Leitsatz

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 10. 11. 1998 die Regelung über die steuerlichen Kinderfreibeträge

  • für Eltern mit einem Kind für den Veranlagungszeitraum 1985 (2 BvR 1220/93)
  • für Eltern mit einem Kind für den Veranlagungszeitraum 1987 (2 BvL 42/93)
  • für Eltern mit 2 Kindern für den Veranlagungszeitraum 1987 (2 BvR 1852/97)
  • für Eltern mit 2 Kindern für den Veranlagungszeitraum 1988 (2 BvR 1853/97)
  • für verfassungswidrig erklärt (vgl. auch Gruppe 2 S. 41 ff.).

Das BVerfG hat alle vorstehend genannten Streitsachen an den BFH zurückverwiesen. Zugleich hat es den BFH aufgefordert, zu prüfen, ob eine Herabsetzung der Einkommensteuerschuld entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts durch den BFH möglich ist. Durch eine solche Erledigung der zurückverwiesenen Sachen könnte – so das BVerfG – die an sich erforderliche bis 1985 rückwirkende gesetzliche Neuregelung vermieden werden.

Der BFH seinerseits hat nun das Bundesministerium der Finanzen (BMF ) zum Verfahrensbeitritt aufgefordert (§ 122 Abs. 2 Satz 3 FGO). Der BFH weist daraufhin, daß bei ihm zahlreiche Revisionsverfahren betreffend die Kinderfreibeträge der Veranlagungszeiträume 1983-1995 anhängig seien. Für alle diese Zeiträume müsse nunmehr geprüft werden, ob die steuerliche Freistellung des Kinderexistenzminimums ausreichend sei. Diese Prüfung sei indes nicht nur auf die beim BFH anhängigen Fälle zu begrenzen. Auch die Finanzgerichte und Finanzämter müßten in allen noch offenen Fällen entsprechend den Vorgaben des BVerfG eine entsprechende Prüfung vornehmen ( → Kinderfreibetrag ; → Haushaltsfreibetrag ; → Kinderbetreuungskosten ).

Nach den Vorgaben des BVerfG wachse die Freibetragsregelung für Eltern mit einem Kind in 1985 erst bei einem Grenzsteuersatz von 40%, in 1987 bei einem Grenzsteuersatz von mehr als 30% in die Verfassungswidrigkeit hinein. Bei Eltern mit 2 Kindern in 1987 und 1988 gelte dies erst ab einem Grenzsteuersatz zwischen 30 und 40%.

Der BFH bittet das BMF u. a. um Stellungnahme, wie die in den Beschlüssen des BVerfG aufgeführten Tabellen fortzuschreiben sind. Des weiteren fragt der BFH beim BMF u.a. auch an, ab welchem Grenzsteuersatz die Kinderfreibetragsregelungen in anderen Veranlagungszeiträumen ab 1983 bei einem Kind sowie bei 2 oder 3 Kindern jeweils in die Verfassungswidrigkeit hineinwachsen.

Der BFH beabsichtigt, spätestens im Juni 1999 eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 29.01.1999, VI R 176/90

Anmerkung:

Die vorstehend mitgeteilte Entscheidung enthält auch erste Äußerungen des BFH zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsfreibetrags und des Freibetrags für Kinderbetreuung (vgl. §§ 32 Abs. 7 EStG, 33c EStG). Zutreffend geht der BFH davon aus, daß das BVerfG in seinem Beschluß v. 10. 11. 1998 (2 BvR 1057, 1226, 980/91) eine Neuregelung für die Kinderbetreuungskosten erst ab 2000 und für den Haushaltsfreibetrag erst ab 2002 für erforderlich hält und bis zu diesem Zeitpunkt die weitere Anwendung der zur Zeit geltenden Regelung angeordnet hat.

Für die Steuerpflichtigen ergeben sich nun m. E. folgende Konsequenzen:

1. Alle Einkommensteuerbescheide, die künftig ergehen und die keinen ausdrücklichen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Höhe des Kinderfreibetrags, der Kinderbetreuungskosten und des Haushaltsfreibetrags enthalten, sollten mit dem Einspruch angefochten werden, um die Veranlagungsverfahren für etwaige Nachbesserungen offenzuhalten. Da die Finanzämter von den Finanzministerien der Länder (nicht vom BMF ) allgemein angewiesen sind, künftig sämtliche Einkommensteuerbescheide in den strittigen Punkten mit Vorläufigkeitsvermerken zu versehen, dürfte die Einlegung eines Einspruchs voraussichtlich nur in Ausnahmefällen erforderlich werden.

2. Einkommensteuerbescheide, die ohne einen solchen Vorläufigkeitsvermerk bereits erlassen worden, aber noch nicht bestandskräftig sind, sollten unverzüglich mit dem Einspruch angefochten werden.

3. In allen Einkommensteuerveranlagungsverfahren, die wegen Erhebung eines Einspruchs oder einer Klage noch nicht bestandskräftig sind, sollte unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG unverzüglich vorsorglich der Erlaß eines Vorläufigkeitsvermerks beantragt werden, soweit die Bescheide nicht bereits einen solchen Vermerk tragen.

4. Im übrigen bleiben die Reaktion des BMF und eine etwaige Entscheidung des BFH abzuwarten. Die systematisch sauberste Lösung wäre eine gesetzliche Regelung. Sollte es durch Gesetz oder Erlaß zu einer pauschalen Erhöhung von Kinderfreibetrag oder Kindergeld kommen, könnten auch solche Steuerpflichtige in den Genuß einer solchen Neuregelung kommen, die bei einer Berechnung der Steuerentlastung im Einzelfall nach den Vorgaben des BVerfG nichts zu erwarten hätten. Deshalb dürfte es sich nicht empfehlen, die Herabsetzung der Einkommensteuerschuld nach den Vorgaben des BVerfG unter Einzelberechnung bereits jetzt zu beantragen.

5. Mit Rücksicht auf die Erfahrungen der Vergangenheit und wegen der gegenwärtige...

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