Rz. 18

Ebenso wie auf der Aktivseite ist auf der Passivseite die Frage nach dem Vorliegen einer Schuld – abgesehen von Sonderfällen wie Rechnungsabgrenzungsposten – gleichbedeutend mit der Frage der Passivierungsfähigkeit. Die Schulden sind dabei der Oberbegriff für die Verbindlichkeiten und Rückstellungen.[1] Für das Vorliegen des ebenfalls gesetzlich nicht definierten Begriffs der Schuld werden derzeit als wesentliche Merkmale gefordert:[2]

 

Rz. 19

  • Vorliegen einer wirtschaftlichen Belastung: Während bei Sachverhalten, bei denen keine gegenseitigen Verträge bestehen, die wirtschaftliche Belastung durch den Eintritt von Ereignissen oder die Verwirklichung von Tatbeständen begründet wird, die zu Ansprüchen Dritter führen, wird sie bei gegenseitigen Verträgen – wegen des Nichtausweises schwebender Geschäfte – in der Regel nach Erbringung der Leistung des Vertragspartners als entstanden angesehen. Erforderlich ist grundsätzlich das Vorhandensein eines Dritten als Anspruchsberechtigten. Ob im Einzelfall eine Verpflichtung wirtschaftlich belastet, "hängt von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Leistungspflicht ab".[3]
  • Vorhandensein einer Leistungsverpflichtung: Nicht nur dann, wenn eine Verpflichtung rechtlich vollständig entstanden ist, sondern auch dann, wenn vor dem Bilanzstichtag Tatbestände eingetreten sind, die erkennbar eine zu erwartende Belastung gegenüber Dritten begründen bzw. wirtschaftlich veranlassen, liegt eine Leistungsverpflichtung vor; dabei ist es unmaßgeblich, ob der Dritte seine Ansprüche bereits geltend gemacht hat oder ob er bereits Kenntnis davon hat. Eine Verpflichtung besteht auch dann, wenn sich das Unternehmen einer Verpflichtung aus wirtschaftlichen, sozialen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann; dagegen besteht keine Leistungsverpflichtung, wenn keine entsprechende Wahrscheinlichkeit für die Inanspruchnahme des Unternehmens besteht, wie dies z. B. bei aufschiebend bedingten Verbindlichkeiten der Fall ist, bei denen mit dem Eintritt der Bedingung nicht zu rechnen ist, oder bei auflösend bedingten Verbindlichkeiten, wenn der Eintritt der auflösenden Bedingung gesichert erscheint. Nicht nur eine Geldleistungsverpflichtung, sondern auch die Verpflichtung zur Erbringung einer Sachleistung kann eine Leistungsverpflichtung begründen.
  • Quantifizierbarkeit der Leistung: Eine Leistung ist nicht nur quantifizierbar, wenn sie der Höhe nach gewiss ist – dann liegt eine Verbindlichkeit vor –, sondern auch dann, wenn sie der Höhe nach ungewiss ist – dann liegt eine Rückstellung vor.
  • Selbstständige Bewertbarkeit: Die wirtschaftliche Last muss als solche abgrenzbar und einzeln bewertbar sein und darf deshalb z. B. nicht Folge des allgemeinen Unternehmerrisikos sein.
 

Rz. 20

Von den in § 249 HGB gesondert aufgeführten Rückstellungsarten sind die Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften und für Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, zu den Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und damit zu den Schulden im hier dargestellten Sinn zu rechnen. Im Unterschied zur wirtschaftlichen Zurechnung der Vermögensgegenstände erfährt die wirtschaftliche Zugehörigkeit von Schulden kaum eine gesonderte Behandlung. Der Hauptgrund dürfte darin liegen, dass durch die Definition der Verpflichtung bereits die für Schulden maßgeblichen wirtschaftlichen Einflussfaktoren berücksichtigt sind, d. h. durch die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Schuld sind bereits Fragen der wirtschaftlichen Zugehörigkeit behandelt, z. B. bei der Frage der Zugehörigkeit von Verpflichtungen aus freiwilligen Gewährleistungen.

Außerdem werden mit den Fragen der wirtschaftlichen Zurechnung auf der Aktivseite auch entsprechende Fragen auf der Passivseite angesprochen. So hat z. B. der Treuhänder bei Zurechnung des Treuhandvermögens bei ihm "einen gleich hohen Passivposten einzusetzen";[4] der Leasing-Nehmer, der einen Leasing-Gegenstand wirtschaftlich zu aktivieren hat, muss in Höhe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die die Grundlage für die Berechnung der Mietraten bilden, "eine entsprechende Verbindlichkeit gegenüber dem Leasing-Geber passivieren."[5]

[1] Vgl. Freericks, Bilanzierungsfähigkeit und Bilanzierungspflicht in Handels- und Steuerbilanz, 1976, S. 224 ff.
[2] Vgl. Kußmaul, Nutzungsrechte an Grundstücken in Handels- und Steuerbilanz, 1987, S. 78 f.; vgl. dort auch die weiterführenden Literaturhinweise.
[3] So Kropff, in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, Band III, 1973, § 149 AktG Rz. 49.
[4] So Kropff, in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, Band III, 1973, § 149 AktG Rz. 58.
[5] Wöhe, Bilanzierung und Bilanzpolitik, 9. Aufl. 1997, S. 246.

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