Leitsatz

1. Zivilprozesskosten können Kläger wie Beklagtem unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen (Änderung der Rechtsprechung).

2. Unausweichlich sind derartige Aufwendungen jedoch nur, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

3. Zivilprozesskosten sind jedoch nur insoweit abziehbar, als sie notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten. Etwaige Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung sind im Rahmen der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen.

 

Normenkette

§ 33, § 11 EStG

 

Sachverhalt

K hatte bei V eine Krankentagegeld-Versicherung, die ein tägliches Krankengeld nach sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit umfasste. Nachdem K krankgeschrieben worden war und der Arbeitgeber nach sechs Wochen die Gehaltszahlung einstellte, beanspruchte K zunächst erfolgreich das Krankentagegeld. Auf Grundlage weiterer ärztlicher Untersuchungen wurde bei K ein Parkinson-Syndrom mit Arbeits- und Berufsunfähigkeit diagnostiziert. Auf Grundlage der festgestellten Berufsunfähigkeit verweigerte V weitere Krankentagegeldzahlungen. Die dagegen vor dem Landgericht erhobene Klage wurde im Wesentlichen abgewiesen. K machte mit ihrer ESt-Erklärung die Prozesskosten von 9 906 EUR zunächst als Werbungskosten bei ihren Lohneinkünften und nach Hinweis auf die Steuerfreiheit des Krankentagegelds als außergewöhnliche Belastung beim FA jeweils erfolglos geltend. Auch die Klage blieb erfolglos (FG Köln, Urteil vom 18.11.2009, 11 K 185/09, Haufe-Index 2372963, EFG 2010, 1607).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil führt zu einer grundlegenden Änderung der Rechtsprechung. Bei Kosten eines Zivilprozesses spricht nun keine Vermutung mehr gegen die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG. Der BFH schließt sich vielmehr der bisher vor allem in den zwei Großkommentaren zum EStG vertretenen Auffassung an, dass sich die Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht aus der Unausweichlichkeit des dem streitigen Anspruch zugrunde liegenden Ereignisses erschließt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Steuerpflichtige sein Recht im Verfassungsstaat nicht eigenmächtig gewaltsam, sondern nur durch Beschreiten des Rechtswegs durchsetzen darf; er wird also von Rechts wegen auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Daher erwachsen Zivilprozesskosten sowohl Kläger als auch Beklagtem aus rechtlichen Gründen zwangsläufig. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, dass nur die unterliegende Partei die Prozesskosten trägt. Denn der Einwand, dass der Unterliegende das hätte erkennen können, entspricht kaum der Lebenswirklichkeit.

Zivilprozesskosten sind nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Denn hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichenden Erfolgsaussichten, sind die Kosten nicht unausweichlich. Das entspricht auch dem Regelungsziel des § 33 EStG, die verminderte subjektive Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, die durch Aufwendungen entstehen, die außerhalb des Üblichen liegen und daher nicht im Grundfreibetrag enthalten und durch ihn abgegolten sind (z.B. BFH, Urteil vom 13.10.2010, VI R 38/09, BFH/NV 2011, 351, BFH/PR 2011, 86). Im sozialhilferechtlichen Regelbedarf sind Zivilprozesskosten nicht enthalten (Existenzminimumbericht, BT-Drucks. 15/2462).

Die Praxis der FÄ und FG wird künftig die Gesamtumstände des Einzelfalls ex ante danach zu würdigen haben, ob der Prozess, der die streitigen Kosten ausgelöst hatte, nicht mutwillig und mit hinreichender Aussicht auf Erfolg geführt worden war. Davon ist auszugehen, wenn nicht nur eine entfernte Erfolgsaussicht bestand, sondern Erfolg und Misserfolg gleichermaßen wahrscheinlich waren. Diese Einschätzung werden die FG künftig im Wege einer summarischen Prüfung vorzunehmen haben. Dann erwachsen Zivilprozesskosten zwangsläufig. Leistungen aus Rechtsschutzversicherungen sind gegenzurechnen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10

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