Sachverhalt

Das belgische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Steuerbefreiung für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen durch anerkannte Einrichtungen gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL). Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob die von einer "Einrichtung für betreutes Wohnen" i. S. des belgischen Rechts erbrachten Leistungen nach dieser Vorschrift steuerbefreit sind.

Die Klägerin betreibt eine private "Einrichtung für betreutes Wohnen" für Senioren i. S. des belgischen Rechts, die definiert sind als "eine Einrichtung (unabhängig von ihrer Bezeichnung) zur Beherbergung von Senioren im Alter von mindestens 60 Jahren, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und gemeinschaftliche Leistungen der Familien- und Haushaltsfürsorge, Hilfe im Alltagsleben und ggf. Krankenpflege oder sonstige Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch nehmen". Diese Einrichtungen unterscheiden sich von "Altersheimen", bedürfen einer behördlichen Zulassung und sind in Belgien an festgelegte Preise unter Aufsicht des Wirtschaftsministeriums gebunden.

Die Klägerin stellt in ihrer Einrichtung Wohnungen für ein oder zwei Personen zur Verfügung. Darüber hinaus bietet sie den Mietern verschiedene Leistungen entgeltlich an, die nicht auf die Bewohner der Einrichtung beschränkt sind (Restaurant mit Bar, Friseur- und Schönheitssalon, Physiotherapieraum, Ergotherapie, Wäscherei, Ambulanz und Blutabnahmedienst und Arztpraxis). Die Klägerin erhält keine öffentlichen Mittel und ihre Kunden nehmen keine öffentliche Förderung oder Kostenbeteiligung in Anspruch.

Die belgische Steuerverwaltung behandelte die Klägerin als anerkannte Einrichtung und alle von der Einrichtung für betreutes Wohnen erbrachten Umsätze als steuerbefreit und versagte den Vorsteuerabzug der auf den Bau der Einrichtung entfallenden Vorsteuern. Die Klägerin berief sich dagegen auf die Steuerpflicht ihrer Leistungen, um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu kommen.

 

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, wenn der Unternehmer keine Einrichtung des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie ist, kann seine Umsatztätigkeit nur dann nach dieser Vorschrift steuerbefreit sein, wenn der Unternehmer unter den Begriff "andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen" i. S. der Bestimmung fällt. Der EuGH bestätigt seine frühere Rechtsprechung[1], dass die Anerkennung als soziale Einrichtung grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist. Hierbei haben die Mitgliedstaaten mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften gehören - seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit -, das mit den Tätigkeiten des Unternehmers verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Unternehmer mit gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.

Nach den weiteren Urteilsgründen ist auch zu berücksichtigen, dass Einrichtungen für betreutes Wohnen wie im Vorlagefall an unter der Aufsicht des zuständigen Ministeriums festgelegte Preise gebunden sind. Dass die Kosten der Dienstleistungen ggf. zum großen Teil von Krankenkassen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, kann einen der Gesichtspunkte darstellen, die bei der Bestimmung, ob der betreffenden Einrichtung ein sozialer Charakter zukommt, zu berücksichtigen sind. Doch ist dies nur ein Gesichtspunkt unter vielen. Dass keine öffentliche Kostenbeteiligung gewährt wird, schließt für sich genommen eine Anerkennung nicht aus, weil diese unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist.

Zum Wortlaut von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g führt der EuGH erstmals aus, dass die Dienstleistungen der Altenheime ausdrücklich zu den eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Umsätzen gehören und damit unter die Befreiung fallen. Dazu gehören nach der Entscheidung auch Altenheime, wie Einrichtungen für betreutes Wohnen, die Senioren im Alter ab 60 Jahren eine Unterkunft und daneben verschiedene Dienstleistungen der Unterstützung und Betreuung zur Verfügung stellen. Zum einen ist die Dienstleistung der Zurverfügungstellung von Wohnungen, unabhängig davon, ob diese Wohnungen von einem Altenheim oder einer Einrichtung für betreutes Wohnen zur Verfügung gestellt werden, mehrwertsteuerlich gleich zu behandeln. Zum anderen sind die Dienstleistungen der Unterstützung und Betreuung, die Einrichtungen für betreutes Wohnen nach der nationalen Regelung anbieten müssen, soweit sie denen entsprechen, die Altenheime aufgrund dieser Regelung anbieten müssen...

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