Leitsatz

1. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2006/138/EG des Rates vom 19. Dezember 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Holzlieferungen, die von einer natürlichen Person zur Abmilderung der Auswirkungen eines Ereignisses höherer Gewalt durchgeführt werden, zur Nutzung eines körperlichen Gegenstands zählen, die als "wirtschaftliche Tätigkeit" im Sinne dieser Bestimmung zu beurteilen ist, sofern diese Lieferungen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen erfolgen. Das nationale Gericht hat bei der Feststellung, ob die Nutzung eines körperlichen Gegenstands, etwa eines Waldes, zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen erfolgt, sämtliche Gegebenheiten des Einzelfalls zu würdigen.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass nicht ausgeschlossen ist, dass eine Vorschrift des nationalen Rechts, wonach gegen eine Person, die es pflichtwidrig versäumt hat, sich zum Register der Mehrwertsteuerpflichtigen anzumelden und die diese Steuer nicht schuldete, eine Geldbuße in Höhe des für den Wert der gelieferten Gegenstände geltenden normalen Mehrwertsteuersatzes verhängt werden darf, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob angesichts der Umstände des vorliegenden Falles und insbesondere angesichts des konkret verhängten Betrags und einer etwa vorliegenden Steuerhinterziehung oder Umgehung der geltenden Gesetze, die dem Steuerpflichtigen, dessen Versäumnis der Anmeldung geahndet wird, anzulasten wären, die Höhe der Sanktion über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die in der Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuer und in der Vermeidung von Steuerhinterziehungen bestehen.

 

Normenkette

Art. 9 Abs. 1 RL 2006/112/EG (§ 2 UStG)

 

Sachverhalt

Aufgrund von Sturmschäden musste Holz aus einem im Übrigen nicht forstwirtschaftlich genutzten Wald veräußert werden. Ob dies eine unternehmerische Tätigkeit war, war bei einem lettischen Gericht streitig.

 

Entscheidung

Die wesentlichen Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Dass der EuGH im Besprechungsfall von einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeht, ergibt sich daraus, dass die lettische Regierung eine zeitliche Beschränkung der Urteilswirkungen erbeten hatte, für den Fall, dass der EuGH die Tätigkeit als nicht wirtschaftlich beurteile. Dies hielt der EuGH in Anbetracht der ersten Antwort zur Beurteilung der Tätigkeit für überflüssig.

Für das UStG unerheblich ist die auch behandelte Frage, ob die Sanktionen, die Lettland bei unterlassener Anmeldung zu dem dort bestehenden Mehrwertsteuerpflichtigen-Register verhängt, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.

 

Hinweis

1. Ob eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit vorliegt, ist unabhängig vom Zweck und Ergebnis und vom Anlass der Tätigkeit zu beantworten. Dass – wie im Besprechungsfall – ein Sturm den Holzverkauf aus einem sonst für eigene Zwecke genutzten Privatwald erforderlich macht, ist daher ohne Bedeutung. Die Beurteilung, ob objektiv eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt – wie z.B. die Nutzung von körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen (durch Nutzungsüberlassung oder Verkauf) –, erfordert einen Vergleich zwischen der konkreten Tätigkeit und den Umständen, unter denen die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt wird. Bedient sich jemand ähnlicher Mittel, wie z.B. ein Händler, Erzeuger oder Dienstleistender, ist die fragliche Tätigkeit eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit.

2. Der Umstand, dass ein Gegenstand für den persönlichen Bedarf erworben wurde und beim Erwerb kein Vorsteuerabzug möglich war, ist unerheblich. Dass beim Erwerb Vorsteuer geltend gemacht worden ist, dagegen schon.

3. Kann nicht schon aufgrund der Art der Tätigkeit beurteilt werden, ob eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt, sind z.B. deren Dauer, die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen Gesichtspunkte, die neben anderen berücksichtigt werden können. Die Beurteilung im Einzelnen obliegt dem nationalen Gericht. Von diesen Grundsätzen ist der BFH im Ebay-Urteil (BFH, Urteil vom 26.4.2012, V R 2/11, BFH/NV 2012, 1285, BFH/PR 2012, 280) ausge­gangen.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 19.7.2012 – C-263/11 – Rēdlihs

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