Die Frage, ob man mit ein und demselben VP sowohl eine optimale controllerische Steuerung als auch eine optimale gesetzeskonforme Tax Compliance erreichen kann, lässt sich nicht pauschal mit ›ja‹ oder ›nein‹ beantworten. Letztlich hängt die Antwort auch von der jeweiligen Umsetzungsvariante des VP-Systems im Unternehmen ab.

22.2.1 Überblick über Umsetzungsvarianten

Daher untersuchen wir nachfolgend sehr differenziert, aber immer noch praxisrelevant, welchen Einfluss das verwendete VP-System (1-Preis- versus 2-Preis-Systeme), die steuerungsrelevanten KPIs, die steuerliche VP-Kalkulationsmethode und auch der jeweilige Transaktionstyp (hier: Lieferung von Fertigprodukten vom Strategieträgerproduzent an Routinevertriebsgesellschaften) auf die Beantwortung der oben gestellten Frage haben. Abbildung 222[882] fasst die wesentlichen Entscheidungsparameter und die sechs Umsetzungsvarianten (= ›Modelle‹) zusammen:

Abb. 222: Welche Umsetzungsvarianten existieren aus Controlling- und aus steuerlicher Sicht?

Abbildung 222 stellt eine Auswahl an Umsetzungsvarianten (nachfolgend ›Modelle‹ genannt) dar, die die Autoren in der Praxis am häufigsten vorgefunden oder umgesetzt haben. Es gibt sicherlich noch weitere Varianten.

Die nachfolgenden Modelle beschreiben sechs verschiedene – stark vereinfacht dargestellte – Umsetzungsvarianten von VP-Systemen. Die Erläuterungen zu den einzelnen Modellen sind jeweils gleich aufgebaut: Sie umfassen eine Kurzbeschreibung, eine Darstellung der Controllingsicht und abschließend wird die steuerliche Sichtweise beschrieben. Bei der Beschreibung und Beurteilung der nachfolgenden Modellvarianten haben wir den in der Praxis sehr oft vorkommenden Fall der Lieferung eines Fertigprodukts von der Strategieträgerproduktionsgesellschaft an die Routinevertriebsgesellschaft vor Augen:

Abb. 223: Zielkonflikte bei Lieferung von Strategieträger an Routinevertriebsgesellschaft

[882] LE = Legal Entity = Konzerngesellschaft; EBIT = Earnings before Tax = Ergebnis vor Steuern; COMA = konsolidierte Marge; ›KPI <> LE-EBIT‹: damit ist gemeint, dass Steuerungskennzahlen der LE verwendet werden, die nicht VP-induziert sind (z. B. Umsatzwachstum, Stückzahl, Soll-Ist-Kostenabweichung, Marktanteil etc., siehe Beispiele aus der Praxis in Teil D, Kapitel 22.4). ›Management Books‹ = spezielle Berichterstattung für das Management, bei der von den Zahlen des externen Rechnungswesens abgewichen wird (z. B. Ergebnis der Region, einer Business Unit, einer weltweiten Produktgruppe, Ergebnis aus externem Rechnungswesen bereinigt um z. B. steuerliche Korrekturen/Jahresendanpassungen, jeweils für LE oder COMA). ›Legal Books‹ = externes Rechnungswesen.

22.2.2 Modell 1: 1-Preis-System, VP gem. CO, LE-EBIT-Steuerung

Kurzbeschreibung:

Die VP werden aus Controllingsicht gebildet und gebucht (›Legal Books‹). Das heißt, die VP-Bildung erfolgt z. B. auf Basis der C+-Methode und der Standardgrenzkosten. Die Incentivierung und Performance-Messung erfolgt anhand des EBIT der lokalen Routinevertriebsgesellschaft. Vgl. Teil D, Kapitel 21 für ausführliche Erläuterungen zu Konflikten bei der Vertriebssteuerung in 1-Preis-Systemen.

Beurteilung aus Controllingsicht:

  • Vergleichsweise geringer Administrations-/Implementierungsaufwand, da die Anforderungen an die Umsetzung der C+-Methode im ERP-System vergleichsweise gering sind. Auch bei heterogener ERP-Landschaft umsetzbar.
  • Die Steuerung über das EBIT der lokalen Gesellschaft kann zu ›Silo-Optimierungen‹ durch verfälschte Anreize bei Entscheidungen führen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, um wie viel der aggregierte Deckungsbeitrag eines Konzerns, der mit ›silo-optimierten‹ Einzelgesellschaften agiert, größer oder kleiner ist als der Deckungsbeitrag eines Konzerns, der z. B. nach konsolidierter Ergebnisrechnung steuert. Sofern die Einzelgesellschaften (›Silos‹) nach Grenzkosten (ohne anteilige Fixkosten und ohne Margen) steuern, sollte theoretisch der maximale Konzerndeckungsbeitrag am Ende stehen. Experimentelle Untersuchungen stützen diese Vermutung.[883] Das muss aber jeder Konzern für sich prüfen und entscheiden.
  • Bei einzelnen Konzernen werden sämtliche Artikel zu demselben C+-Preis an alle Vertriebsgesellschaften fakturiert ("Konzerneinheitliche VP-Liste"). Die Begründung ist oft, dass dadurch die Vertriebsgesellschaft "gerecht" und einfach ermittelt und verglichen werden kann. Die Autoren sind hier skeptisch. Zwar ist vordergründig die Vergleichbarkeit einfach, weil jede Vertriebsgesellschaft zu demselben VP einkauft. Andererseits ignoriert dieser Ansatz erhebliche Ergebnis-Faktoren, die nicht von dem lokalen Vertrieb beeinflusst werden können. Beispielsweise: lokal sehr unterschiedliches Endkunden-Preisniveau, lokal sehr unterschiedliche Höhe der Vertriebs-/Verwaltungskosten, lokale Zölle bei Drittlands-Vertrieb vs. EU-Vertrieb, höhere Frachtkosten da weiter von der Produktion entfernt etc. Letzlich könnte man überspitzt formulieren, dass sich bei Konzern-Einheits-Preislisten der Vertrieb in Hoch-Endkunden-Preis-Ländern abzappelt und dennoch nicht auf eine "angemessene Marge" kommt und...

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