen --§§ 171 Abs. 5, 174 Abs. 4, insbesondere auf die Frage, ob § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht anwendbar ist-- nicht an; Ausführungen hierzu sind daher entbehrlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1696639 |
BFH/NV 2007, 839 |
BStBl II 2007, 848 |
BFHE 2008, 375 |
BFHE 216, 375 |
BB 2007, 592 |
BB 2007, 595 |
DStR 2007, 440 |
DStRE 2007, 447 |
HFR 2007, 488 |
UR 2007, 277 |