Leitsatz

1. Art. 18 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er auch diejenige Aufgabe der steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit erfasst, die sich aus der Streichung des Steuerpflichtigen aus dem Mehrwertsteuerregister ergibt.

2. Art. 74 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung, wonach im Fall der Aufgabe der steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit die Steuerbemessungsgrundlage für den Umsatz der Normalwert der zum Zeitpunkt der Aufgabe vorhandenen Gegenstände ist, entgegensteht, sofern nicht dieser Wert in der Praxis dem Restwert der genannten Gegenstände zum Zeitpunkt der Aufgabe entspricht und somit die Wertentwicklung dieser Gegenstände zwischen dem Zeitpunkt ihrer Anschaffung und jenem der Aufgabe der steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit berücksichtigt wird.

3. Art. 74 der Richtlinie 2006/112 hat unmittelbare Wirkung.

 

Normenkette

§ 3 Abs. 1b, § 1 Abs. 1a, § 10 Abs. 1 und Abs. 4 und Abs. 5 UStG, Art. 18 Buchst. c, 74 und 80 MwStSystRL

 

Sachverhalt

M war wegen Nichterfüllung steuerrechtlicher Pflichten aus dem bulgarischen Unternehmensregister gestrichen worden. Das hat zur Folge, dass er weder Mehrwertsteuer ausweisen noch Vorsteuer abziehen darf. Auch das ist – so der EuGH – eine Aufgabe der Tätigkeit; die Entnahme unterliegt daher der Umsatzsteuer. Zweifelhaft war, ob insoweit die Mindestbemessungsgrundlage entsprechend Art. 80 MwStSystRL angewendet werden dürfte.

 

Entscheidung

Die Mindestbemessungsgrundlage darf nur in den in Art. 80 MwStSystRL genau geregelten Fällen angewendet werden. Art. 74 MwStSystRL, der "klar und unbedingt" die Kriterien für die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage für Umsätze bei einer Entnahme, wie hier durch Aufgabe einer wirtschaftlichen Tätigkeit, regelt, kann sich der Unternehmer berufen.

 

Hinweis

1. Nach Art. 18 Buchst. c MwStSystRL können die Mitgliedstaaten, wenn keine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung vorliegt, auch der "Lieferung gegen Entgelt" gleichstellen den "Besitz von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen oder seine Rechtsnachfolger bei Aufgabe seiner der Steuer unterliegenden wirtschaftlichen Tätigkeit, wenn diese Gegenstände bei ihrer Anschaffung oder bei ihrer Verwendung nach Buchstabe a zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben". Gegenstände, die zum Vorsteuerabzug berechtigt haben, sollen auch nach Aufgabe der steuerbaren Tätigkeit – aus welchen Gründen oder unter welchen Umständen sie auch erfolgt sein mag – nicht einem unversteuerten Endverbrauch zugeführt werden. Bemessungsgrundlage ist nach Art. 74 MwStSystRL der Einkaufspreis für diese oder gleichartige Gegenstände oder mangels eines Einkaufspreises der Selbstkostenpreis jeweils zu den Preisen, die zum Zeitpunkt der Bewirkung dieser Umsätze festgestellt werden.

2. Unternehmen und Unternehmereigenschaft erlöschen erst, wenn der Unternehmer alle Rechtsbeziehungen abgewickelt hat, die mit dem aufgegebenen Betrieb zusammenhängen (BFH, Urteil vom 13.1.2010, V R 24/07, BFH/NV 2010, 1373). Die durch Betriebsaufgabe bedingte Überführung von zum Unternehmensvermögen gehörenden und mit Vorsteuerabzug erworbenen Gegenständen sind daher Entnahmen. Bemessungsgrundlage ist nach Art. 74 (und § 10 Abs. 4 UStG) der "Einkaufspreis" für diese oder gleichartige Gegenstände oder mangels eines Einkaufspreises der Selbstkostenpreis zu den Preisen, die zum Zeitpunkt der Bewirkung dieser Umsätze festgestellt werden. "Einkaufspreis" ist – wie der EuGH nunmehr erneut betont – auch in diesem Fall der Entnahme der "Restwert", d.h. der Wert der betreffenden Gegenstände zum Zeitpunkt der Aufgabe. Damit wird die Wertentwicklung der Gegenstände zwischen ihrer Anschaffung und der Aufgabe berücksichtigt.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 8.5.2013 C-142/12 – Hristomir Marinov

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