Leitsatz

Die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes schließt seine Berücksichtigung als Kind, das sich in einer Übergangszeit befindet (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) oder auf einen Ausbildungsplatz wartet (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) nicht aus (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 EStG

 

Sachverhalt

Der im Jahr 1984 geborene Sohn der Klägerin bestand 2005 die Abschlussprüfung und wurde vom Ausbildungsbetrieb übernommen. Zum 31.08.2008 verließ er das Unternehmen und besuchte ab September 2008 eine Fachschule für Technik. Bereits im März 2008 hatte ihm die Schule mitgeteilt, dass er für das Schuljahr 2008/2009 aufgenommen werden könne. Die Familienkasse lehnte die Festsetzung von Kindergeld ab September 2008 ab. Der Sohn sei von März bis Dezember 2008 zu berücksichtigen und seine Einkünfte überstiegen den anteiligen (10/12) Jahresgrenzbetrag.

Das FG gab der Klage statt (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2008, 4 K 4658/08, Haufe-Index 2204676, EFG 2009, 1759). Es ging in Übereinstimmung mit der bisherigen BFH-Rechtsprechung davon aus, dass der Sohn wegen seiner Vollzeittätigkeit von März bis August 2008 erst ab September zu berücksichtigen sei. Seine Einkünfte und Bezüge für September bis Dezember 2008 würden den anteiligen Grenzbetrag nicht übersteigen.

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.

 

Hinweis

1. Obwohl eine "Vollzeiterwerbstätigkeit" des Kindes in § 32 Abs. 4 EStG nicht angesprochen wird, hat die Rechtsprechung sie seit langem als Ausschlusstatbestand verwendet. Dadurch sollte – so die ausdrückliche Begründung im BFH-Urteil vom 19.10.2001, VI R 39/00 (BFH/NV 2002, 260, BFH/PR 2002, 91) – der Kindergeldanspruch möglichst erhalten bleiben, solange die Eltern typischerweise mit Unterhaltsverpflichtungen belastet sind: Zwar entfielen die Monate der Vollzeitbeschäftigung und die währenddessen erzielten Einkünfte des Kindes, für die übrigen Monate behielten die Eltern aber das Kindergeld.

2. Ohne dass dies in allen Entscheidungen hinreichend deutlich zum Ausdruck kam, beschränkte der BFH das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal "Vollzeiterwerbstätigkeit" auf die Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) und das Warten auf einen Ausbildungsplatz (Nr. 2 Buchst. c EStG); außerdem war (und ist weiterhin) die Ausbildung beendet, wenn eine Vollzeiterwerbstätigkeit vor Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses aufgenommen wird. Ansonsten schloss eine Vollzeiterwerbstätigkeit neben einem ernsthaft betriebenen Studium die Berücksichtigung als Kind in der Berufsausbildung nicht aus (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Für diese Differenzierung spricht einiges, z.B. dass Nr. 2 Buchst. b und c nur Hilfstatbestände zu Buchst. a sind, die einen (zusätzlichen) Kindergeldanspruch begründen und nicht entfallen lassen sollen oder dass eine Vollzeittätigkeit nicht eine Ausbildung als aktives Tun, wohl aber eine passive Warte- bzw. Übergangszeit zu verdrängen vermag.

3. Mit dem Besprechungsurteil ist der BFH nun von der teleologischen zu einer am Wortlaut und der Systematik des § 32 Abs. 4 EStG orientierten Rechtsanwendung übergegangen: Zuerst ist der Berücksichtigungstatbestand zu prüfen (Ausbildung, Übergangs- oder Wartezeit); eine typische Unterhaltssituation ist dabei kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Bei der nachgelagerten Prüfung, ob der (anteilige) Grenzbetrag überschritten wurde, kommt es dann nicht mehr darauf an, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes auf Vollzeiterwerbstätigkeit oder einem Lottogewinn (vgl. BFH, Urteil vom 18.12.2008, VI R 8/06, BFH/NV 2009, 382) beruhen. Dies dient der Gleichbehandlung und erleichtert die Rechtsanwendung: Bei wie vielen Wochenstunden die Grenze zur Vollzeitbeschäftigung liegt und ob es auf die tatsächliche oder die geschuldete Arbeitszeit ankommt, ist nunmehr unerheblich.

4. Die Rechtsprechungsänderung hat gravierende Folgen und kann von den Betroffenen als unbillig empfunden werden. Bisher führten vornehmlich gut bezahlte Neben- oder Ferientätigkeiten während des Studiums zur Überschreitung des Grenzbetrags, z.B. ließ in der Sache III R 29/08 (BFH/NV 2010, 627) die Assistententätigkeit eines Promotionsstudenten das Kindergeld auch für die Monate vor dem Staatsexamen entfallen. Dies kann jetzt auch durch eine Beschäftigung während der viermonatigen Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder einem Ausbildungsabschnitt und dem Wehr- oder Zivildienst oder während der Wartezeit auf einen Ausbildungsplatz geschehen.

5. Wie lassen sich Nachteile durch die neue Rechtsprechung vermeiden?

Wer sich aus einer Beschäftigung heraus um einen Ausbildungsplatz bewirbt, sollte sich nicht frühzeitig, sondern erst kurz vor Ablauf der Frist bewerben, damit möglichst wenige Erwerbsmonate in die Berücksichtigungszeit fallen.

Wird nach einem Abschluss eine Vollzeiterwerbstätigkeit begonnen und aus dieser heraus eine weitere Qualifikation angestrebt (z.B. Fortbildung des jungen Betriebswir...

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